Bürgerinitiativen in Mecklenburg-Vorpommern begehren gegen Offshore-Parks auf. Insbesondere Tourismushochburgen entlang der Ostseeküste fühlen sich von den Meereskraftwerken bedroht.
Rostock. Mehrere Jahre lang galt die Windenergie als wichtigster Baustein für die industrielle Zukunft Mecklenburg-Vorpommerns. Einen wertvollen Beitrag zur Energiewende, Arbeitsplätze, Milliardenumsätze – endlich hätte der strukturschwache Nordosten etwas, mit dem er zu den oft übermächtig erscheinenden Bundesländern im Süden in Konkurrenz treten könnte. Genau diese Länder wären Hauptabnehmer des produzierten Stroms – für das Selbstbewusstsein des Ostseelandes ein reizvoller Gedanke.
Doch eine derzeit in ihrer Größe nicht abschätzbare Gruppe von Kritikern teilt diese Euphorie nicht. Deutlicher Ausdruck ist die Gründung des Bündnisses „Freier Horizont“ im November 2014, in der sich rund 40 Bürgerinitiativen versammeln. Sie protestieren gegen den ihrer Ansicht nach unkontrollierten Ausbau der Windkraft und sprechen von Horrorlandschaften. Die Aussicht auf Arbeitsplätze und finanzielle Vorteile für das Land und für sie selbst erscheint ihnen wenig verlockend, im Vergleich zu dem vermuteten Verlust an Lebensqualität.
Energieminister Christian Pegel (SPD) indes sieht das Land bei der Windenergie in der gleichen Startposition wie andere Bundesländer: „Generell ist die Windkraft ein bedeutender Wachstums- und Jobmotor“, sagt er. „Insbesondere die Offshore-Windparks sind ein wesentlicher Baustein der Energiewende.“ Pegel reist unermüdlich durch Mecklenburg-Vorpommern und stellt die Pläne vor. Er verweist auf schwindende Gelder aus Brüssel und Berlin. Nur mit einer starken Industrie seien diese Herausforderungen zu bewältigen. Und er betont, dass die Bürger sich an der Landesraumentwicklungsplanung (LEP) beteiligen können.
Der Vorsitzende von „Freier Horizont“, Norbert Schumacher, zweifelt hingegen an der Bereitschaft der Landesregierung, an wesentlichen Teilen der Planungen Abstriche zu machen. Er geht davon aus, dass nach Abschluss der Planungen und Anhörungen Gerichtsprozesse folgen werden.
Die norddeutschen Bundesländer besitzen – durch die Windkraft an Land wie auch auf See – das größte Potenzial zur Umsetzung der Energiewende in Deutschland. Doch nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern gibt es Widerstand gegen den Bau von Windparks. In Hamburg-Bergedorf entschied eine Bürgerinitiative einen Bürgerentscheid gegen den Austausch kleinerer durch größere Windturbinen für sich. Die Pläne werden aber realisiert, weil die Hamburgische Bürgerschaft den Bürgerentscheid überstimmte. In Bargteheide im schleswig-holsteinischen Landkreis Stormarn wehren sich Anlieger heftig gegen den Bau eines Windparks.
In Mecklenburg-Vorpommern fühlen sich insbesondere Tourismushochburgen entlang der Ostseeküste bedroht. Denn laut LEP können Windparks bis zu sechs Kilometer vor der Küste gebaut werden. „Einer der zentralen Wirtschaftszweige ist in ernsthafter und gleichzeitig gut begründeter Sorge“, sagt der Sprecher des Landestourismusverbands, Tobias Woitendorf. Es fehle das Gefühl der Sicherheit, dass die Ziele des Tourismus und der Windenergie in Einklang gebracht werden können. Der Verband fordert eine umfangreiche wissenschaftliche Begleitung, denn derzeit gebe es nur verschiedene Szenarien und Annahmen. „Wir gehen davon aus, dass die Sorge von der Landesregierung ernst genommen wird.“
Diese Sorge wird mit teils großen Emotionen vorgetragen. „Warum sollen wir uns unsere wunderschöne Ostseeküste verschandeln lassen?“, fragte jüngst eine Anwohnerin von Graal-Müritz bei einer Anhörung. Dort könnte nahe der Küste ein Windpark entstehen. Sie wehrte sich gegen die ihrer Ansicht verniedlichenden Argumente, dass sich die Anwohner und die Gäste schnell an den Windpark gewöhnen würden. „Es gibt keinen ruhigen Punkt mehr in der Ostsee.“ Es sei ein Unterschied, ob irgendwo ein starrer Schornstein steht oder ein Windrad, das ständig in Bewegung ist. „Diese Unruhe macht die Menschen krank“, klagte sie.
Der Vorsitzende des Windenergie-Netzwerks Mecklenburg-Vorpommern, Andree Iffländer, sieht sich bei diesen Ängsten in einer ihm bekannten Verteidigungsposition. „Die Menschen glauben nicht den Prognosen, sie glauben nur ihren Ängsten.“ Er verweist auf die Erfahrungen bei der Planung des Windparks „Baltic 1“ vor dem Darß. Dort stehen in 16 Kilometern Entfernung zur Küste 21 Windräder. „Kein Gast ist weggeblieben“, betont Iffländer nach der bald vierjährigen Betriebsdauer.
Gleichzeitig führt er aktuelle dänische Pläne an, nach denen Windparks künftig schon vier Kilometer vor der Küste stehen könnten. „Die Pläne in Mecklenburg-Vorpommern sind nicht so dramatisch, wie man glauben machen will. Diese Hysterie hilft uns nicht.“ Iffländer weiß aber, dass seine Branche sensibel mit den Menschen umgehen muss, doch der Weg sei richtig. Völlig falsch wäre es, nun innezuhalten und wertvolle Zeit zu verlieren. Um die Ängste zu mindern, hat das Netzwerk eine Simulation anfertigen lassen, wie sich die Windräder künftig am Horizont abzeichnen könnten.
„Die erneuerbaren Energien sind eine große Chance für unser Land. Diese Chance will die Landesregierung nutzen“, bekräftigt Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD). „Und deshalb werden wir bei diesem Thema standhaft bleiben und nicht jedem Protest nachgeben können.“ Die Zeichen stehen momentan nicht auf Beruhigung.