Shell arbeitet mit anderen Unternehmen am Aufbau einer Infrastruktur für den Sprit der Zukunft. Um die Energiedichte wie beim Sprit zu erreichen, muss der Wasserstoff hoch komprimiert werden.
Hamburg. Andreas Pagel nimmt den Tankstutzen aus der Halterung, fixiert ihn am Einfüllstutzen seines Wagens. Er gibt eine Abrechnungskarte und einige Daten in das Display der Station an der Bramfelder Chaussee ein. Mit einem Summen läuft der Tankvorgang, der eher an das Aufpumpen von Autoreifen als an das Befüllen eines Benzintanks erinnert. Der Füllstand eines Wasserstofftanks hängt – anders als bei Benzin und Diesel – vor allem vom Druck ab.
Um im Tank die gleiche Energiedichte wie bei herkömmlichem Sprit zu erreichen, muss der Wasserstoff hoch komprimiert werden. Bei rund 740 bar – dem 370-fachen Druck eines Autoreifens – ist Pagels Wagen aufgetankt: „Unser Testfahrzeug von Daimler, eine Mercedes-B-Klasse mit Brennstoffzellenantrieb, hat mit 3,5 Kilogramm Wasserstoff in drei separaten Tanks etwa 350 Kilometer Reichweite“, sagt der Shell-Manager. „Das Kilogramm Wasserstoff verkaufen wir derzeit für 9,50 Euro. Das entspricht, auf die Fahrleistung berechnet, dem marktüblichen Preis von Benzin und Diesel.“
Der gebürtige Hamburger Pagel, 42, arbeitet bei Shell, einem der weltweit führenden Energiekonzerne, an einer völlig neuen Form der Kraftstoffversorgung. Vor wenigen Jahren noch undenkbar, nähern sich Automobile ausgestattet mit Brennstoffzelle und Wasserstofftanks der Serienreife. Wasserstoff wird per Elektrolyse gewonnen, der Trennung von Wasser in seine chemischen Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff. In den Prozessen der chemischen Industrie und der Metallbranche fällt Wasserstoff häufig als Nebenprodukt an und wird in Großanlagen dann auch wieder verbrannt.
Dabei entstehen Strom und Wärme
Zunehmend aber werden Elektrolyseanlagen speziell dafür errichtet, um mit Wasserstoff Brennstoffzellenfahrzeuge anzutreiben. Die Metropolregion Hamburg zählt zu den Vorreitern bei der Erzeugung von Wasserstoff speziell mit Strom aus erneuerbaren Energien wie vor allem der Windkraft, aber auch beim Einsatz des Gases in Brennstoffzellen von Autos und Bussen. In einer Brennstoffzelle wird Wasserstoff wieder mit Sauerstoff zusammengeführt. Dabei entstehen Strom und Wärme – und als Abgas lediglich Wasserdampf.
In der Industrieinitiative „H2 Mobility“ – H2 ist die chemische Formel für Wasserstoff – wollen sechs Unternehmen bis zum Jahr 2023 ein Netz von 400 Wasserstofftankstellen in Deutschland aufbauen, damit Nutzer von Brennstoffzellenautos überall an ihren Kraftstoff kommen: die Industriegaseanbieter Air Liquide und Linde, die Energiekonzerne Shell, Total und OMV, der Automobilhersteller Daimler.
Bis zum Jahresende, hoffen die Beteiligten, gibt das Bundeskartellamt dafür seine Zustimmung. Dann kann das Gemeinschaftsunternehmen bereits zum 1. Januar 2015 den Betrieb aufnehmen. Innerhalb der kommenden vier Jahre sollen zunächst insgesamt 100 Stationen eröffnet werden.
Derzeit gibt es in ganz Deutschland nur 16 öffentliche Säulen für die Wasserstoffversorgung, davon drei in Hamburg. Seit 2012 betreibt Shell die Zapfsäule an seiner konventionellen Tankstelle an der Bramfelder Chaussee mit einer täglich möglichen Abgabemenge von 40 Kilogramm, zudem die weltweit größte öffentliche Wasserstofftankstelle am Sachsendamm in Berlin mit 1000 Kilogramm Tageskapazität.
Wir können von Preisschwankungen profitieren
Noch im vierten Quartal dieses Jahres will Shell an der Hamburger Schnackenburgallee eine weitere Wasserstoffstation in Betrieb nehmen: „Der Unterschied zu unseren bisherigen Stationen in Berlin und Hamburg ist, dass wir den Wasserstoff dort per Elektrolyse selbst herstellen“, sagt Pagel. „Wir nutzen dabei die starken Schwankungen im Stromnetz angesichts der wachsenden Einspeisungen aus erneuerbaren Energien.
