Kölner Privatdozent und Sportökonom rücken an Spitze des Forschungsinstituts HWWI. Konjunkturchef unzufrieden
Hamburg. Überraschende Personalentscheidung an der Spitze des renommierten Hamburger Wirtschaftsforschungsinstituts HWWI: Der Privatdozent der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Kölner Universität, Christian Growitsch, wird Thomas Straubhaar als Geschäftsführer ablösen. Growitsch gilt als ausgewiesener Energieexperte. Der 38 Jahre alte Volkswirt ist zugleich Direktor für Anwendungsforschung und Mitglied der Geschäftsleitung des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI). Seine bisherigen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Energiewirtschaft und Industrieökonomik.
An Growitschs Seite wird Henning Vöpel als Mitgeschäftsführer rücken. Vöpel ist bereits seit 2006 am HWWI als Senior Economist tätig und verantwortet den Bereich Geldpolitik und Konjunktur in der Euro-Zone. Außerdem hat er sich über Hamburgs Grenzen hinaus einen Namen mit seinen Studien zur Gesundheits- und Sportökonomie gemacht.
Growitsch konnte sich in einem umfangreichen Bewerbungsverfahren gegen insgesamt rund 50 Mitbewerber aus dem gesamten Bundesgebiet durchsetzen. Die Entscheidung für ihn traf eine Auswahlkommission, die mit Vertretern der Universität Hamburg und der Handelskammer besetzt war – und zwar einstimmig. Kammer und Universität sind zu jeweils 50 Prozent an dem HWWI beteiligt, stellen die Basisfinanzierung sicher. Growitsch habe mit seiner Persönlichkeit und seinem Fachwissen überzeugt, hieß es von einem Mitglied der Kommission. Zudem habe er mit seiner umfangreichen Expertise in der Energiepolitik „hohe Sachkenntnisse in einem der Zukunftsfelder für die deutsche und Hamburger Wirtschaft“ vorzuweisen.
Nach der Entscheidung für Growitsch hatte die Auswahlkommission die Position des Mitgeschäftsführers eigentlich dem langjährigen HWWI-Konjunkturchef Michael Bräuninger angeboten. Bräuninger war bereits seit Längerem im Gespräch als Nachfolger für Thomas Straubhaar, der das HWWI 2005 gründete und vor gut einem Jahr entschieden hatte, das Hamburger Institut Anfang September 2014 zu verlassen und stattdessen einen Lehrauftrag in den USA anzunehmen. Straubhaar hatte in einem Interview mit dem Abendblatt sogar selbst Bräuninger als einen seiner möglichen Nachfolger ins Gespräch gebracht. „Es soll künftig eine Doppelspitze geben. Und der jetzige Forschungsdirektor des HWWI, Michael Bräuninger, wird eine wichtige Rolle spielen“, sagte Straubhaar noch im Januar. Doch nach Abendblatt-Informationen hat Bräuninger die ihm angetragene Position abgelehnt, weil ihm die Vertragskonditionen missfielen. Er soll nach Abendblatt-Informationen sogar schon öffentlich über seinen Abschied gesprochen haben.
Eigentlich sollte der Konjunkturchef des HWWI in die Doppelspitze rücken
„Wir konnten uns nicht über die Konditionen einigen“, sagte Michael Bräuninger. Er selbst erfuhr die Entscheidung am Dienstagabend. Natürlich sei er „enttäuscht, dass wir keine Lösung gefunden haben“. Der Forschungsdirektor und Konjunkturchef gehört seit Gründung des HWWI zum Forscherteam und war schon im Vorgängerinstitut HWWA tätig. Der Volkswirtschaftsprofessor wirkt maßgeblich an Studien zu langfristigen Zukunftstrends und deren ökonomische Auswirkungen auf die deutsche Volkswirtschaft mit. Bräuninger will „bis auf Weiteres im Institut tätig bleiben“.
Straubhaar sagte, er habe keine Kenntnis von den Umständen, die dazu führten, dass Bräuninger nicht für die Doppelspitze berücksichtigt wurde. „Ich finde, es ist ein wichtiges Prinzip, dass man sich an der Suche nach dem eigenen Nachfolger nicht beteiligt“, sagte er. „Ich habe selber darum gebeten, dass ich nicht eingebunden bin.“
Mit der nun gefundenen Lösung zeigte er sich zufrieden: „Ich bin überzeugt, dass eine wundervolle Nachfolgeregelung gefunden wurde, schon weil das HWWI damit die Kompetenz in Themenfeldern, die immer wichtiger werden, noch stärken kann: Energie, Klimawandel, Umwelt, regulierte Märkte.“
Straubhaar fügte an: „Natürlich hätte ich mich besonders gefreut, wenn man eine Frau für die Doppelspitze gefunden hätte. Aber mit der Forschungsdirektorin Christina Boll ist eine Frau in der Leitung des HWWI vertreten.“ In der Zeit bis Ende August will Straubhaar „alles daransetzen, meinen Nachfolgern einen guten Start zu ermöglichen.“ Seinen Lehrauftrag an der Universität Hamburg behält Straubhaar, auch wenn er künftig verstärkt in den USA wissenschaftlich arbeitet.
„Mit den Schwerpunkten wie Energie, Klima, Währungspolitik und Demografie deckt das HWWI künftig wichtige Zukunftsthemen durch wissenschaftliche Forschung ab“, sagte Growitsch. Mit dem Projektgeschäft, wie es an dem privat finanzierten HWWI üblich ist, hat Growitsch bereits reichhaltige Erfahrung: „Auch in meiner bisherigen Arbeit habe ich viel Auftragsforschung betrieben.“ Christian Growitsch freut sich nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht über die neue Herausforderung als Institutschef des HWWI, sondern auch persönlich. „Damit komme ich wieder in meine Heimat- und Hansestadt zurück“, sagte der gebürtige Hamburger. Der Wissenschaftler lebt mit seiner Lebensgefährtin in Köln und werde schon bald nach Hamburg umziehen, um zum 1. September die Institutsleitung zu übernehmen. Zudem werde Growitsch an der Hamburger Universität in der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften lehren. Das Vorlesungsthema werde er noch absprechen. Growitsch hat unter anderem an der Wirtschaftsakademie Hamburg studiert, der Universität Lüneburg promoviert und schließlich an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg habilitiert. Während seiner Promotion hat er an der Universität Cambridge geforscht.
Auch der kaufmännische Leiter verlässt das Hamburger Forschungsinstitut
„Wir werden versuchen, Professor Straubhaar mit vereinten Kräften zu ersetzen“, sagte Vöpel. „Ich freue mich auf die neue Aufgabe. Wir erhoffen uns, dass durch die Arbeitsteilung in der Doppelspitze auch künftig eine intensive inhaltliche Auseinandersetzung mit unseren wissenschaftlichen Themen möglich ist.“ Vöpel ist 41 Jahre alt und stammt aus Schleswig-Holstein. Er hat in Hamburg studiert und wurde im Jahr 2010 als Professor für Volkswirtschaftslehre an die HSBA Hamburg School of Business Administration berufen.
Zur gleichen Zeit wie Straubhaar verlässt auch der bisherige kaufmännische Geschäftsführer Gunnar Geyer das HWWI, da er aus privaten Gründen nach Österreich übersiedelt. Nach Angaben von Vöpel wird es einen neuen kaufmännischen Leiter unterhalb der Geschäftsführungsebene geben. Er soll aus dem HWWI kommen.