Hamburg. Bilanz:1 183 Jugendliche noch ohne Ausbildungsplatz. Studienabbrecher als neue Zielgruppe für Lehrbetriebe

Erst in Hamburg hat André Franke seinen Ausbildungsplatz gefunden. Im dritten Ausbildungsjahr lernt er jetzt Berufskraftfahrer bei dem Hamburger Entsorgungsunternehmen Otto Dörner. „Das ist mein Wunschberuf, doch in Kassel habe ich keinen geeigneten Ausbildungsplatz gefunden“, sagt der 25-Jährige. Auch Andreas Frasch ist froh, bei dem Hamburger Familienunternehmen eine Lehre als Kfz-Mechatroniker machen zu können. „Ich finde es gut, dass ich auch mit einem Hauptschulabschluss eine Chance bekommen habe“, sagt der 24-Jährige im dritten Ausbildungsjahr.

Mit insgesamt 40 Ausbildungsstellen trägt Otto Dörner zu der guten Ausbildungssituation in der Stadt bei. „Wir decken ein breites Ausbildungsspektrum ab, das vom Berufskraftfahrer bis zum Fachinformatiker reicht, denn alle unsere Fahrzeuge sind mit Computern ausgestattet“, sagt Oliver Dörner, geschäftsführender Gesellschafter der Otto Dörner GmbH & Co KG.

Im Ausbildungsjahr 2014/15 wurden von den Hamburger Unternehmen insgesamt 10.546 Ausbildungsplätze an die Agentur für Arbeit gemeldet. „Das ist ein Zuwachs von knapp neun Prozent gegenüber dem Vorjahr“, sagt Sönke Fock, Chef der Arbeitsagentur Hamburg. 759 Lehrstellen sind noch unbesetzt. „Die Unternehmen müssen wegen der demografischen Entwicklung den Bewerbern inzwischen den roten Teppich ausrollen, um Interessenten zu gewinnen“, sagt Fock. „Wir haben an der Elbe einen echten Bewerbermarkt.“

Orientierungsphase Jugendlicher dauert immer länger

Dennoch ist nicht allen Jugendlichen der Sprung in das Berufsleben gelungen. 1183 hatten Ende September noch keinen Ausbildungsplatz. Gegenüber dem Vorjahr sind das aber 23 Prozent weniger. „Es gelingt uns immer besser, Ausbildungsbetriebe und Bewerber zusammenzubringen“, sagt Fock. „Dennoch bleiben verschiedene Angebote der Berufsvorbereitung oder Einstiegsqualifikation als Brücke in die Berufsausbildung unerlässlich.“

Rein rechnerisch ist die Lehrstellenbilanz ausgeglichen. Denn den 10.546 gemeldeten Ausbildungsplätzen standen 9152 Bewerber gegenüber, die sich bei der Arbeitsagentur haben registrieren lassen. Doch die Anforderungen der Unternehmen und die Interessen der Schulabgänger stimmen nicht immer überein, sodass manche Lehrstelle unbesetzt und mancher Jugendlicher ohne Lehrvertrag bleibt.

Auch die Orientierungsphase der Jugendlichen, bis sie sich für einen Beruf entscheiden können, dauert immer länger. Frasch hat zunächst verschiedene Jobs gemacht, bevor er mit 22 Jahren seine Ausbildung begann. „Ich habe erst dies und jenes ausprobiert“, sagt er. Auch sein Kollege Franke arbeitete erst als Kurierfahrer, bevor er mit der Ausbildung begann.

Abiturienten zieht es ins Handwerk

Während die Handelskammer die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen mit 9063 konstant hielt, nahm das Interesse an einer Ausbildung im Handwerk zu. Mit 2362 neuen Ausbildungsverträgen wurden 3,3 Prozent mehr geschlossen als im Vorjahr. Dabei beträgt der Anteil der Abiturienten im Hamburger Handwerk 20 Prozent. „Das ist bundesweit ein Spitzenwert“, sagt Josef Katzer, Präsident der Handwerkskammer Hamburg. „Aber wir brauchen Nachwuchs aus allen Schulabschlüssen.“ Die Auftragsbücher in den Gewerken seien gut gefüllt. „Wir könnten noch mehr leisten, wenn wir das Fachpersonal dafür hätten“, sagt Katzer.

Die Handelskammer hat 9063 Lehrverträge neu abgeschlossen. „Das Ausbildungsengagement der Hamburger Betriebe liegt damit auf gleichbleibend hohem Niveau“, sagt Fritz Horst Melsheimer, Präses der Handelskammer Hamburg. Vor zehn Jahren seien es noch 1500 Lehrverträge weniger gewesen. Die Handelskammer will die duale Ausbildung stärker als Alternative zu einem Studium herausstellen. „Die Wertigkeit im gesellschaftlichen Bewusstsein muss steigen“, sagt Melsheimer. Einerseits machen immer mehr Jugendliche Abitur und sehen ihre berufliche Zukunft in einem Studium. „Andererseits beendet jeder vierte das Studium ohne einen Abschluss“, sagt Melsheimer. Mit der Kampagne Neuland bemüht sich die Handelskammer seit dem Sommer besonders um Studienabbrecher (Abendblatt berichtete). Spezielle Informationsangebote sollen Studienzweiflern und -aussteigern die Vorteile der dualen Ausbildung vermitteln.

Insgesamt haben in diesem Jahr in Hamburg 16.763 Jugendliche eine Ausbildung begonnen. Das sind so viele wie im Vorjahr. Neben der dualen Berufsausbildung fließen in diese Zahl noch andere Ausbildungsformen ein. 42 Prozent der Ausbildungsanfänger kommen aus anderen Bundesländern.