Besonders viele kommen aus Ungarn. Studie: Unter den Einwanderern sind überdurchschnittlich viele Hochqualifizierte
Hamburg. Deutschland ist auf den Zuzug von Neubürgern angewiesen – davon ist Christina Boll, Forschungsdirektorin am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), fest überzeugt: „Bei den niedrigen Geburtenraten hierzulande brauchen wir auch Talente aus dem Ausland.“
Gleiches gilt jedoch für andere Industriestaaten, und daher gibt es einen Wettbewerb um gut qualifizierte Zuwanderer. Innerhalb Deutschlands sei Hamburg allerdings gut positioniert. Das lässt sich durch konkrete Daten belegen: Im Jahr 2013 hat die Zahl der Ausländer in Hamburg um 3,4 Prozent zugenommen, besonders groß fiel das Plus bei den Personen aus anderen EU-Staaten aus (8,7 Prozent). An der Spitze lagen dabei Ungarn (23,3 Prozent), Spanier (21,2 Prozent) und Rumänen (19,3 Prozent). „Das sind Zahlen, die beeindrucken“, so Boll. „Hamburg muss sich keine Sorgen machen.“ Seit dem Jahr 2010 wandern mehr Menschen in der Hansestadt aus dem Ausland zu als dorthin abwandern – mit steigender Tendenz. Zuletzt lag der Saldo bei rund 12.000 Personen im Jahr.
Abgesehen von den Vorteilen, die eine Millionenstadt im Standortwettbewerb habe, leiste das im Jahr 2007 eingerichtete „Welcome Center“, das Neubürgern Orientierungshilfe gibt und Unterstützung bei Formalitäten bietet, gute Arbeit: „Es ist zum Vorbild für andere Städte geworden.“ Auf der staatlichen Ebene jedoch hätten zum Beispiel skandinavische Länder früher als die Bundesrepublik erkannt, wie wichtig es sei, günstige Voraussetzungen für die Zuwanderung von gut ausgebildeten Ausländern zu schaffen, sagt die HWWI-Wissenschaftlerin, die zusammen mit dem Hamburger Bankhaus Berenberg eine Studie zur Arbeitskräftemobilität in Europa erstellt hat.
„Arbeitsmarkterfordernisse spielten in der Einwanderungspolitik Deutschlands lange Zeit eine Nebenrolle“, erklärt Boll. „Man hat zu lange darauf gesetzt, dass der künftige Arbeitskräftebedarf aus dem Inland gedeckt werden kann.“ Dies habe auch Auswirkungen auf das Bewusstsein in der Bevölkerung im Hinblick auf die Zuwanderung. Aus Umfragen in verschiedenen europäischen Staaten ergebe sich, dass etwa die Niederländer einen positiven Einfluss der Einwanderer auf den Arbeitsmarkt sehen. In Deutschland sei man nicht im gleichen Maße dieser Überzeugung.
Tatsächlich wird zuweilen aus parteipolitischen Motiven Stimmung gegen Neubürger aus dem Ausland gemacht. Von „Armutszuwanderung“, die das deutsche Sozialsystem belaste, ist da die Rede. Die Realität sieht der Studie zufolge anders aus. „Migranten sind zunehmend jung und gut gebildet“, sagt Boll. „Anders als die ‚Gastarbeiter‘ in den 1960er-Jahren wandern heute innerhalb Europas in überdurchschnittlichem Umfang hoch qualifizierte Menschen aus.“ So hätten etwa rumänische Migranten einen höheren Bildungsstand als der bundesdeutsche Bevölkerungsschnitt. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln untermauert dies. Demnach besitzen knapp 25 Prozent der erwachsenen Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien einen Hochschulabschluss, während es in der Gesamtbevölkerung hierzulande nur 19 Prozent sind.
Rund zehn Prozent aller erwachsenen Einwanderer in Deutschland hätten einen akademischen Abschluss in einem der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik), verglichen mit einer Quote von sechs Prozent der deutschen Bevölkerung.
Wie aus der HWWI/Berenberg-Untersuchung hervorgeht, erkaufen sich hoch qualifizierte Migranten ihren Arbeitsplatz im Zielland jedoch nicht selten mit einem Einsatz unterhalb ihrer formalen Qualifikationen.
Anderen Staaten wie Kanada, aber auch Großbritannien, sei es in den vergangenen Jahren allerdings besser gelungen als Deutschland, junge und hoch qualifizierte Zuwanderer anzuziehen. Dies zeige eine Momentaufnahme aus dem Jahr 2009: Damals seien die Personen, die aus Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, der Slowakei, Malta und Zypern nach Großbritannien ausgewandert sind, im Schnitt sechs Jahre jünger gewesen als die Auswanderer mit Zielland Deutschland, und sie wiesen einen um satte zwölf Prozentpunkte höheren Anteil an Hochqualifizierten auf.
Die Attraktivität Großbritanniens hänge aber nicht nur mit einwanderungspolitischen oder wirtschaftlichen Faktoren zusammen, sagt Berenberg-Volkswirt Jörn Quitzau: „Auch in Osteuropa lernt man schon in der Schule Englisch.“ Zudem fänden Zuwanderer in der Weltstadt London schnell Kontakt zu Menschen der eigenen Kultur.