Karl Gernandt ist die rechte Hand des Milliardärs Klaus Michael Kühne. Setzt sich am Sonntag die Strukturreform HSVPlus durch, soll er Aufsichtsratschef des Vereins werden. Ein Porträt.
Hamburg Fußball ist eigentlich gar nicht sein Ding. Karl Gernandt, 53, ist ehemaliger Leichtathlet, genauer gesagt Kurzstreckenläufer. Die 100 Meter ist er früher in 10,7 Sekunden gelaufen. Den Leistungssport hat er schon vor gut 25 Jahren aufgegeben, aber durchtrainiert wirkt Gernandt immer noch, als er den Konferenzraum im elften Stock in der Deutschlandzentrale von Kühne + Nagel in der Hafencity betritt – zum Gespräch mit dem Abendblatt. Blond, modischer Anzug, goldene Manschettenknöpfe. Nein, für einen Fußballer wirkt Gernandt nicht hemdsärmelig genug. Gleichwohl ist der Manager für zahlreiche Hamburger eine Hoffnungsfigur, um den Fußball-Bundesligisten HSV in eine solide finanzierte und sportlich erfolgreiche Zukunft zu führen. Denn der Präsident des Verwaltungsrats der Kühne + Nagel AG und Chef der privaten Holding von Klaus Michael Kühne soll nach ihrer Meinung den Aufsichtsrat des Sportvereins anführen und die Strukturreform HSVPlus umsetzen.
Ob er dazu die Gelegenheit bekommt, wird sich am Sonntag zeigen. Dann treten nämlich die Mitglieder des Hamburger Sportvereins zusammen, um über HSVPlus abzustimmen. Gernandt stellt in Aussicht: „Wird der Aufsichtsrat in der von uns gewünschten Besetzung gewählt, werden wir versuchen, den Verein innerhalb kürzester Zeit finanziell solide aufzustellen.“ Am liebsten würde er sofort loslegen. Die Frage ist, ob die Mitglieder ihn lassen.
Gernandt ist als ehemaliger Sprinter kein Mann der lange fackelt. Nicht einmal 48 Stunden hat er damals für die Entscheidung gebraucht, als Kühne ihm 2008 vorschlug dessen Nachfolger an der Spitze der Holding zu werden – obgleich Gernandt, wie er selbst zugibt, kein Logistik-Experte ist. „Bei allen Logistik-Fragen hat Herr Kühne das letzte Wort. Keiner versteht davon soviel wie er. Ich habe Erfahrung im Führen und Koordinieren von Menschen und darin, wie man internationale Wirtschaftsunternehmen erfolgreich aufstellt“, erklärt er sein Aufgabengebiet. Das er das kann, hat Gernandt in den vergangenen Jahren bewiesen. Er hat bei Kühne + Nagel den Wandel von einem Inhaber- zu einem Management-geführten Weltkonzern vollzogen. Mit Erfolg: Kühne + Nagel hat im vergangenen Jahr einen Reingewinn von umgerechnet 496 Millionen Euro erwirtschaftet. Zusätzlich zu seiner Funktion als Verwaltungsratspräsident stand Gernandt von Mai bis August 2013 selber als Vorstandschef an der Spitze des Unternehmens.
Jetzt schaut er aus dem Konferenzraum auf das Panorama der Stadt. „Genießen sie den Ausblick“, sagt er mit ausladender Handbewegung. „Von wo aus hat man sonst alle fünf Hauptkirchen Hamburgs auf einem Blick?“ Nieselregen verschleiert die Sicht an diesem Morgen. Gernandt stört sich nicht daran. Er ist zuversichtlich, dass sich die Mehrheit der Anhänger für sein Tableau entscheidet.
