Airbus schließt Werkverträge. Die Folgen: Fünf Wochenstunden mehr und bis zu 2000 Euro weniger im Monat. Nach Abendblatt-Informationen sollen bis Jahresende 1200 von 2800 Leihkräften in Hamburg abgebaut werden.
Hamburg. Seit dem Jahr 2005 arbeitet Nils Bernbach* im Hamburger Airbus-Werk. Der staatlich geprüfte Techniker betrachtete die Beschäftigten des Flugzeugbauers, die mit ihm im gleichen Raum sitzen und wie er selbst an der Entwicklung des neuen Langstreckenjets A350 mitwirken, stets als seine Kollegen. Und doch gehörte er nicht wirklich zu ihnen, denn Bernbach war eine Leiharbeitskraft – eine „LAK“, wie es im Airbus-Kürzeljargon heißt.
Nun aber hat sich der Status des Mittdreißigers geändert. Er ist jetzt beim gleichen Arbeitgeber im Rahmen eines Werkvertrags tätig. Zwar sitzt er immer noch mit denselben Kollegen zusammen und bekommt seine Anweisungen vom selben Airbus-Teamleiter. „Aber ich verdiene jetzt 30 Prozent weniger, das Gehalt sinkt um 1500 bis 2000 Euro im Monat“, sagt Bernbach. Außerdem hat er nun 40 anstatt 35 Wochenstunden und zahlt in der Kantine deutlich mehr, weil der Essenszuschuss wegfällt.
Der Umbruch hatte sich Anfang Mai angekündigt. Auf eine Abendblatt-Anfrage bestätigte Airbus damals, man werde die Zahl der Zeitarbeiter in diesem Jahr spürbar reduzieren. Nach Abendblatt-Informationen sollen bis Jahresende 1200 von zuvor 2800 Leihkräften in Hamburg abgebaut werden. Airbus äußert sich zu dieser Zahl nicht. Die Abmeldung der Zeitarbeiter werde „mit Augenmaß“ vorgenommen, sagt Firmensprecher Florian Seidel: „Wir passen die Kapazitäten an den Bedarf an, weil in der nächsten Zeit keine gänzlich neuen Flugzeugprogramme anstehen.“ Sowohl beim A350 als auch beim A320neo sei die Entwicklung weitgehend abgeschlossen.
Bernbach kann diese Erklärung zumindest für den Bereich, in dem er tätig ist, nicht nachvollziehen: „Der A350 muss jetzt an die jeweiligen Kundenanforderungen angepasst werden, ich sehe noch kein Ende für die Entwicklungsarbeiten.“ Auch in der Produktion nimmt die Arbeit nach Einschätzung von Bernbach nicht in dem Maße ab, in dem die Zahl der Leihkräfte letztlich sinkt: „Ich habe davon gehört, dass die Fertigung zeitweise aufgrund von Personalknappheit stockt.“ Durch verbesserte Arbeitsabläufe verzeichne man „gute Fortschritte bei der Steigerung der Produktionseffizienz“, hieß es dazu von Airbus, daher benötige man pro produziertem Flugzeug immer weniger Beschäftigte.
Der Betriebsrat und die Gewerkschaft IG Metall vermuten jedoch, dass es noch ein anderes wesentliches Motiv für die Abmeldung von Leihkräften gibt: Die Bundesregierung strebt ein Gesetz an, wonach Zeitarbeiter nur noch höchstens 18 Monate bei einem Unternehmen eingesetzt werden dürfen. Damit könnte das Recht verbunden sein, sich nach Überschreiten der Frist bei dem jeweiligen Unternehmen einzuklagen. „Ich kann nicht verstehen, warum Airbus offenbar schon im Vorgriff auf ein neues Gesetz reagiert, ohne zu wissen, was überhaupt darin stehen wird“, sagt Meinhard Geiken, Bezirksleiter IG Metall Küste, dieser Zeitung. Die Menschen und ihr Know-how würden von Airbus dringend benötigt: „Hier wird ohne Personalkonzept abgebaut. Das ist erschreckend.“
Bernbach kann sich noch einen zusätzlichen Grund dafür vorstellen: Die Verringerung der Kosten gemäß der von Tom Enders, Chef der Airbus Group, geforderten Steigerung der Rendite. Denn Leihkräfte sind teuer. Airbus war Vorreiter beim sogenannten Equal-pay-Prinzip, bei dem Flugzeugbauer bekommen Zeitarbeiter schon nach dem dritten Einsatzmonat das gleiche Gehalt wie die Stammbelegschaft. An die Verleiherfirma zahlt Airbus aber nahezu den doppelten Betrag des Leiharbeitnehmereinkommens.
Dennoch werden zahlreiche Zeitarbeiter seit vielen Jahre bei Airbus eingesetzt. „Ich habe einen Kollegen, der schon 13 Jahre lang in der gleichen Abteilung arbeitet“, sagt Bernbach. „Da kann man nicht mehr von der Abdeckung von Auftragsspitzen sprechen, für die die Zeitarbeit eigentlich gedacht war.“ Als Begründung der langen Einsatzzeiten führt Airbus an, dass eben auch die Entwicklung eines Flugzeugs ungefähr acht Jahre dauere und im zurückliegenden Jahrzehnt mehrere Jet-Programme kurz nacheinander gestartet wurden. Auf Leihkräfte habe man zurückgegriffen, um nach dem Abschluss von Entwicklungsvorhaben und Hochlaufphasen die Stammbelegschaft nicht reduzieren zu müssen, sagt der Airbus-Sprecher und verweist auf den Zukunftstarifvertrag, der für fest angestellte Mitarbeiter eine Beschäftigungssicherung bis zum Jahr 2020 vorsieht.
