Meiereien im Norden rüsten sich für das Auslaufen der EU-Quotenregelung 2015: Sie investieren 60 Millionen in ein Milchtrockenwerk, um den Export nach Fernost zu erleichtern. Ziel: der Weltmarkt.

Neumünster. Es sind Jahre vergangen, seit die Landwirte mit ihren Traktoren in die Innenstädte knatterten, mit lautem Hupen auf sich aufmerksam machten und Strohballen verbrannten. Die Proteste gegen niedrige Milchpreise, zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel, sind abgeebbt, auch wenn die Milchflut weiter zunehmen wird: Im nächsten Jahr fällt die EU-Regelung der Milchquoten. Die Landwirte werden daraufhin ihre Produktion ausweiten. Um sich nicht durch das größere Angebot selber die Preise zu verderben, haben Milchbetriebe in Schleswig-Holstein jetzt über Konkurrenzgrenzen hinweg ein einzigartiges Projekt ins Leben gerufen. In Neumünster, bequem von den einzelnen Lieferanten im ganzen Land zu erreichen, haben sie eines der modernsten Milchtrockenwerke in Europa gebaut.

In einer gemeinsamen Kraftanstrengung investierten sie mehr als 60 Millionen Euro in die Anlage, die mit ihren 50 Meter hohen Silos, den riesigen Lagerhallen und einem Geflecht aus glänzenden Edelstahlleitungen die Flachbauten im Gewerbegebiet zwischen Kiel und Hamburg überstrahlt. Die Idee der Fabrik, die jetzt in Betrieb gegangen ist: Milch aus ganz Schleswig-Holstein wird hier getrocknet, um sie haltbar zu machen und den Transport über lange Strecken hinweg zu erleichtern.

Auf diese Weise wollen die Milchbauern internationale Märkte gewinnen, nachdem in den europäischen Ländern die Nachfrage nach ihren Produkten nur noch schwach wächst. „Mit der neuen Fabrik können wir den Weltmarkt erschließen“, sagt Bernd Gewecke, 49, der in der Geschäftsführung des Milchtrockenwerks (MTW) den Vertrieb leitet.

Die Investoren aus dem Norden haben die Chinesen im Blick, die nach einem Lebensmittelskandal ihre Babys am liebsten nur noch mit aus Europa importiertem Milchpulver versorgen, die Thailänder und Inder, die sich mit wachsendem Wohlstand auch gerne mal eine Schokolade in den Kühlschrank legen. Für diverse Produkte, für Schokoriegel, Cremetörtchen oder als Ersatz für Vollmilch, importieren die Asiaten mehr und mehr getrocknete Milch. „In Fernost setzt sich ein westlicher Lebensstil durch“, sagt Gewecke, und diese Entwicklung führe zu einer erhöhten Nachfrage nach Milchpulver. Der Manager kennt den Markt für das pudrige Lebensmittel bestens. Schließlich ist der Wirtschaftsingenieur für dieses Produkt auch verantwortlich bei der Uelzena Gruppe. Die Firma mit Sitz in Uelzen hat sich aus einer Molkerei zu einer Unternehmensgruppe der Lebensmittelindustrie entwickelt, die weit über die Grenzen Deutschlands hinaus aktiv ist. Uelzena produziert heute Kakaopulver, Heißgetränke oder Sport- und Diätprodukte und beschäftigt 630 Mitarbeiter. Das Unternehmen betreibt das MTW gemeinsam mit der Meierei Barmstedt eG, der Meierei Wasbek eG und der Milchgenossenschaft Schmalfeld-Hasenmoor. Die Partner haben zu gleichen Teilen in die Anlage investiert. Die EU, der Bund und das Land förderten den Neubau zusätzlich mit fünf Millionen Euro.

Bereits zum Start der Fabrik zeichnet sich ab, dass das Kalkül der Beteiligten aufgehen wird. Die geplante Zielmenge von 60.000 Tonnen Milchpulver dürfte bereits im nächsten Jahr erreicht werden. Schon heute, ein paar Wochen nach der Eröffnung, herrscht auf dem Gelände reger Betrieb: Ein Laster nach dem anderen, bis an den Rand voll mit Rohmilch, rollt auf den Hof des Werkes. Die Wagen docken an die Tanks an und pumpen ihre Ware ab. In einer Zentrifuge wird anschließend die Sahne von der Magermilch getrennt, welche als Grundprodukt für das Pulver dient. In den Edelstahltürmen wird die Milch auf 70 Grad erwärmt, so dass überflüssiges Wasser verdampft. In mehreren Silos laufen diese Prozesse ab, bis das Pulver, ohne weitere Zusatzstoffe, reinweiß und feinkörnig, am Ende in große Säcke fällt und bereit ist für den Transport. Zum Export ins muslimische Indonesien auch in Halal-Qualität, für jüdische Kunden mit einer Zertifizierung für koschere Kost. Für den Standort in Neumünster haben sich die Betreiber dabei nicht nur wegen der Nähe zu den Milchviehhaltern entschieden – auch die Nachbarschaft zum Hamburger Hafen, der über die Autobahn bequem zu erreichen ist und mit seinen Asien-Linien als Tor nach Fernost dienen kann, war ausschlaggebend.

„Das Werk ist für 2015 und 2016 bereits ausgelastet“, freut sich Dirk Rowedder, Geschäftsführer der Meierei Barmstedt, die sich an dem Projekt beteiligt hat. Auch für Rowedder steht fest, dass sich seine Kunden, die Milchviehhalter, mit dem MTW ihre Zukunft sichern können. Zwar setzten einige Landwirte auf Spezialisierungen und verkauften Biomilch direkt im eigenen Hofladen, für die Masse der Bauern sichere aber nur der Weltmarkt den langfristigen Erfolg. Und nur mit einer Organisation an ihrer Seite, die bereits internationale Netzwerke aufgebaut hat und sich das entsprechende Know-How in der Technologie erarbeitet hat, gelinge den Mittelständlern der Eintritt in neue Absatzmärkte. Andernfalls verfalle der Milchpreis erneut, warnt Rowedder. Denn mit steigenden Kosten weiteten die meisten schleswig-holsteinischen Betriebe ihre Produktion aus, investierten in neue Flächen und kauften Vieh, um über Größeneffekte die Effizienz zu erhöhen. Derzeit liegt der Milchpreis bei komfortablen 40 Cent, die Ausgaben amortisieren sich schnell. Doch die Idylle der schwarz-bunten Wiederkäuer, die das saftige Gras auf den Ländereien zwischen Nord- und Ostsee kurz halten, trügt. Schon in wenigen Jahren könnten die Kühe im nördlichsten Bundesland doppelt so viel Milch geben, wie für den Verbrauch von klassischen Milchprodukten wie Vollmilch oder Joghurt benötigt wird. „Das Marschland in unserer Region eignet sich fast ausschließlich zur Haltung von Milchkühen“, sagt Peter Minkenberg von der Meierei Wasbek. Den Bauern blieben also praktisch keine Alternativen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

So eingeschränkt die Landwirte in ihrer Heimat im Norden auch sein mögen, so glücklich können sie sich über ihre Exportchancen schätzen: In China fahren nicht nur immer mehr Audis und Mercedes durch die Straßen, rollende Statussymbole, die für deutsche Wertarbeit stehen. Die Säcke, die im Lager des MTW, groß wie ein Fußballfeld, auf den Abtransport zu den Kunden warten, zeigen ebenfalls deutlich ihre Herkunft. Denn auch Milchprodukte sind im Reich der Mitte besonders gefragt, wenn sie den Aufdruck „Made in Germany“ tragen.