Discounter konkurrieren immer heftiger. Das führt zu allerhand neuen Produkten, mehr Service - und auch dezenterer Ladengestaltung.
Das Städtchen Eglharting-Kirchseeon ist nicht gerade der Nabel der Welt. Rund 10.000 Einwohner leben in der beschaulichen Marktgemeinde in der Nähe von München. Dennoch hat sich das örtliche Gewerbegebiet in den vergangenen Monaten zu einer Art Pilgerstätte für deutsche Handelsmanager entwickelt. Dort nämlich steht eine eher ungewöhnliche Aldi-Filiale: lichtdurchflutet, modern und vollgepackt mit Ideen, die bislang in der Billigkette so gar nichts zu suchen hatten.
Schon am Eingang werden die Kunden von einer einladenden Sitzbank empfangen, für einen Euro gibt es einen Espresso aus dem Aldi-Kaffeeautomaten. Aus unsichtbaren Lautsprechern säuselt Musik, ein elektronischer Rezeptberater spuckt bei Bedarf die Anleitung für ein perfekt gebratenes Steak aus. Und hinter der Kühltheke erfüllt die Billigkette gar die dringendsten Bedürfnisse. Hier geht es zur Kundentoilette – samt Wickeltisch.
Man habe bewusst „hellere Fliesen und warme Grautöne“ für die Wände und Warenträger in der Filiale gewählt, sagt eine Aldi-Süd-Sprecherin auf Anfrage. „Insgesamt sollen die reduzierten und dunklen Farben eine Reizüberflutung bei unseren Kundinnen und Kunden vermeiden und den Fokus auf die Ware lenken.“ Toiletten gehörten künftig zu jedem Neubau, „da wir ein Mehr an Komfort bieten wollen.“
Die Discounter verlieren Marktanteile an Verbrauchermärkte und Drogerien
Mehr Komfort? Bei Aldi? All das wirkt wie eine Revolution im Billig-Reich, in dem über Jahrzehnte der Grundsatz galt, dass die eigenen Läden ja nicht zu einladend oder gar schön wirken dürften, weil die Kunden sonst auf die Idee kämen, es sei dort nicht mehr preisgünstig. Noch vor Kurzem wären Aldi-Manager für eine „Unser Markt soll schöner werden“-Strategie wohl gefeuert worden. Jetzt überrascht das Unternehmen gar mit der Nachricht, auch Mode der Top-Designerin Jette Joop anbieten zu wollen.
Das alles hat mit einer grundlegenden Veränderung im Verhalten der deutschen Verbraucher zu tun. Schauten die Kunden über Jahrzehnte hinweg vor allem auf den Preis, so spielt heute die Qualität eine immer größere Rolle. Bio, regional und fair liegen im Trend, Lebensmittel werden zu Stilmitteln, über die immer mehr Menschen ihre Lebensweise definieren.
Supermarktketten wie Edeka oder Rewe tragen dem mit vegetarischen und veganen Sortimenten oder auch üppig gestalteten Fleisch- und Fischtheken Rechnung. Auf der anderen Seite haben sie auch von Billigketten gelernt und koppeln ihre Preiseinstiegsmarken exakt an die Vorgaben von Aldi & Co., sodass einfach Artikel wie Milch, Zucker oder Mineralwasser zu den gleichen Konditionen zu haben sind.
Besonders Aldi hat Nachholbedarf
„Die Discounter verlieren derzeit Marktanteile an die großen Verbrauchermärkte und an die Drogerien“, sagt Handelsexperte Wolfgang Adlwarth von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Bei 42,8 Prozent lag der Anteil am Lebensmittelhandel im Jahr 2015. Zwei Jahre zuvor waren es noch 43,7 Prozent. Nicht gerade eine gigantische Verschiebung, aber ein Alarmsignal für die Billigketten, die es gewohnt waren, über Jahrzehnte den Takt im Lebensmittelhandel vorzugeben. Insbesondere Aldi hat nach Experteneinschätzung einiges an Nachholbedarf. „Die älteren Kunden stehen zwar treu zu dem Discounter, doch bei den Jüngeren tut sich das Unternehmen schwer“, sagt Adlwarth.