Unser wirtschaftlicher Vorteil ist, dass wir dadurch auch von Preisschwankungen profitieren können. Technologisch leisten wir durch die Abnahme von Strom zu Zeiten eines besonders hohen Angebots einen Beitrag zur Stabilisierung des Netzes.“ Pagel, Vater zweier Kinder von 16 und 21 Jahren, studierte an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) Verfahrens- und Chemietechnik, bevor er 1997 zu Shell ging.
Dort beschäftigte er sich zunächst mit Benzin und Diesel, mit Raffinerien und Tanklagern. 2012 wechselte er als Global Hydrogen Operations Manager, zuständig für den Bau und den Betrieb von Stationen, in den Wasserstoffbereich, der bei Shell unter dem Dach von Forschung und Entwicklung steht. Der US-Bundesstaat Kalifornien sowie Deutschland sind Pagels Kernregionen für den Aufbau des Wasserstoffgeschäfts bei Shell – zehn Mitarbeiter sind damit international beschäftigt, davon fünf in Hamburg. Regelmäßig bereist Pagel die Westküste der USA.
Bislang stammt der Wasserstoff aus der Industrie
In Kalifornien geht es vorrangig darum, mithilfe von Wasserstoffantrieben in Autos, Bussen und Lastwagen den Smog zu bekämpfen. In Deutschland ist Wasserstoff als Energiespeicher ein wesentlicher Teil der Energiewende. Um die schwankenden Erträge etwa aus Windkraft und Solaranlagen zu verstetigen, braucht man massentaugliche Speicher.
Der Erzeugung, Speicherung und Nutzung von Wasserstoff wird dabei das größte Potenzial zugesprochen. „Das Ziel meines Teams ist es, dieses wachsende Netz von Wasserstofftankstellen mittelfristig in unsere Vertriebsorganisation für die Tankstellen zu überführen“, sagt Pagel.
Bislang stammt der Wasserstoff für die wenigen Stationen vor allem aus der Industrie. Die Shell-Tankstelle in der Bramfelder Chaussee etwa wird mit Wasserstoff des Chemiekonzerns Dow Chemical aus Stade versorgt. Die ökologisch ideale Wirkungskette im Straßenverkehr wäre erreicht, wenn mit Strom aus erneuerbaren Energien Wasserstoff für den massenhaften Einsatz in Fahrzeugen mit Brennstoffzellen erzeugt und genutzt werden könnte – zu alltagstauglichen Preisen.
Bislang gibt es in Deutschland nach Information des Kraftfahrtbundesamtes nur 174 Fahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb, praktisch alle sind Prototypen. Doch diese Zahl könnte rasch steigen. Die ersten Automobilhersteller stehen mit Brennstoffzellenfahrzeugen an der Schwelle zur Serienreife: „Das erste serienmäßige Brennstoffzellenfahrzeug der Welt ist am Markt, der ix35 von Hyundai“, sagt Pagel.
Der Elektromotor beschleunigt so zügig wie einen Sportwagen
„Toyota und Honda wollen mit eigenen Modellen 2015 folgen, Daimler 2017.“ Nach Branchenschätzungen soll der Hyundai rund 100.000 Euro kosten. Offizielle Zahlen gibt es wohl auch deshalb nicht, um potenzielle Kunden nicht zu verschrecken. Denn für den Massenmarkt müssen die Preise deutlich weiter sinken. Toyota peilt einen Preis um 35.000 bis 50.000 Euro an. Vor allem die Herstellung der Brennstoffzellen und der 700-bar-Drucktanks ist in den vergangenen Jahren deutlich günstiger geworden.
Nach dem Betanken setzt sich Pagel ans Steuer und fährt von Bramfeld zurück in die Innenstadt. Der Elektromotor mit 100 Kilowatt – 136 PS – Leistung beschleunigt den Mercedes, einen Prototyp, so zügig wie einen Sportwagen. Zu hören ist ein leichtes Rauschen. Anstelle eines Drehzahlmessers zeigt ein Instrument neben dem Tacho den Auslastungsgrad der Brennstoffzelle an.
„Ein Kollege von mir ist mit dem Auto schon bis den Norden Dänemarks gefahren. Das Land arbeitet intensiv an einem Netz von Wasserstoff-Stationen“, sagt Pagel. „Insgesamt haben wir mit dem Wagen in eineinhalb Jahren ohne Leistungsverlust gut 23.000 Kilometer zurückgelegt.“ Geräusch- und emissionsarm rollt das Auto in Richtung des Hamburger Zentrums, in die Zukunft der Automobilität.