HWWI-Chef Thomas Straubhaar fordert Milliardenfonds zur Verkehrswegesanierung
Hamburg. Auf deutschen Straßen, Schienen und Wasserwegen liegt vieles im Argen. Die Infrastruktur des Landes ist in einem schlechtem Zustand. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) hat die Diskussion darüber mit seiner Forderung nach einer Sonderabgabe zur Sanierung der Verkehrswege neu entfacht. Professor Thomas Straubhaar, 56, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), hält diesen Vorstoß nicht für umfassend genug, um Straßen, Schienen und Wasserstraßen ausreichend zu erneuern. Im Abendblatt-Interview erläutert der renommierte Ökonom seine Vorschläge.
Hamburger Abendblatt:
Herr Professor Straubhaar, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig hat mit seinem Vorschlag, einen Sonderfonds für die Sanierung der deutschen Verkehrswege einzurichten, eine heftige Debatte ausgelöst und viel Kritik bekommen. Ist sein Vorschlag abwegig?
Thomas Straubhaar:
Im Gegenteil, Herr Albig hat recht. Der Zustand der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland, die einst die beste der Welt war, wird immer schlechter. Leistungsfähige Verkehrswege – Straßen, Schienen, Luft- und Wasserwege – sind aber für ein Industrieland wie Deutschland existenziell wichtig. Die Debatte um die Erneuerung der Infrastruktur gehört deshalb in die Mitte der Gesellschaft.
Die Große Koalition will in dieser Legislaturperiode zu den jährlichen Mitteln fünf Milliarden Euro zusätzlich für die Sanierung der Verkehrswege zur Verfügung stellen. Ist das zu wenig?
Straubhaar:
Zu wenig ist gar kein Ausdruck. An diese Summe müsste mindestens eine Null angehängt werden. Und selbst bei einem Volumen von 50 Milliarden Euro wäre ich nicht sicher, ob das ausreicht. Seinen heutigen Wohlstand verdankt Deutschland auch der Tatsache, dass es mit dem Aufbau der Eisenbahn und mit der Erfindung des Automobils weltweite Standards setzte – weil es die neuen Verkehrsträger auch selbst im großen Stil industriell herstellte und bis heute weltweit mit großem Erfolg verkauft. Deutschland liegt als Transitland mitten in einem europäischen Binnenmarkt. Logistik- und damit Transportwirtschaft genauso wie die Industrie laufen auf Hochtouren und sorgen für Millionen von Jobs in Deutschland. Die Grundlage dafür sind unsere Verkehrswege, und die sind vielerorts in einem bedenklichen Zustand, man nehme als Beispiel nur die maroden Schleusenanlagen des Nord-Ostsee-Kanals in Brunsbüttel.
Wie soll der deutsche Staat einen zweistelligen Milliardenbetrag für die Sanierung der Verkehrswege finanzieren?
Straubhaar:
Die Diskussion um die Infrastruktur wird völlig überlagert von der ebenso notwendigen Debatte zur Sanierung der öffentlichen Haushalte. Diese beiden Themen müssen getrennt betrachtet werden. Für Straßen, Schienen, Wasserwege brauchen wir – wie es Ministerpräsident Albig fordert – einen Sonderfonds, der aus staatlichen Mitteln ebenso gespeist wird wie aus dem Kapital privater Anleger. Wichtig ist, dass die Basis für die Finanzierung eines solchen Fonds so breit wie möglich ist. Nicht nur die unmittelbaren Nutzer der Infrastruktur, die Ministerpräsident Albig vorrangig im Blick hat, müssen einen Beitrag leisten, sondern alle Staatsbürger in Deutschland. Denn eine schlechte Infrastruktur schadet dem gesamten Land. Obendrein muss ein solcher Fonds, etwa durch Anleihen, offen sein für die Akquisition von privatem Kapital in großen Stil.
Verbände wie der ADAC verweisen darauf, dass über Mineralöl- oder Kfz-Steuern und Lkw-Maut jährlich bereits gut 50 bis 60 Milliarden Euro aus dem Automobilverkehr an den Bund fließen, dass dieses Geld aber nur zum Teil für die Sanierung verwendet wird.
Straubhaar:
Das zeigt ja das Problem. Wer aus dem laufenden Haushalt mehr Geld für die Verkehrswege haben will, muss zunächst mehr auf Effizienz achten und nicht so schlampig vorgehen wie beim Berliner Flughafen, und er darf das Geld nicht verschwenden wie etwa bei zu vielen zu kleinen Regionalflughäfen, die schlicht nicht wirtschaftlich betrieben werden können. Zudem muss er an anderer Stelle kürzen, im Zweifel bei den Sozialabgaben. Das gilt als extrem unpopulär. Deshalb wird sich – gerade in der jetzigen Großen Koalition – dafür keine Mehrheit finden. Die Infrastruktur muss es aus den Diskussionszyklen einer Legislaturperiode herausgelöst werden.