Namhafte alte HSVer lehnen die Strukturreform HSVPlus zwar ab. Hinter Gernandt steht aber viel Geld, das den Verein wieder in die Erfolgsspur bringen kann. Geld von Klaus-Michael Kühne. Sohn des Speditionskaufmanns Alfred Kühne, mehrfacher Milliardär. Geboren in Hamburg, wohnhaft im schweizerischen Schindellegi am Zürichsee, wohin er den Hauptsitz von Kühne + Nagel verlegt hat. Aber immer noch mit seiner Heimatstadt verbunden, in der er etwas bewirken, von der er auch wahrgenommen werden möchte. Kühnes Geld kommt inzwischen an vielen Stellen zum Einsatz: Neben dem HSV, für den er bereits mehrere Spieler finanziert hat, engagiert Kühne sich als Ankeraktionär bei Hapag-Lloyd, oder bei der Kühne School of Logistics, die bereits zur Kühne Logistics University herangewachsen ist. Sein neuestes Projekt ist ein Hotelneubau auf der Fläche des ehemaligen Interconti an der Außenalster.
Dabei tritt Kühne selten selbst in Erscheinung. Er trifft grundsätzliche Entscheidungen, deren Umsetzung überlässt er einem anderen, jemandem dem er voll vertraut: Karl Gernandt. „Man kann unser Geschäftsverhältnis so erklären“, sagt dieser: „Herr Kühne schenkt mir sein volles Vertrauen, und ich gebe ihm 100-prozentige Loyalität.“ So hat Gernandt im Auftrag Kühnes schon die unterschiedlichsten Funktionen wahrgenommen. Als Vorstandschef der Kühne Holding ist er in die verschiedensten Bereiche der privaten Investitionen von Kühne involviert: Als Aufsichtsratsmitglied bei Hapag-Lloyd, beim Aufbau und der Mitgestaltung der Kühne Logistics University sowie dem Kauf von Immobilien. Erst kürzlich wurden von der Hochgebirgsklinik Davos die Liegenschaften erworben. Dort will Kühne ein Allergieforschungs- und Klinikzentrum errichten. „Bei mir ist kein Tag wie der andere, ich muss mich in immer neue Felder einarbeiten“, sagt der Generalist Gernandt.
Wenn Kühne sich aber in ein Thema verbissen hat, dann bleibt er dran und verlangt Perfektion. Wie zuletzt im Zusammenhang mit dem Hotelprojekt „The Fontenay“ anstelle des ehemaligen „Interconti“: Dort ging es um die Auswahl von Badezimmerfliesen, die zur Chefsache erklärt wurden. „Wir liefen barfuß durch ein Marmorstudio, um die geeigneten Fliesen zu finden.“ Keine leichte Aufgabe, für einen Finanzfachmann, der Gernandt eigentlich ist.
Geboren in Bonn hat er nach dem Abitur an der renommierten Universität im schweizerischen St. Gallen Betriebswirtschaft studiert. Seine berufliche Karriere begann er dann bei der Deutschen Bank, stieg dort schnell zum Assistenten des damaligen Vorstandschefs auf, nahm Aufgaben im internationalen Bankgeschäft in Asien und in den USA wahr und hatte zuletzt die Regionalverantwortung für die Bank-Filialen im nördlichen Ruhrgebiet inne. Mit Mitte 30 war Gernandt eigentlich am Ziel: Direktor bei der Deutschen Bank. Innerlich war er aber noch nicht so weit, fühlte sich vielmehr wie ein 100-Meter-Läufer, der bereits nach 70 Metern aufhören soll.
Also kündigte Gernandt und wagte etwas völlig Neues: 1997 stieg er in die Unternehmensberatung A.T. Kearney ein. „Ich tauschte ein großes Büro mit einer lederbespannten Tür gegen einen Rollcontainer im Kaninchenstall“, sagt er heute über den damaligen Wechsel, und der Zuhörer gewinnt den Eindruck, dass Gernandt mit diesem Job nie richtig warm geworden ist. „Ich arbeitete vor allem als Berater für Banken. Die Beratungstätigkeit war sehr anspruchsvoll, aber keine Lebenseinstellung.“ Hauptaufgabe sei es gewesen möglichst viel Beratungstätigkeit zu verkaufen. „Das war aber nicht das, was ich wollte. Ich versuche Dinge zu bewirken, nicht Einkommen zu maximieren.“ Genau das sei der Grund gewesen, warum er später bei Kühne zugesagt habe. Er habe etwas bewegen wollen.
