Wolfsburg. Volkswagen-Chef ist im Konzern nicht unumstritten. Muss er die Verantwortung für das Desaster in den USA übernehmen?
Diese zwei Sätze haben Gewicht. „Die Marke Volkswagen wird in den USA wieder in die Offensive gehen. Dafür stehe ich.“ Das sagte VW-Vorstandschef Martin Winterkorn auf der Hauptversammlung des Autobauers am 5. Mai in Hannover. Damals spielte Winterkorn auf neue Modelle an, mit denen die Kernmarke Volkswagen Marktanteile auf dem wichtigen US-Markt zurückerobern wollte.
Aus heutiger Sicht bekommt Winterkorns Aussage allerdings eine neue Bedeutung. Wird der Vorstandschef von Europas größtem Autobauer die Verantwortung für den Abgas-Skandal in den USA übernehmen und am Ende seinen Posten sogar räumen müssen? Das ist die zentrale Frage, die in der Aufklärung des Skandals beantwortet werden muss. In welchem Umfang gilt sein Satz „Dafür stehe ich“?
Natürlich kann Winterkorn nicht für jede Verfehlung von Konzern-Mitarbeitern verantwortlich gemacht werden. Dafür ist das Unternehmen mit seinen 600.000 Beschäftigten und weltweit 119 Standorten viel zu groß. Doch über die zentralen Entscheidungen und Vorgänge muss er informiert sein. Das ist seine Aufgabe. Die US-Umweltbehörde wirft VW vor, die Software zur Motorsteuerung in Modellen der Marken Volkswagen und Audi so manipuliert zu haben, dass die US-Abgasvorschriften im Testmodus eingehalten werden. Im Alltagsbetrieb aber sollen die Grenzwerte zum Teil um das 40-Fache überschritten worden sein. VW hat die Manipulation am Wochenende eingeräumt. Im Klartext bedeutet dies, dass ein Volkswagen-Manager angewiesen haben muss, eine Software zu entwickeln, mit der geltendes Recht umgangen wird. Das wäre vorsätzlicher Rechtsbruch, und dazu braucht es kriminelle Energie. Diese Entscheidung wird nicht im mittleren Management getroffen worden sein, sondern erfordert Rückendeckung von oben.
Kommentar: Winterkorn muss zurücktreten
Egal, aus welcher Perspektive die Frage nach den Verantwortlichen gestellt wird – Winterkorns Position wird geschwächt. Hätte er als oberster Konzernentwickler, der er ja neben seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender ist, von den Manipulationen wissen müssen? Dann wäre er wohl mitverantwortlich für den Skandal. Oder sind Entscheidungen dieser Tragweite tatsächlich an ihm vorbeigelaufen? Entscheidungen, die den Konzern bis ins Innerste erschüttern. Dann hätte er den Autobauer nicht mehr im Griff und könnte ihn folglich nicht mehr lenken.
Nach dem ersten Schock vom Wochenende wird nun im Umfeld des Konzerns die Dimension dieses Skandals erkannt, der als „Erdbeben“ und „Tsunami“ eingeordnet wird und das Standing Winterkorns untergräbt.
Der ist im Unternehmen ohnehin nicht mehr unumstritten. Zwar wurde sein Vertrag erst Anfang September um zwei Jahre bis Ende 2018 verlängert. Im Vorfeld gab es aber intern Kritik an seinem Führungsstil. Unter anderem wurden ihm zu langsame und zu autoritäre Entscheidungen vorgeworfen.
Erste tiefe Risse bekam Winterkorns Ansehen, als er Anfang April vom damaligen VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch attackiert wurde. Dazu reichte Piëchs Aussage „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn“, die er bis heute nicht konkretisiert hat. Zwar hat Winterkorn diesen Machtkampf dank der Unterstützung des Landes Niedersachsen und des Betriebsrats, die beide im Aufsichtsrat vertreten sind, gewonnen.
Allerdings sind zwei Dinge auffällig: Seit dieser Auseinandersetzung mehren sich bei Volkswagen die schlechten Nachrichten. Dazu gehören etwa die Absatzprobleme in China, wo VW etwa jedes dritte Auto aus seiner Produktion verkauft, und nun der Abgasskandal in den USA.
Zugleich vermittelt Winterkorn nicht den Eindruck eines Siegers. Bei seiner Rede auf dem VW-Konzernempfang am Vorabend der IAA-Eröffnung verhaspelte er sich mehrfach und rang sogar nach Worten. Das hatte es so zuvor nicht gegeben. Von seiner früheren Souveränität ist wenig geblieben.
Winterkorns einstiger Förderer Piëch hat sich zwar nach seiner Niederlage komplett zurückgezogen. Allerdings ist er als VW-Großaktionär nicht machtlos. So war er bei der Berufung des neuen VW-Aufsichtsratschefs eingebunden. Den Posten soll nun der bisherige Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch bekleiden. Eben weil sich Piëch so abschottet, weiß niemand, ob er nicht doch noch einmal angreift, um Volkswagen in seinem Sinne zu gestalten. Und das sorgt in der VW-Zentrale für große Unsicherheit.