Onlinehändler befeuern den Preiskampf, ihr Marktanteil wächst. Die großen Optikerketten wie Fielmann halten sich bislang zurück.

Als die geladenen Gäste vor wenigen Tagen das erste Geschäft des Onlinehändlers Mister Spex anschauen dürfen, sieht es jeder auf den ersten Blick: Funktion statt Fashion, das scheint hier das Motto zu sein. „Schmal“, „Rechteckig“, „Rund“ steht in schlichten Lettern über den Regalen mit den Brillen. Der Laden in Berlin-Mitte erinnert mit den funktionalen Fächern für die Fassungen eher an eine Arztpraxis als an einen Ort, an dem Mode für die Nase verkauft wird. Dennoch: Der Start von Mister Spex mit seinem ersten Standbein im stationären Handel wird in der Branche ähnlich heiß diskutiert wie die Verleihung der Oscars unter Filmfans.

Schließlich ist Mister Spex der größte Internetanbieter für Brillen – und für viele Traditionalisten das Schreckgespenst der Branche. Von den fünf Milliarden Euro Erlösen im deutschen Optikmarkt teilen sich die Onlinehändler bisher zwar nur bescheidene fünf Prozent. Bei den Korrektionsbrillen erreichen sie 2015 eine Stückzahl von 700.000, damit wird bisher nur etwa jede 20. Brille im Netz verkauft. Aber: Das Umsatzvolumen der etwa 100 digitalen Shops hat sich in kürzester Zeit verdoppelt. „Wir haben schon mit den Ketten zu kämpfen, und jetzt kommt noch das Internet“, stöhnt der Inhaber eines Brillenshops aus dem Norden Hamburgs.

Die Beliebtheit der Onlinehändler wie Brillenplatz.de oder Brille-im-Internet.de führen Marktkenner auf die große Auswahl im Netz, aber vor allem auf niedrigere Preise zurück. So kann der Kunde beim Onlinekauf schnell einige Hundert Euro sparen, bei Kontaktlinsen sind Rabatte von 30 Prozent keine Seltenheit. Schließlich sparen die Onlineshops die Miete für den Laden und benötigen weniger Personal. „Gerade junge Leute wechseln ins Netz, wenn sie die Brille mit der Fassung von Ray Ban oder Gucci in ihrer Stärke 200 Euro günstiger bekommen“, berichtet ein alteingesessener Optiker über seine Erfahrungen.

So wie Amazon die Buchläden bedrängt, geht nun auch im Brillenmarkt die Zahl der Fachgeschäfte zurück. Sie sank 2014 auf 11.950 Läden, das sind 50 weniger als im Vorjahr. Bereits zum dritten Mal in Folge sei die Zahl der Geschäfte auch 2015 wieder gesunken, schätzt der Branchenverband ZVA nach den aktuellsten Zahlen.

Bei Gleitsichtbrillen aus dem Internet müssen Händler Warnhinweise geben

Ein Hoffnungsschimmer für die etablierten Geschäfte: Die Anpassung der Brille an den Kunden lässt im Netz zu wünschen übrig. Zwar bewertet die Stiftung Warentest die Qualität der Brillen von Mister Spex mit „gut“. Es kommt aber vor, dass die Träger der online georderten Produkte schlecht sehen, Kopfschmerzen bekommen und sich den Hals verrenken, um Schwächen auszugleichen. Noch ist keine technische Lösung für dieses Problem gefunden. Bei Gleitsichtbrillen aus dem Internet müssen die Händler sogar den Warnhinweis geben, dass die Benutzung von womöglich nicht korrekt angepassten Gleitsichtbrillen im Straßenverkehr eine Gefahr darstellen könne.

Schließlich verzichten einige Onlineanbieter komplett auf stationäre Partner, die Sehtests übernehmen oder prüfen, wo die Gläser vor der Pupille positioniert sind. Anbieter wie Brillenplatz.de verlassen sich darauf, dass die Kunden Fotos ihrer Gesichter hochladen oder sich von der Webcam beim Probieren von virtuellen Brillen filmen lassen. Sie sehen dann ihr Gesicht mitsamt dem gewählten Gestell auf dem Bildschirm. Das heißt aber auch, dass die Käufer den Sitz der Fassung nicht prüfen können, bis sie geliefert wird.

Trotz dieser Hürden treiben die Start-ups die Digitalisierung in der Optik stark voran – besonders die übermächtigen Marktführer Mister Spex und Brille24. Mister Spex etwa befeuert seine Expansion mit der Hilfe der US-Investmentbank Goldman Sachs und anderen einflussreichen Geldgebern, die kürzlich gut 30 Millionen Euro in die Firma steckten. Aus der prall gefüllten Kasse leistet sich das Berliner Unternehmen jetzt auch ein Logistikzentrum, mit dem der Anbieter seine Lagerfläche verfünffachen will.

