Die Bahn hat keinen Notfall-Fahrplan. Privatbahnen und Fernbusse bieten Alternativen. Die Lokführer der GDL setzen auf Guerilla-Taktik.

Hamburg/Frankfurt/Main. Gibt es noch eine Chance, den neuerlichen Streik der Lokführer der Gewerkschaft GDL bei der Deutschen Bahn abzuwenden? Hunderttausende Fahrgäste im Fernverkehr sowie Pendler schauen mit Bangen auf die Gespräche und Signale aus beiden Lagern. Sollte sich die Ankündigung eines 100-Stunden-Streiks bewahrheiten, wird das Chaos im Vor-Wochenend-Verkehr und darüber hinaus gewaltig sein. Denn auch am Tag nach ihrer Streikankündigung hat die GDL Bahnreisende im Ungewissen gelassen. Sie machte keine Angaben zu einem Termin und zur Dauer ihres nächsten Ausstands.

Die Deutsche Bahn zeigte sich derweil optimistisch, den Streik noch abwenden zu können. Beide Seiten stünden in Kontakt und seien „nahe an einer Verständigung“, sagte Personalvorstand Ulrich Weber. Zwar sei der Tarifkonflikt unverändert „komplex und kompliziert“, sagte Weber weiter. Die Bahn sehe aber bislang keine Veranlassung, in den Fahrplan einzugreifen und provisorisch weniger Züge fahren zu lassen.

Zudem habe die Bahn ein Spitzengespräch angeboten. Es bestehe weiter die Möglichkeit, sich „in kleiner Runde einzuschließen“, bis ein Ergebnis über das weitere Vorgehen gefunden sei, sagte Weber. Nun sei die GDL am Zug, sich zu bewegen.

GDL-Chef Claus Weselsky hatte zuvor die Entscheidung für einen siebten Streik in dem turbulenten Tarifkonflikt verteidigt. „Ja, es muss sein“, sagte er im ZDF-„Morgenmagazin“. Die GDL werde den Ausstand rechtzeitig ankündigen, ergänzte er, ohne Details zu nennen. „Wir streiken für etwas, was uns zusteht“, betonte Weselsky.

Der GDL-Chef warf der Deutschen Bahn eine „konzeptlose Verhandlungsführung“ vor. „Wir haben nicht einmal über Inhalte verhandeln können“, sagte er im ZDF mit Blick auf die bisherigen Gesprächsrunden. „Jetzt verhandeln wir über Strukturfragen, wir sind an derselben Stelle wie vorher“, kritisierte er.

Die Gewerkschaft hatte in den vergangenen Monaten bereits sechsmal zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen. Die Ausstände kosteten die Deutsche Bahn bisher 150 Millionen Euro. Die GDL hatte die Tarifverhandlungen in der vergangenen Woche für gescheitert erklärt, weil die Deutsche Bahn nach ihrer Darstellung erneut identische Tarifabschlüsse von GDL und EVG zur Bedingung gemacht hatte.

In Niedersachsen und Bremen können streikgeplagte Bahnfahrer ausweichen. Auf mehr als der Hälfte der Strecken sind inzwischen Wettbewerber der Deutschen Bahn unterwegs, die von einem Streik nicht betroffen wären. Diese hatten ihre Bahnen bei den letzten Streiks teils auch an S-Bahnstationen der Deutschen Bahn halten lassen, um Pendlern ein Weiterkommen zu ermöglichen. Der Metronom pendelt auf den Strecken von Hamburg nach Cuxhaven, Bremen und Göttingen. Die Nordwestbahn fährt von Osnabrück aus nach Bielefeld, Bremen und Wilhelmshaven sowie von Wilhelmshaven nach Bremen und Esens. Auch die Linien von Bünde über Hameln und Hildesheim nach Bodenburg sowie von Kreiensen und Göttingen Richtung Paderborn werden bedient und auch die Regio-S-Bahn in Bremen.

