Die Europäische Zentralbank geht einen historisch einmaligen Weg und führt einen Strafzins für Banken ein. Alle wichtigen Fragen und Antworten zu der Entscheidung der Notenbanker.
Hamburg. Mit unkonventionellen Maßnahmen will die Europäische Zentralbank (EZB) die niedrige Inflation und die schleppende Kreditvergabe der Banken bekämpfen. Neben einer weiteren Senkung des Leitzinses wurde erstmals ein Strafzins für die Banken beschlossen. Geld, dass die Geschäftsbanken bei der EZB parken, wurde bisher schon nicht verzinst. Jetzt sollen die Banken dafür einen Strafzins von 0,1 Prozent zahlen. Der Leitzins wurde zudem um 0,1 Prozentpunkt auf 0,15 Prozent gesenkt. Seit der Einführung des Euro war Geld noch nie so billig. EZB-Präsident Mario Draghi kündigte an, notfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen. „Wir sind hier noch nicht fertig.“
Zusätzlich werden den Banken milliardenschwere Geldspritzen in Aussicht gestellt. Die Notenbank stellt den Instituten dieses Jahr zunächst 400 Milliarden Euro zur Verfügung, damit diese das Geld an Unternehmen weiterreichen und die Kredite dann die Wirtschaft beleben. Die Kreditvergabe stockt vor allem in den Ländern Südeuropas. Bald will die EZB den Banken auch verbriefte Kredite abkaufen. Das entlastet ihre Bilanz, und die Institute haben wieder neuen Spielraum für die Kreditvergabe. Experten glauben nicht daran, dass die neue Geldflut die Probleme in Südeuropa lösen wird. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag bezweifelte, dass die EZB mit dem negativen Einlagenzins die Kreditklemme lösen könne. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum hat die EZB die Zinsen noch weiter gesenkt?
EZB-Präsident Mario Draghi warnt seit Monaten vor den Gefahren zu geringer Inflation für die Konjunktur im Euro-Raum. Das Ziel liegt bei knapp zwei Prozent, die Preissteigerung in der Euro-Zone liegt aber nur bei 0,5 Prozent. Er sieht zwar aktuell keine Deflation – also eine Spirale sinkender Preise durch alle Warengruppen, bei der Verbraucher und Unternehmen in Erwartung weiter sinkender Preise Ausgaben zurückstellen und so die Konjunktur abwürgen könnten. Doch Draghi betonte mehrfach: Die Gefahren nehmen zu, je länger die Inflation niedrig bleibt.
Wie kann hier eine Zinssenkung Abhilfe schaffen?
Wenn es gelingt, die Kreditvergabe und die Konjunktur anzukurbeln, könnten die Preise wieder steigen. Bisher ist das allerdings mit den schon niedrigen Zinsen nicht gelungen. „Die niedrigen Preise sind Folge der gesunkenen Kaufkraft in den südeuropäischen Ländern, weil es dort zahlreiche Lohnkürzungen gegeben hat“, sagt Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Haspa. Denn das sei für die Länder die einzige Möglichkeit, wieder wettbewerbsfähig zu werden. „Eine höhere Kreditvergabe wird daran zunächst nichts ändern“, sagt Intelmann.
Was bedeutet die Zinssenkung für den Kurs des Euro?
„Er wird sich im Vergleich zum Dollar weiter in Richtung 1,30 Dollar bewegen“ erwartet Intelmann. Das sei auch die eigentliche Absicht Draghis, um die Exportchancen der Firmen in den Krisenländern zu verbessern. Am Donnerstag fiel der Kurs des Euro am Devisenmarkt auf nunmehr 1,35 Dollar. „Draghi möchte durch die Schwächung der Gemeinschaftswährung auch, dass Geld aus der Euro-Zone abfließt“, sagt Intelmann.
Gibt es schon Erfahrungen mit negativen Zinsen?
Die dänische Notenbank hat in den vergangenen zwei Jahren mit solchen Strafzinsen experimentiert. Erst Ende April hat sie ihren Einlagenzins von minus 0,1 auf plus 0,05 Prozent angehoben. Als sich die Euro-Krise 2012 zuspitzte, verkauften Anleger Euro und erwarben dafür dänische Kronen, da Dänemark finanziell solide dasteht. „Es war ein effizientes Werkzeug, um unerwünschte Kapitalzuflüsse zu vermeiden“, sagt Dänemarks Notenbankchef Lars Rohde. Auch die Banken seien dadurch nicht zu stark belastet worden. Allerdings haben sie den Strafzins zum Teil über höhere Kreditzinsen oder Kontoführungsgebühren an ihre Kunden weitergegeben.
Was bedeutet der Zinsschritt für die Konjunktur?