„Unseren eigenen Mister Spex Store zu eröffnen, war für uns der nächste logische Schritt“, sagt Gründer Dirk Graber. Er widerspricht der Einschätzung, dass er jetzt seine Strategie ändere. „Das Kerngeschäft von Mister Spex bleibt der E-Commerce“, betont Graber. Der neue Shop ist derzeit eher als Ideenlabor gedacht – auch für die Zusammenarbeit mit Optikern. Sie übernehmen für den Internethändler die Anpassung an den Kunden. Zum Vergleich: Fielmann und Apollo betreiben jeweils zwischen 600 und 800 Filialen, aber auch Mister Spex verfügt mit über 550 Partneroptikern und dem ersten eigenen Store in Berlin über ein breites Filialnetz.

Marketingvorstand Marc Fielmann setzt auf eine App für Kontaktlinsen

Günther Fielmann, dessen Hamburger Unternehmen jede zweite Brille in Deutschland verkauft, bedachte die fremdfinanzierten Neulinge in seinem Metier bisher meist nur mit einem müden Lächeln. „Das sind Firmen, die über Jahre Verluste schreiben und immer wieder neues Wagniskapital einwerben“, sagte der Unternehmer bei einer Bilanzpressekonferenz. Und auf die Frage, ob sich von den Aufsteigern etwas lernen lasse, antwortete er selbstbewusst: „Nein, nichts.“ Das ist jetzt zwei Jahre her.

Inzwischen bestimmt der Sohn des Gründers, Marc Fielmann, als Marketingvorstand die Strategie der Firma mit. Der 26-Jährige, der als Nachfolger des Patriarchen aufgebaut wird, hat bereits eine App für den Verkauf von Kontaktlinsen in den Markt gebracht. Aber auch er betont, dass Brillen aus dem Netz noch nicht die erforderliche Qualität bei der Anpassung gewährleisten. Zugleich versichert der Junior, dass er die Internetwelt sehr genau beobachte.

Auf Inspirationen setzen auch die Sehhilfen-Start-ups, wie die Geschichte der Oldenburger Firma Brille24 zeigt: Sie beginnt nicht daheim in der niedersächsischen Provinz, sondern auf dem Unicampus in der Chinesischen Stadt Qingdau. Während einer Sprachreise wurde Matthias Hunecke, Gründer von Brille24, Kunde eines lokalen Optikers. Dabei wunderte sich Hunecke über den Preis und die Qualität der angebotenen Modelle: „Verglichen mit meiner eigenen Brille, die ich nur wenige Wochen zuvor bei einem Hamburger Optiker gekauft hatte, war die Qualität keinesfalls schlechter, der Preis aber rund 80 Prozent niedriger“, erinnert er sich. Dieser Gedanke mündete im Geschäftsmodell von Brille24: Preiswerte Brillen aus Asien in Deutschland anzubieten – über das Internet. Auch
Brille24, das bisher nach eigenen Angaben mehr als 1,6 Millionen Brillen verkauft hat, baut nun ein Netzwerk mit stationären Optikern auf.

Diese retten sich oft aus der Not heraus in die Arme der Onlinekonkurrenz. Sprechen wollen sie darüber ungern, erfuhr das Abendblatt während der Recherche bei der Handvoll Hamburger Optiker, die mit Mister Spex zusammenarbeiten. Sie bekommen eine Gebühr für die Sehtests und das Anpassen der Gestelle im Auftrag des Internetanbieters. Sie selber verkaufen dadurch aber keine einzige Fassung mehr und werden dazu von den Kollegen als Verräter der Branche beschimpft.

Kleinere Optiker haben weniger Spielraum

Das Problem für die Einzelkämpfer: Im Internet werden die Produkte ohnehin günstiger angeboten – und große Anbieter wie Fielmann sparen Kosten, indem sie das Schleifen und Einpassen der Gläser in die Brillen industrialisiert haben. So betreibt Fielmann eine eigene Fabrik in Brandenburg, aus der täglich rund 14.000 Brillen ihren Weg in die Läden antreten. Diese Arbeit macht der inhabergeführte Optiker noch selber im Hinterzimmer – weniger effizient.

Während Fielmann eine Geld-zurück- und Umtausch-Garantie anbietet, wenn seine Kunden das bei der Kette gekaufte Produkt innerhalb von sechs Wochen nach dem Kauf anderswo günstiger sehen, haben kleinere Optiker hier weniger Spielraum. Zwar liegt die Spanne immer noch bei rund 20 Prozent, heißt es aus der Branche, aber so mancher Familienbetrieb hat einfach zu wenige Kunden.

Auch in anderen Branchen hat die digitale Konkurrenz oft eine Abwärtsspirale der Erträge gebracht. Beispiele sind die Apotheken oder der Möbelhandel. Dass Anbieter wie Fielmann eine eigene Onlinepräsenz bislang scheuen, dürfte auch mit der Furcht vor der damit einhergehenden Preis-Transparenz zusammenhängen. Bisher sind die Kosten für Brillen und besonders die der Gläser mit Extras wie Entspiegelungen für den Verbraucher kaum nachvollziehbar. Im Schnitt gibt jeder Deutsche heute mehr als 300 Euro für seine Sehhilfe aus, Gleitsichtgläser schlagen schnell mit 1200 Euro zu Buche. Im Netz herrscht dagegen voller Durchblick. Und Portale wie Brillenradar.de treiben das Prinzip der gläsernen Branche auf die Spitze – sie zeigen für einzelne Modelle sogar schon den günstigsten Onlineanbieter.