Bund und Länder dürfen künftig keine zusätzlichen Schulden mehr aufnehmen. Woher soll das Geld kommen?
Straubhaar:
Große gesellschaftliche Themen wie die Infrastruktur oder die Bildung sind nicht das Problem unserer Staatsverschuldung. Es sind vor allem die Sozialausgaben. Klar ist doch: Investitionen in die Infrastruktur erbringen für das gesamte Land eine weit höhere Rendite, als die Kapitalkosten etwa aus Anleihen ausmachen, die dagegen stünden. Wann, wenn nicht jetzt in einer Phase historisch niedriger Zinsen, sollte der Staat sich dafür am Kapitalmarkt bedienen? Wir müssen weg vom konsumptiven zurück zum investiven Staat. Das aber – man muss es in aller Klarheit sagen – bedeutet, dass man an vielen Stellen den Sozialstaat beschränken muss und ihn nicht, wie jetzt mit der Rente mit 63, weiter ausbauen sollte.
Sie glauben, dass Privatanleger ihr Geld in Straßen investieren?
Straubhaar:
Selbstverständlich. Weltweit sucht Kapital nach attraktiven Anlagemöglichkeiten, vom deutschen Sparer bis zum US-Pensionsfonds. Wer über einen Zeitraum von 20 oder 30 Jahren eine staatlich abgesicherte Verzinsung von, sagen wir, drei Prozent bekommen kann, wird diese Gelegenheit im heutigen Zinsumfeld nutzen.
Die Transportwirtschaft fordert gerade für Hamburg höhere öffentliche Investitionen für Sanierung und Neubau.
Straubhaar:
Hamburg ist in besonderer Weise vom Verschleiß der Verkehrswege betroffen. Die Stadt ist – durch den Hafen und die Industrie – eines der Zentren auch für den Schwerverkehr in ganz Deutschland. Verschlissene Straßen und Brücken belasten die Situation in der Stadt ebenso wie die Verzögerung bei Neubauprojekten, etwa der südlichen oder der nördlichen Elbquerung.
Macht der Hamburger Senat genug?
Straubhaar:
Der Senat beschäftigt sich intensiv mit dem Thema, er kann aber nicht kurzfristig lösen, was langfristig versäumt wurde, zumal Verkehrswege wie die Autobahnen in der Hoheit des Bundes liegen. Hamburg braucht so etwas wie einen Masterplan Verkehr, der auf der Einbettung der Metropolregion in Nordeuropa basiert, der neben dem Hafen, neben Straßen und Schienen auch die Rolle der Luftverkehrsindustrie einbezieht.
In der Hamburger City herrscht gefühlt Dauerstau, weil sich immer mehr Lkw in den Pkw-Verkehr drängen.
Straubhaar:
Ja, beim Baustellenmanagement besteht definitiv noch eine Menge Verbesserungspotenzial! Interessant finde ich, dass viele jüngere Menschen auch in Hamburg kein Interesse mehr an einem eigenen Auto haben, sondern an Mobilität, an der Verbindung zwischen den Verkehrsträgern. Der öffentliche Personennahverkehr in Hamburg ist zunehmend populär. Deswegen greift es vielleicht zu kurz, mal über Busbeschleunigungsspuren zu diskutieren, mal über eine Stadtbahn oder über eine neue U-Bahn-Linie. Wichtiger wäre doch eine Debatte darüber, wie der öffentliche Verkehrsverbund in und um Hamburg im Jahr 2025 als Gesamtsystem aussehen könnte.
Die Elektromobilität oder der Fahrradverkehr sind in Hamburg bislang nicht besonders fortschrittlich organisiert.
Straubhaar:
Wenn Hamburg eine leistungsfähige Infrastruktur etwa für das große Zukunftsthema Elektromobilität schaffen würde – mit mehr und besseren Ladestationen, Verbund- und Leitsystemen –, wenn sie auch wegweisende Konzepte für den öffentlichen Nahverkehr entwickelte, würde das einen wirtschaftlichen und sozialen Nutzen für Jahrzehnte und einen Wissensvorsprung für eine moderne Verkehrsindustrie mit entsprechenden Beschäftigungseffekten schaffen. So wie früher mit der Eisenbahn- und Autoindustrie.