Bei einem medizinischen Notfall auf der Plattform eines Offshore-Windparks war die Versorgung bisher sehr schwierig. Betriebsärztin Eva-Sabine Neuhöfer hat ein Notfallsystem für die Branche entwickelt.
Hamburg. Eva-Sabine Neuhöfer hat ihr Berufsleben nah am Wasser gebaut. Die gelernte Krankenschwester und studierte Medizinerin diente lange Zeit als Inselärztin auf Norderney. Mitunter ging sie auch mit dem dort stationierten Seenotrettungskreuzer „Bernhard Gruben“ auf Noteinsatz in schwere See. Sturmumtost ist ihr Arbeitsplatz heutzutage zwar nicht mehr, dem Meer zugewandt aber noch immer. Als Betriebsärztin mit Sitz in Hamburg ist Neuhöfer nun zuständig für Standorte von Siemens in Norddeutschland.
Seit 2011 arbeitet die Anästhesie- und Intensivärztin Neuhöfer, 48, bei Deutschlands größtem Elektronikkonzern. So trägt sie Mitverantwortung auch für die Gesundheit einer steigenden Zahl von Technikern und Ingenieuren, die vor den deutschen Küsten arbeiten. Von Hamburg aus wird das internationale Geschäft mit Windkraft bei Siemens gesteuert, aber auch für die Landanschlüsse von Offshore-Windparks. Für diese Verbindungen werden immer mehr Umspannwerke auf der Nordsee installiert. Die Sicherheitstrainings für Mitarbeiter von Offshore-Windparks sind streng. Doch es gibt bislang auf den Plattformen kein Versorgungssystem für schwere medizinische Notfälle – deshalb entwickelte Neuhöfer selbst eines.
„In keinem anderen Land werden bislang Windparks so weit entfernt von der Küste betrieben wie in Deutschland“, sagt die Ärztin in ihrem Büro in der Siemens-Zentrale für Norddeutschland am Lindenplatz. „Die deutsche Offshore-Windenergiebranche ist noch jung. Es gab keine fertigen Lösungswege für die offenen Fragen, die sich stellten – medizinisch wie auch logistisch und rechtlich war die Erarbeitung eines Notfallkonzepts deshalb für uns eine Herausforderung.“
Entscheidend ist die Frage, wie Menschen auf Offshore-Plattformen im Notfall versorgt werden können, wenn kurzfristig kein Schiff und kein Rettungshubschrauber dorthin gelangen kann, vor allem bei Sturm. Immer mehr Umspannwerke für die Windkraft werden auf See installiert, die zumeist zwar permanent besetzt sind, wegen der geringen Zahl an Mitarbeitern aber nicht über ein vollwertiges Hospital mit einem Arzt vor Ort verfügen. „Mein Anliegen ist, dass wir die Mitarbeiter auf den Offshore-Plattformen bestmöglich versorgen können, wenn etwas passiert“, sagt Neuhöfer. „Es geht vor allem auch darum, erst einmal einen für Beschäftige und Unternehmen praktikablen Weg für solch ein System zu beschreiben und umzusetzen. Die Zukunft wird zeigen, ob daraus dann ein Industriestandard wird.“
Neuhöfers System basiert auf Ferndiagnose und Anleitung via Telefon, Internet und Computer. Zu den Besatzungen auf den Plattformen zählen immer auch ausgebildete Rettungssanitäter. Sie müssen instruiert werden, wenn an Bord ein Unfall mit Blutungen, Organquetschungen, Knochenbrüchen oder Kreislaufversagen geschieht. Auch eine plötzlich ausbrechende Krankheit kann sich zum Notfall entwickeln.
„Wir haben eine High-End-Lösung entwickelt, mit Blick auf das Monitoring eines Patienten und auf die Übertragung in Echtzeit durch eine Datenstandleitung“, sagt Neuhöfer, die seit vielen Jahren beratend in Fachgremien an der Entwicklung von Offshore-Nothilfestandards arbeitet. Geräte zur bildgebenden Diagnostik wie etwa Ultraschall oder auch Blutdruckmessgeräte stehen auf den bereits ausgerüsteten Plattformen zur Verfügung. Die Kommunikation läuft im Notfall zwischen dem zuständigen Rettungszentrum an Land und dem Sanitäter auf dem Meer. „Der Bildschirm des Monitoring-Gerätes auf den Offshore-Plattformen ähnelt dem einer Intensivstation in einer Klinik“, sagt die Ärztin.
Siemens hat die ersten Umspannwerke für den Netzbetreiber Tennet bereits auf der Nordsee installiert. Nach und nach gehen die mehrere Tausend Tonnen schweren Anlagen in Betrieb und wandeln den Strom aus Meereswindparks von Wechselstrom in Gleichstrom um. In dieser Form wird der Strom effizient über Dutzende Kilometer weit an Land geleitet. „Anfang Dezember haben wir das neue Notfallsystem auf unserem Umspannwerk ,BorWin 2‘ und Mitte Dezember auf ,SylWin‘ eingeführt, nun folgt ,HelWin 1‘“, sagt Neuhöfer und zeigt auf ihrem Computer Fotos der Minilazarette, die sie auf den Siemens-Plattformen aufgenommen hat. Die Anlagen stehen auf offener See vor den Inseln Borkum, Sylt und Helgoland. „In der Aufbauphase galten die Installationen rechtlich als Baustellen, was sie nach und nach aber nicht mehr sind“, sagt Neuhöfer. „Schiffe, für die wiederum klare rechtliche Regelungen gelten, sind sie aber auch nicht.“ In dieser rechtlich noch unerschlossenen Region erwies es sich auch als schwierig, den Nachschub für die unverzichtbaren Medikamente zu sichern. „Gemäß dem deutschen Arzneimittelgesetz dürfen rezeptpflichtige Medikamente nur von Ärzten verschrieben und von Apothekern ,in Verkehr gebracht‘ werden“, sagt Neuhöfer.
„Einen entsprechend sicheren Versorgungsweg mussten wir für die Medikamente aufbauen, die bei Bedarf auf einer Offshore-Plattform verabreicht werden.“ Die Sicherheit muss unter allen Umständen gewährleistet sein – Sicherheit für die Mitarbeiter auf den weit entfernten Plattformen, aber auch gegen den Missbrauch von Medikamenten auf hoher See.