„Durch die Schwächung des Euro werden vor allem die deutschen Exportunternehmen davon profitieren“, sagt Michael Bräuninger vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut. Für die Euro-Zone wird in diesem Jahr ein Wachstum von einem Prozent erwartet, das aber wesentlich von Deutschland getragen wird. Dagegen bleibt das Wachstum in Italien, Frankreich und Portugal schwach. „Die niedrigen Zinsen helfen den Ländern nicht weiter, weil die Banken bereits auf vielen faulen Krediten sitzen“, sagt Intelmann. Der Ankauf von Krediten durch die EZB könnte aber den Kreditvergabespielraum der Banken wieder verbessern.
Was bedeutet der Zinsschritt für die deutschen Sparer?
„Die Zinsen für Einlagen sind bereits so niedrig, dass ich keine gravierenden Schritte nach unten mehr erwarte“, sagt Max Herbst von der FMH-Finanzberatung, die Bankkonditionen vergleicht. So liegt aktuell der Durchschnittszins für Tagesgeld bei 0,67 Prozent und damit unter der Inflationsrate von 0,9 Prozent. Bei vielen Banken sind die Zinsen bereits so niedrig, dass eine weitere Senkung kaum noch möglich ist. Durch die Niedrigzinspolitik der EZB verlieren die deutschen Sparer jährlich 15 Milliarden Euro an Zinseinnahmen, errechnete der Sparkassenverband. „Das darf so nicht weitergehen“, sagt der Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse, Harald Vogelsang dem Abendblatt. „Mit ihrem Kurs setzt die EZB die schleichende Enteignung der deutschen Sparer fort.“ Dennoch sollten die Kunden nicht ganz auf das Sparen verzichten.
Profitieren Kreditnehmer von den niedrigen Zinsen?
Die meisten Verbraucher haben Kredite mit fest vereinbarten Zinssätzen für eine bestimmte Laufzeit. Deshalb wirkt sich die Zinssenkung für sie nicht aus. Anders sieht es bei den variablen Zinsen für den Dispositionskredit aus, für den noch bis zu 12,05 Prozent (Postbank) verlangt werden. Bei diesen Konditionen ist mit einer leichten Senkung zu rechnen. Doch Herbst warnt vor zu großen Erwartungen: „Viele Banken haben in ihren Bedingungen stehen, dass sie die Dispozinsen erst ab einem Zinsschritt von 0,25 Prozentpunkten anpassen müssen.“ Jetzt beträgt die Senkung aber lediglich 0,1 Prozentpunkte. „Unsere Dispozinsen sind an einen Referenzzins gebunden und werden in festgelegten Intervallen überprüft“, sagt Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg. Der nächste Stichtag sei der 1. August. Aktuell liegt der Dispozins der Haspa bei 11,81 Prozent.
Betrifft der negative Zins für Banken auch Verbraucher?
Damit ist nicht zu rechnen. Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon schob derartigen Befürchtungen vorsorglich einen Riegel vor. „Wir werden das sicher nicht an unsere Kunden weitergeben. Wir können den Sparern nicht sagen: Jetzt musst du für dein Vermögen auch noch Strafe zahlen.“ Längst nicht alle Banken sind von dem negativen Einlagenzins der EZB betroffen. So haben etwa Hamburger Volksbank und Haspa gar keine Einlagen bei der EZB. „Unser Geschäftsmodell besteht darin, Einlagen zu sammeln und in der Region als Kredite wieder zu vergeben“, sagt von Carlsburg.
Warum profitiert die Börse nun von den niedrigen Zinsen?
Die Zinssenkung hat dem Deutschen Aktienindex (DAX) zum Sprung über die Marke von 10.000 Punkten verholfen. Das Börsenbarometer hat damit einen neuen Rekord erreicht. Seit Anfang 2012 ist der DAX damit um fast 70 Prozent in zweieinhalb Jahren gestiegen. Niedrige Inflationsraten und eine lockere Geldpolitik haben die Kurse beflügelt. Von den niedrigen Zinsen profitieren vor allem die deutschen Vorzeigeunternehmen. Sie müssen für ihre Anleihen nur sehr niedrige Zinsen zahlen und können so auch große Übernahmen stemmen. So erwarb Bayer das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten vom US-Konzern Merck & Co. für rund zehn Milliarden Euro. Da es kaum noch Zinsen für risikolose Anlagen gibt, bevorzugen immer mehr Anleger den Aktienmarkt, um für ihr Geld eine Rendite zu erzielen. Mit einem weiteren großen Anstieg des DAX in diesem Jahr rechnet Intelmann nicht. „Unsere Jahresendprognose liegt bei 10.000 Punkten.“ Der starke Anstieg der vergangenen zwei Jahre werde sich nicht wiederholen. Allerdings sei im weiteren Jahresverlauf mit Rückschlägen zu rechnen. Dagegen erwartet die Fondsgesellschaft Fidelity einen weiteren DAX-Anstieg bis auf 11.000 Punkte im Sommer 2015.