Erixx bietet Anschluss auf den Strecken Hannover-Soltau-Buchholz, Bremen-Soltau-Uelzen, Uelzen-Braunschweig und Lüneburg-Dannenberg. Außerdem geht es von Hannover und Braunschweig nach Goslar. Die Westfalenbahn fährt von Bad Bentheim über Rheine und Osnabrück nach Bielefeld. Cantus fährt stündlich von Göttingen Richtung Kassel und Fulda. Die EVB fährt zwischen Buxtehude und Bremerhaven. Arriva setzt Bahnen von Leer über Weener ins niederländische Groningen ein.

Auf vielen Strecken bietet auch der Fernbus eine Alternative zur Bahn. Der Berlinlinienbus etwa pendelt viermal täglich zwischen Hannover, Braunschweig und Berlin. Der ADAC-Postbus fährt von Hamburg über Hannover und Göttingen Richtung Stuttgart sowie Nürnberg und München sowie aus dem Ruhrgebiet über Braunschweig, Wolfsburg und Magdeburg nach Berlin. Das weit verzweigte Liniennetz von MeinFernbus/Flixbus sieht Halte auch außerhalb der Großstädte vor, unter anderem in Bergen, Celle, Wolfenbüttel, Hameln, Salzgitter Goslar, Emden oder Melle.

Wirtschaft: Streik der Bahn kostet Hunderte Millionen

Aus Wirtschaft und Politik kam unterdessen Kritik an der neuerlichen Streikankündigung. Der Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Martin Wansleben, warnte in der „Bild“-Zeitung vor großen Schäden für die deutsche Wirtschaft. Ein längerer Bahnstreik könne sich „als Bremse für die Konjunktur“ erweisen. Nach mehreren Streiktagen belaufe sich der Schaden für die Wirtschaft schnell auf „eine halbe Milliarde Euro“.

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) warnte vor den Auswirkungen des Streiks auf dem Land: „Vier von zehn“ Beschäftigten im ländlichen Raum würden zur Arbeit pendeln, viele von ihnen hätten „keine Alternative zur Bahn“.

Im Gegensatz zu den Verhandlungen mit der GDL zeigte sich Bahn-Vorstand Weber über die Tarifverhandlungen mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) erfreut: „Wir haben Fortschritte gemacht und sind in inhaltliche Diskussionen eingestiegen“, sagte Weber.

Für die Lokführer steht beim Streik viel auf dem Spiel

Auch die EVG sprach von guten Verhandlungen. „In allen drei Punkten, die wir in die siebte Verhandlungsrunde eingebracht haben, konnten wir Einigkeit über den weiteren Verfahrensweg erzielen“, erklärte EVG-Verhandlungsführerin Regina Rusch-Ziemba. Bahn und EVG hatten sich am Mittwoch in Frankfurt am Main zu Gesprächen getroffen.

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Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) verfolgt in der Tarifauseinandersetzung mit der Bahn mehrere Ziele. Es sind zum einen klassische Gewerkschaftsforderungen zu den Arbeitsbedingungen: Fünf Prozent mehr Geld, eine Stunde weniger Arbeit pro Woche und eine Begrenzung der Überstunden auf 50 pro Jahr.

Die anderen Ziele sind diejenigen, um die beide Seiten so heftig ringen und die bislang zu sechs Streiks geführt haben. Mit ihnen will die vergleichsweise kleinen Spartengewerkschaft GDL (34.000 Mitglieder) ihren Einflussbereich vergrößern und die eigene Existenz sichern.

Konkret geht es darum, eigenständige Tarifverträge auszuhandeln, nicht nur für Lokführer, sondern auch für andere Gruppen des Zugpersonals, vor allem für Zugbegleiter und Lokrangierführer.

Die GDL behauptet, der Konzern wolle ihr das nicht zugestehen. Sie solle sich letztlich den Tarifregeln unterordnen, die die größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) für diese Berufe aushandelt. Die Bahn bestreitet das zwar, stellt aber immer wieder klar, dass sie – egal wie die Tarifstruktur künftig aussieht – keine zwei unterschiedlichen Tarifverträge für ein und dieselbe Berufsgruppe.