Zunächst heuerte Gernandt aber beim weltgrößten Baustoffunternehmen Holcim an, erst als Finanzvorstand, später als Deutschlandchef. Holcim ist auch ein ehemaliges Familienunternehmen, das zu einem Weltkonzern umgebaut wurde. Es war keine leichte Zeit, damals kurz nach der Jahrtausendwende: Die Konjunktur brach ein, die Bauwirtschaft rutschte in die Krise, schließlich musste Gernandt hunderte Mitarbeiter entlassen. Die Erinnerung daran geht ihm heute noch nahe. Zumindest gewinnt man den Eindruck, wenn er davon erzählt. Schlecht gewirtschaftet hat er sicher nicht: 2007 wurde Gernandt Westeuropachef von Holcim in Brüssel.
Und dann kam Kühne, den er schon aus dem Beirat der Deutschen Bank kannte. Damals habe man aber noch nicht viel miteinander gesprochen. „Ich war ein ganz junger Bankmanager und er der weltweit erfolgreiche Unternehmer mit einem riesigen Logistikonzern.“ Als Kühne ihm damals den Posten als Nachfolger anbot, sei er völlig überrascht gewesen, erinnert sich Gernandt. Er habe aber den Wert derAufgabe erkannt und rasch zugesagt.
Dazu dürfte Gernandt einiges auf sich genommen haben, zum Beispiel Kühnes Unberechenbarkeit, die vor allem von Vertretern der Stadt bei Hapag-Lloyd oft beklagt wurde. „Würde sich Herr Kühne so verhalten wie alle anderen, wäre er nicht so erfolgreich“, sagt Gernandt. Im Übrigen stimme das mit der Unberechenbarkeit nicht. Vielmehr spreche Kühne lediglich sehr klar aus, was er denke. Eben ein Macher. So wie Gernandt sich auch sieht. Seinen Wahlspruch hat er vom ermordeten Vorstandschefs der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, übernommen: „Wir müssen das, was wir denken, sagen. Wir müssen das, was wir sagen, tun.“ Gernandt geht ins Detail, wenn er sagt: „Wir sind keine Menschen, die ein Strohfeuer entzünden. Uns geht es darum stabile Erträge zu generieren – nicht zum Selbstzweck sondern zum Erhalt der Stabilität. Und um gute Projekte auf die Beine zu stellen, auch in Hamburg.“
Hamburg. Das ist die zweite Konstante, die Gernandt mit Kühne verbindet. Obgleich er schon in vielen Städten der Welt gewohnt hat und nach eigener Auskunft nur ein Drittel seiner Zeit an Alster und Elbe verbringt, ist Hamburg Gernandts Heimat. Hier lebt er mit seiner Frau und drei Töchtern im Alter von 18, 16 und elf Jahre in Ottensen. In hanseatischer Manier fühlt er sich dem gesellschaftlichen Wohl der Stadt verpflichtet, scheut dabei auch nicht konfliktbeladene Aufgaben. So im Jahr 2006, als er noch Holcim-Chef war und zum Vorsitzenden des Industrieverbands Hamburg gewählt wurde. Der IVH war damals nach monatelangen internen Querelen wie gelähmt. Der damalige IVH-Chef Werner Marnette hatte das ganze Präsidium wegen einer Personalentscheidung gegen sich aufgebracht. Gernandt übernahm den Posten und befriedete den IVH innerhalb weniger Wochen. Gneau dieses Talent hatte Kühne gesucht. Und was hat Gernandt bei Kühne gefunden? Ein offener Mensch sei sein Arbeitgeber immer gewesen, kein Taktierer. „Er sagt frei heraus, was er denkt. Das gilt auch für Kritik“, sagt Gernandt, der zugibt, davon auch nicht immer verschont zu bleiben.
Kühnes Kritik müsste sich Gernandt wohl auch anhören, wenn die Mitglieder am Sonntag gegen HSVPlus stimmen. Doch er bleibt zuversichtlich. Und der Sorge einiger HSV-Anhänger, Kühne wolle bei dem Bundesligisten nur Gewinn erwirtschaften, kontert Gernandt: „Unser finanzielles Engagement beim HSV folgt keiner Profitorientierung, sondern geschieht allein für unsere Stadt Hamburg und ihrem HSV mit seinen großartigen Fans.“