Hamburg. Workshops bei Lieferanten in Asien sollen helfen, Löhne und Sicherheit in Fabriken zu erhöhen. Unabhängige Experten sind skeptisch.

Manchmal gehen Ying Sun die Veränderungen in ihrem Land einfach nicht schnell genug. „Die Arbeitsbedingungen verbessern sich langsam, aber es ist noch ein weiter Weg“, sagt die 37 Jahre alte Juristin, die als Tochter zweier Ärzte in der Stadt Wuhan in Zentralchina aufwuchs und in Harvard Jura studierte. „Es gibt Rückschläge, aber auch Fortschritte.“

Ying Sun ist das, was der Hamburger Handelskonzern Tchibo eine Trainerin nennt: In Zusammenarbeit mit Fabrikbesitzern und Arbeitern soll sie dafür sorgen, dass sich die Zustände bei den Lieferanten ändern, die Tchibo mit T-Shirts, Jacken, Uhren oder anderen Produkten der Eigenmarke TCM versorgen. Es geht um höhere Löhne, weniger Überstunden oder Fragen der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes.

40 dieser Trainer beschäftigt der Handelskonzern im Rahmen seines Programms WE, das für „Worldwide Enhancement“ oder „weltweite Verbesserung“ steht. 320 Fabriken in neun Ländern nehmen an dem Programm teil, drei Viertel aller Tchibo-Artikel sollen mittlerweile aus diesen Produktionsstätten stammen.

Aufgelegt hat der Konzern das Projekt nicht aus freien Stücken, sondern nach der massiven Kritik von Nichtregierungsorganisationen in den Jahren 2005 und 2006. Die Kampagne für Saubere Kleidung etwa nahm Tchibo und Konkurrenten damals wegen der schlechten Zustände in Fabriken in Bangladesch unter Beschuss. Das Unternehmen reagierte, indem es frühere Aktivistinnen anheuerte und sie mit der Umsetzung des WE-Programms betraute. „Wir setzen vor allem auf den Dialog mit den Fabrikmanagern, weil reine Kontrollen nach unserer Erfahrung nicht zum Erfolg geführt haben“, sagt die Leiterin des Geschäftsbereichs Lieferantenbeziehungen, Nanda Bergstein. „Wenn die Manager nicht überzeugt sind, dass verbesserte Arbeitsbedingungen auch ihnen etwas bringen, dann entwickeln sie Ausweichstrategien oder frisieren die Bücher, um den Anschein zu erwecken, dass alles in Ordnung ist.“

In der Praxis greifen Trainerinnen wie Ying Sun auf Workshops zurück, in denen die Beschäftigten der Lieferanten ermutigt werden, Probleme in ihrem Betrieb anzusprechen. „Viele Mitarbeiter bekommen so zum ersten Mal überhaupt eine Stimme“, sagt Sun. In einer Bekleidungsfabrik in der Nähe von Shanghai mussten die Mitarbeiter beispielsweise pro Tag drei, teils unbezahlte Überstunden leisten, viele bekamen ihre Familien aufgrund der langen Arbeitszeiten kaum noch zu Gesicht. „Die Lösung bestand darin, dass der Fabrikbesitzer effizientere Maschinen angeschafft hat, wodurch die Zahl der Überstunden reduziert wurde“, erzählt Sun. Auch sei die Bezahlung der Näherinnen erhöht worden.

In Bangladesch ist es nach den Worten einer anderen Trainerin gelungen ein Problem mit Beschäftigten zu lösen, die von ihren Vorarbeitern angeschrien und drangsaliert wurden, weil sie nur unregelmäßig zur Arbeit erschienen. Im Dialog stellte sich heraus, dass in dem Betrieb überhaupt kein funktionierendes System existierte, um sich abzumelden oder einen Urlaub zu beantragen.

Sind Lieferanten nicht bereit, sich auf einen Dialog einzulassen, beendet Tchibo die Geschäftsbeziehungen nach eigenen Angaben. Im Rahmen des WE-Programms soll dies in 20 Fällen so geschehen sein. Insgesamt hat sich die Zahl der Fabriken, die weltweit für Tchibo fertigen, von 3000 im Jahr 2011 auf 1200 reduziert.

Trotz erster Erfolge sind die Zustände bei vielen Tchibo-Lieferanten immer noch schlecht. Wie bei den meisten Konkurrenten auch bekommen die Beschäftigten nicht mehr als den jeweiligen Mindestlohn im Land. In China liegt dieser für eine Näherin bei 230 bis 290 Euro monatlich, im bitterarmen Bangladesch gerade mal bei umgerechnet etwa 60 Euro pro Monat.

„In Bangladesch werden nach wie vor Hungerlöhne gezahlt, die für das Überleben nicht ausreichen“, sagt Gisela Burckhardt von der Kampagne für Saubere Kleidung. „Wenn Tchibo wirklich etwas bewirken will, sollte das Unternehmen Lieferanten besser bezahlen und sie zugleich zu höheren Löhnen verpflichten.“ Auch lasse die Transparenz zu wünschen übrig. So veröffentliche das Unternehmen nicht die Liste seiner Lieferanten.