Hamburg. Toomas Hendrik Ilves, Staatsoberhaupt von Estland, kritisiert bei seinem Besuch in Hamburg zu hohe rechtliche Komplexität in der EU.

Die Chancen des digitalen Wandels sind enorm, die Staaten müssen sie aber auch nutzen. Wie das geht, weiß kaum ein Präsident so gut wie Toomas Hendrik Ilves, Staatsoberhaupt von Estland, der am Donnerstag zu Gast in Hamburg war, im Rahmen seines viertägigen Deutschlandbesuchs. „E-Estonia“ ist das Markenzeichen des baltischen Landes. „E“ steht für elektronische Dienstleistungen und eine Durchdringung mit digitaler Kommunikationstechnologie, die in Estland wohl so umfassend ist wie in keinem anderen Land der Erde. Von papierlosen Kabinettssitzungen mit Laptops bis hin zu voll mit dem Internet verbundenen Schulen oder elektronischen Zahlungsverkehren ist das Land längst in der vernetzten Zukunft angekommen.

Das allein allerdings nützt Estland nicht viel. „Die Europäische Union hat 28 Mitgliedstaaten und 28 verschiedene Märkte für Informationstechnologie“, sagte Ilves bei der Veranstaltung „Estland – digitaler Vorreiter in der EU“ in der Handelskammer Hamburg. „Es ist in Europa schwerer, Elektronen über Grenzen zu bewegen als materielle Güter“, sagte er in Anspielung etwa auf viele verschiedene Urheberrechte in Europa. Wenn dies nicht verbessert werde, „verlieren wir immer mehr der besten Köpfe aus der digitalen Wirtschaft zum Beispiel an die USA“.

Ähnlich äußerte sich Estlands Präsident bei der Konferenz der Europaminister und -bevollmächtigten der Länder in Hamburg. „Wir haben ein exponentielles Wachstum der digitalen Speicherkapazität, aber wir entwickeln uns nicht exponentiell“, sagte Ilves. Die Gesetze in der EU benötigten dringend eine zeitgemäße Ausgestaltung. Besonders in Deutschland sei der Widerstand gegen eine Veränderung des Datenschutzes stark, sagte Ilves. Zugleich sei Deutschlands Industrie unter den Vorreitern für die „Industrie 4.0“, einer Technologie, die mit einem ständigen Austausch von Daten aller Art verbunden sei. Beides zusammen werde auf die Dauer nicht funktionieren.

Ilves und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) betonten in der Handelskammer die umfangreichen und historisch langen Bindungen zwischen Hamburg und Estland – beide Regionen waren einst Knotenpunkte des Städte- und Handelsbündnisses der Hanse. Seit dem Ende der Sowjetunion und Estlands wieder errungener staatlicher Unabhängigkeit im Jahr 1991 sind Hamburg und Estland wirtschaftlich erneut eng verbunden.