Zudem habe das Unternehmen in den vergangenen drei Jahren mehr als 3500 Mitarbeiter in Deutschland eingestellt. Davon waren rund die Hälfte Zeitarbeitnehmer, die in das Stammpersonal übernommen wurden. Dies wurde nach den Worten von Bernbach aber nur Kollegen in wichtigen Schlüsselpositionen angeboten.
Wenn man nun bisherige Leihkräfte für erheblich weniger Geld genau die gleiche Tätigkeit im Werkvertrag ausführen lasse, sei dies „ethisch verwerflich“, findet Jan-Marcus Hinz, der Betriebsratsvorsitzende des Airbus-Standorts Hamburg. „Das ist schon dreist“, sagt Geiken. Vor allem würde eine derartige Praxis nach Einschätzung des Gewerkschaftlers gegen das Gesetz verstoßen.
Wird nämlich das Fremdpersonal behandelt wie das der beauftragenden Firma, ist es deren Führungspersonal unterstellt, und nimmt es an Teamsitzungen mit Stammpersonal teil, kann ein sogenannter Scheinwerkvertrag vorliegen – eine illegale Form der Zeitarbeit. „Wir brauchen mehr Mitbestimmungsrechte vom Gesetzgeber“, sagt Geiken. „Betriebsräte müssen besser informiert werden, wer im Betrieb auf welcher rechtlichen Grundlage arbeitet, und sie müssen in die Lage versetzt werden, derartige missbräuchliche Arbeitsverhältnisse zu verhindern.“
Um entscheiden zu können, ob in dem von Bernbach geschilderten Fall tatsächlich ein Gesetzesverstoß vorliege, müsse man zwar die Details der Vereinbarung zwischen Bernbachs Arbeitgeber und Airbus kennen, sagt der Hamburger Arbeitsrechtler Klaus Müller-Knapp, „aber es hat sehr den Anschein eines Scheinwerkvertrags“.
Ein Mitarbeiter der Abteilung Ethics and Compliance von Airbus in Deutschland kümmere sich speziell darum, dass bei Werkverträgen die gesetzlichen Regelungen eingehalten werden, sagt dazu Firmensprecher Seidel. „Unrechtmäßige Arbeitsverhältnisse sollten nicht vorkommen.“ Nach Angaben von Hinz hat der Betriebsrat vor etwa einem halben Jahr eine Arbeitsgruppe gebildet, die den Einsatz von Werkvertragskräften unter die Lupe nehmen soll. Dabei ist Bernbach nach seiner Beobachtung keineswegs der einzige bisherige Zeitarbeiter, der jetzt in einen Werkvertrag überwechselt. „Ein Kollege, der alleinstehend ist und kleine Kinder hat, weiß nun nicht mehr, wie er unter diesen Bedingungen sein Haus abbezahlen soll“, erzählt Bernbach. „Menschlich gesehen ist das ganz furchtbar.“
Die erheblich schlechteren Konditionen beim Gehalt und der Arbeitszeit ergäben sich aus der heftigen Konkurrenz unter den Airbus-Zulieferern: „Alle versuchen sich mit den Preisen gegenseitig zu unterbieten. Bei den Werkverträgen wird gefeilscht, was das Zeug hält.“ Leihkräfte, die von Airbus zu ihren Entleihern zurückgeschickt werden, aber nicht bereit sind, zu den verschlechterten Bedingungen in der neuen Vertragsform weiterzuarbeiten, gehen ein hohes Risiko ein, so Bernbach: „Sie werden im Regelfall entlassen.“ Denn für sie sei es schwierig, an einen anderen Einsatzbetrieb vermittelt zu werden: „Wer vier Jahre oder länger bei Airbus gearbeitet hat, gilt als ‚verdorben‘“. Schließlich sei man dann an sehr gute Konditionen sowie an speziell auf den Flugzeugbauer zugeschnittene Verfahren gewöhnt. Der Gefahr des Jobverlusts wollte sich Bernbach nicht aussetzen. Er ist Familienvater, sein Gehalt wird benötigt.
Etwa jeder vierte oder fünfte der nun abgemeldeten Zeitarbeiter wechsele in einen Werkvertrag, schätzt Bernbach. Dies genüge jedoch nicht, um den Personalbedarf für die anstehenden Aufgaben bei Airbus zu decken. Aufgefüllt würden die Kapazitäten von den Werkvertragsanbietern durch externes Personal, häufig aus Indien und Rumänien. Es dürfte aber mindestens ein Jahr dauern, bis neue Mitarbeiter voll einsatzfähig seien, so Bernbach. In der Zwischenzeit müsse man Qualitätsprobleme durch den Mangel an fertig eingearbeiteten Beschäftigten befürchten.
Das sieht offenbar auch mancher Airbus-Teamleiter so. Die Solidarität der Stammbelegschaft mit den Leihkräften sei in den vergangenen Wochen jedenfalls sehr ausgeprägt gewesen, sagt Bernbach: „Als bekannt wurde, dass wir Zeitarbeiter abgemeldet werden, haben Vorgesetzte von Airbus zu uns gesagt: ‚Macht jetzt keine Überstunden mehr, um dem Management zu zeigen, dass ihr weiter gebraucht werdet.‘ Das hat mich sehr beeindruckt.“
* Name von der Redaktion geändert