Auch in Hamburg ist der Wandel im Billigimperium spürbar, wenn auch etwas verzögert. Das hat damit zu tun, dass das einst von den Brüdern Theo und Karl Albrecht gegründete Unternehmen seit Jahrzehnten in zwei unabhängige Einheiten geteilt ist und der Norden als eher konservativ gilt. Als Ende vergangenen Jahres an der Bahrenfelder Straße in Ottensen der dortige Aldi wiedereröffnet wurde, da setzte der Discounter immerhin auf ein „neues Lichtkonzept, bodentiefe Fenster, frische Farben, breitere Gänge und eine weitaus übersichtlichere Warenpräsentation“, wie Sprecher Matthias Kräling die Veränderungen beschreibt. Insgesamt modernisiere man derzeit das gesamte Netz aus 2400 Filialen in Deutschland. Drei Milliarden Euro soll Nord-Chef Marc Heußinger laut „Wirtschaftswoche“ in die Umgestaltung in ganz Europa pumpen, um aus den grauen Einkaufsbunkern der Vorzeit ansprechende Läden zu machen.
Trend geht zur Verschönerung der Filialen
Längst im Gange ist auch der Wandel im Sortiment. Von der einstigen Verweigerungshaltung in Sachen Markenprodukte ist bei Aldi nicht mehr viel übrig geblieben. In Ottensen liegen Giotto, Mon Cheri und Nutella im Regal, dazu kommen diverse Feinkosteigenmarken von Sockeye Wildlachs, über belgische Pralinen bis hin zu Cookies mit Schokolade aus fairem Handel. Um den Drogerien Paroli zu bieten, sollen im Norden nun die Procter&Gamble-Marken Ariel, Pampers und Head&Shoulders hinzukommen, wie Unternehmenssprecher Kräling ankündigt. Bei den konkurrierenden Discountern Lidl, Penny oder Netto sind diese Artikel freilich schon längst zu haben. Die Wettbewerber haben seit jeher einen deutlich höheren Anteil an Markenware im Sortiment und daher in diesem Bereich nur wenig Nachholbedarf. Doch auch bei den Konkurrenten ist ein deutlicher Trend zur Modernisierung und Verschönerung der Filialen zu bemerken – im Handelsdeutsch auch „Trading up“ genannt.
So testet etwa die Edeka-Tochter Netto Marken-Discount gerade ein neues Ladendesign in Hamburg-Rahlstedt. Dem normalen Kunden mögen die Veränderungen kaum auffallen, doch in der Branche werden die neuen Elemente mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Die grellen Markenfarben Gelb und Rot rücken an der Bargteheider Straße ein wenig in den Hintergrund, stattdessen dominieren anthrazitfarbene oder schwarze Elemente wie am Weinregal. Zugunsten einer freien Sicht hat Netto auf die sonst üblichen Deckenaufhänger verzichtet. Insgesamt wirke das Filialbild nun „aufgeräumt“ und „beruhigt“, erläutert ein Unternehmenssprecher. Piktogramme mit stilisiertem Gemüse oder einem Megafon für Aktionsware sollen die Orientierung erleichtern. Bei einem Erfolg soll das neue Design auf alle, fast 4200 Märkte ausgedehnt werden. Wie die Wettbewerber auch muss die Edeka-Tochter vor allem auf vergleichbarer Fläche wachsen. Nach Jahren der fast ungebremsten Expansion kamen im vergangenen Jahr zum Filialnetz unter dem Strich nur noch ein gutes Dutzend Märkte hinzu.
Für Penny-Märkte durften die Kunden Zusätze wie „Sonnenland“ wählen
Eine andere Idee, um sich vom rummeligen und nicht gerade vorteilhaften Image zu befreien, verfolgt der Discounter Penny, der zum zweitgrößten deutschen Lebensmittelhändler Rewe gehört. In einer groß angelegten Aktion wurden Namenszusätze für die eigenen Märkte gesucht. Aus je drei Vorschlägen konnten die Kunden auswählen und so heißen die Hamburger Märkte jetzt „Fuhle“, „Ackerviertel“, „Fleetplatz“ oder „Sonnenland“. Das soll Verbundenheit mit dem jeweiligen Viertel demonstrieren und die Positionierung der Kette als Nahversorger unterstreichen. „Wir haben in Hamburg das dichteste Penny-Vertriebsnetz in allen deutschen Großstädten“, meint Claus Ziemann, Regionsleiter in Norderstedt. Damit wolle man punkten.
Auch Penny an der Reeperbahn hat im Zuge der Aktion einen Namenszusatz erhalten. Der Markt heißt jetzt „Kiez“. Dass er dadurch an Atmosphäre gewonnen hätte, würden allerdings wohl nur hartgesottene PR-Experten behaupten. Die Filiale wirkt eng, rummelig und in die Jahre gekommen wie eh und je. Nahversorgung bedeutet hier vor allem ein großes Angebot an Dosenbier. Am Eingang steht aber immerhin ein Penny-Kaffeeautomat. Der Cappuccino dort kostet einen Euro. Fehlt nur noch die Kundentoilette.