Hamburg. Hamburgs neue Betriebsratschefin Sophia Jacobsen über eine Quote von 50 Prozent, Jobabbau und wachsende Arbeitsbelastung.

Die Welt der Technik hat Sophia Jacobsen in ihrer Jugend eher weniger interessiert. Als sie ihr Vater, ein Schiffbauschlosser, als Kind mit auf die Hamburger Sietas-Werft nahm, da zeigte die Heranwachsende eher aus Höflichkeit Interesse an den großen Pötten. Eine viel größere Anziehungskraft übte da schon die glamouröse Welt der Models auf sie aus. „Als Teenager wollte ich unbedingt Visagistin werden“, sagt die hochgewachsene 31-Jährige mit einem breiten Lächeln. „Oder Weddingplanerin. Ich liebe nämlich Hochzeiten.“

Dass Jacobsen trotz dieser Vorlieben ausgerechnet auf Finkenwerder in einem eher schlichten Büro mit 70er-Jahre-Mobiliar gelandet ist und sich heute um die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter des größten deutschen Flugzeugbauers kümmert, scheint niemanden mehr zu verwundern als sie selbst. „Wenn mir jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, dass ich mal Airbus-Betriebsratsvorsitzende werde, dann hätte ich ihn wohl für verrückt gehalten.“

Jacobsen vertritt die Interessen von rund 16.000 Mitarbietern

Seit Ende Juni steht Jacobsen nun an der Spitze der Arbeitnehmervertretung in Hamburg und vertritt damit die Interessen von etwa 16.000 Mitarbeitern in der Hansestadt. Sie ist damit nicht nur eine der jüngsten Betriebsratsvorsitzenden des Flugzeugbauers, sondern auch die erste Frau in dieser Position.

Eine Erklärung für den ungewöhnlichen Karriereweg mag in einem weiteren Charakterzug der 31-Jährigen begründet liegen: ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. „Ich hasse es, wenn Menschen unfair behandelt werden“, sagt Jacobsen. Schon auf dem Schulhof ergriff sie für Schwächere Partei, in der IG Metall ist sie so lange, dass sie sich an das genaue Eintrittsdatum nicht erinnern kann. Nach der Ausbildung zur Kauffrau für Bürokommunikation bei Airbus absolvierte Jacobsen neben der Arbeit noch ein Wirtschaftsrechtsstudium, das sie mit einem Bachelor abschloss. Immer freitags und sonnabends, wenn die Kollegen schon im Wochenende waren, büffelte sie Paragrafen – die Weiterbildung finanzierte sie aus der eigenen Tasche.

Der juristische Hintergrund und die Erfahrungen als Vertrauensfrau bei Airbus helfen der Betriebsratsvorsitzenden jetzt in den oft schwierigen Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite. Das große Thema im Werk ist derzeit die immer höhere Arbeitsbelastung der Mitarbeiter. „Trotz gut gefüllter Auftragsbücher nimmt die Zahl der Beschäftigten in Hamburg weiter ab“, sagt Jacobsen. „Das kann so nicht weitergehen.“ 15.764 Menschen waren im Juni noch bei Airbus in Finkenwerder beschäftigt, das sind 1203 weniger als im Vorjahresmonat.

Zwar ist die Stammbelegschaft im Werk mit 12.544 weitgehend konstant geblieben – betriebsbedingte Kündigungen sind aufgrund des bis 2020 laufenden Zukunftstarifvertrags ausgeschlossen. Stattdessen aber sinkt die Zahl der Leiharbeitnehmer. Im Vergleich zu 2012 hat sich die Zahl von gut 3000 auf etwa 2200 reduziert, allein in den letzten zwölf Monaten wurden 553 Leiharbeitnehmer weniger beschäftigt. Darüber hinaus ist auch die Zahl von Werkstudenten und Praktikanten deutlich zurückgegangen.

Auf der anderen Seite ist Airbus gerade dabei, die Produktion für die sehr begehrten Modelle der A320-Familie weiter hochzufahren – von derzeit 50 auf wahrscheinlich mehr als 60 Jets pro Monat. Zu diesem Zweck soll in Hamburg eine vierte Endmontagelinie eingerichtet werden. „Im Gegensatz zum Arbeitgeber sind wir nicht der Meinung, dass diese zusätzliche Arbeit ausschließlich von Beschäftigten aus anderen Abteilungen geleistet werden kann“, sagt Jacobsen. „Es muss auch Neueinstellungen geben.“ Insbesondere Leiharbeitnehmer, die schon seit Jahren im Unternehmen tätig seien, sollten fest angestellt werden. „Es ist kurzsichtig, sich von ihnen zu trennen, weil Airbus dadurch jede Menge Know-how verloren geht.“

14,7 Prozent der Airbus-Mitarbeiter sind weiblich

Ein weiteres großes Thema für Jacobsen ist die Förderung von Frauen im Unternehmen. Derzeit liege die Quote der weiblichen Beschäftigten bei 14,7 Prozent. „Auf der höchsten Managementebene gibt es aber praktisch überhaupt keine Frau“, sagt sie. „Es fehlt an einem entsprechenden Förderprogramm.“ Obwohl Jacobsen einer starren Quotenregelung eigentlich skeptisch gegenübersteht, hält sie eine solche Regelung angesichts der aktuellen Lage bei Airbus für durchaus sinnvoll. „Männer fördern tendenziell eher Männer, eine Quote kann da für Frauen ein Türöffner sein. Wir sollten daher auf allen Ebenen, auch im Vorstand und im Aufsichtsrat, eine Frauenquote von 50 Prozent anstreben.“ Die Hamburger Betriebsratsvorsitzende würde sich allerdings auch etwas mehr Mut und Selbstbewusstsein von ihren Geschlechtsgenossinen wünschen. „Viele Frauen trauen sich nicht genug zu und scheuen davor zurück, Führungsaufgaben zu übernehmen.“ Jacobsen selbst hat gute Erfahrungen damit gemacht, sich herauszufordern. „Erst dadurch habe ich gemerkt, was in mir steckt.“

Generell wünscht sich die Betriebsratschefin, dass der Flugzeugbauer mehr Anstrengungen unternimmt, um junge Frauen und Männer für Airbus zu gewinnen. Dazu gehöre sowohl ein verstärktes Engagement in Schulen und Universitäten, als auch die Präsenz in den sozialen Medien. Sie selbst ist regelmäßig auf Facebook unterwegs und hat auch ein YouTube-Video von sich und den Kollegen ins Netz gestellt. „Ich habe manchmal den Eindruck, dass der Konzern eher konservativ ist und sich mit Veränderungen schwer tut“, sagt Jacobsen. „Airbus muss sexyer werden, um als Arbeitgeber langfristig attraktiv zu sein.“

In der Freizeit arbeitet die Jacobsen als Make-up-Artist

Persönlich hat Jacobsen kein Pro­blem damit, im Mittelpunkt zu stehen und sich selbst in Szene zu setzen. „Es mag Männer geben, die mich aufgrund meines Aussehens und meines Alters unterschätzen“, sagt sie. „Das aber wäre ein Fehler.“

Der Betriebsratsvorsitzenden ist es sogar gelungen, ihre Leidenschaft für Styling und für Hochzeiten mit ihrer Arbeit bei Airbus in Einklang zu bringen. Neben dem Job hat sie nicht nur das Studium in Wirtschaftsrecht absolviert, sondern auch noch eine Weiterbildung als Make-up-Artist abgeschlossen. Am Wochenende schminkt sie angehende Bräute und kümmert sich um das passende Hairstyling. „Das ist ein schöner kreativer Ausgleich zu meiner Arbeit im Werk.“ Sie selbst ist zwar noch verheiratet, hat sich aber gerade neu verliebt und lässt sich von ihrem ersten Mann scheiden.