Immer mehr Hamburger Schüler setzen auf privaten Zusatzunterricht. Seit Einführung von G8 steigt die Zahl der Gymnasiasten stark an. Nachhilfeanbieter profitieren. Das Geschäft brummt.
Hamburg . In zehn Tagen schreibt Jana Babic ihre Abiturprüfungen. Die 18-jährige Schülerin vom Lise-Meitner- Gymnasium in Osdorf will so gut wie möglich abschneiden. Vor allem in Mathematik. Deswegen nimmt Jana zusätzlich Nachhilfe am Studienkreis Altona. So wie die Gymnasiastin machen es viele Schüler. Das Geschäft mit der Lernförderung boomt.
Immer mehr Hamburger nutzen die Angebote privater Nachhilfeinstitute. Das ergab eine Befragung des Abendblatts unter den Anbietern. Der Studienkreis, nach der Schülerhilfe der ZGS Bildungs-GmbH der zweitgrößte kommerzielle Anbieter von Nachhilfe in der Hansestadt, verzeichnete im vergangenen Jahr einen Zuwachs von zehn Prozent. 800 Schüler wurden 2013 im Hamburger Studienkreis unterrichtet. Dank der steigenden Nachfrage konnte das Unternehmen in den Stadtteilen Neugraben und Hoheluft-West im vergangenen Jahr zwei neue Standorte eröffnen. „Nachhilfe ist ein Wachstumsmarkt. Hamburg hat das Potenzial für weitere Zulassungen“, sagt Bernt Plickat, Gebietsleiter des Studienkreises Hamburg. Auch der größte Nachhilfeanbieter, die Schülerhilfe, vermeldet eine hohe Nachfrage. Die beiden Institute machen etwa zwei Drittel der privaten Anbieter von Nachhilfe in der Stadt aus.
Der Anstieg ist bemerkenswert, da in Hamburg seit dem Jahr 2011 an allen staatlichen Schulen eine zusätzliche und kostenlose Lernförderung angeboten wird. 2013 nahmen insgesamt 22.109 Schüler die Ganztagsangebote in Anspruch, das ist eine Steigerung von elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Stadt steht für die Lernförderung eine Summe von acht Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung.
Trotz der vermehrten Möglichkeiten der zusätzlichen und kostenlosen Lernhilfe an den Schulen freuen sich die Nachhilfeinstitute über großen Zulauf. „Es findet eine Verschiebung der Schülerpopulationen statt“, sagt Plickat von der Studienkreis GmbH. Das Unternehmen mit bundesweit rund 1000 Standorten und einem Jahresumsatz von zuletzt 80 Millionen Euro, hat im Grundschulbereich in den vergangenen Jahren Klienten verloren. Dafür würden in Hamburg immer mehr leistungsstarke Schüler vom Gymnasium Nachhilfe nutzen, um ihren Notenschnitt punktuell zu verbessern oder sich gezielt auf Klausuren vorzubereiten. „Viele Schulen sind mit der Lernförderung noch überfordert. Davon profitieren wir“, sagt Plickat.
Ein Trend, den auch die Verantwortlichen des Abacus-Instituts bestätigen. Der Nachhilfeanbieter, der seine Klienten nur zu Hause betreut, beschäftigt insgesamt 500 Lehrkräfte in allen Hamburger Bezirken und im Kreis Pinneberg. „Die Begabtenförderung und der Qualitätsanspruch der Eltern sind gestiegen“, sagt Institutsleiter Kai Pöhlmann. Auch Abacus verzeichnet eine steigende Nachfrage. Das Institut verlor zur Einführung der Lernförderung an Hamburgs Schulen zwar einige Kunden, viele kamen aber nach kurzer Zeit wieder zurück. Auffällig: Waren vor Einführung des zwölfjährigen Abiturs (G8) im Jahr 2010 in Hamburg die Schüler bei Abacus noch gleichmäßig auf alle Schulformen verteilt, liegt der Anteil an Gymnasiasten seit dem G8- Start nun bei 50 Prozent. Offenbar ist die professionelle Nachhilfe bei Gymnasialschülern mittlerweile ein beliebtes Mittel zur Weiterbildung. „Nachhilfe hat ihr Schmuddelimage abgelegt“, sagt Pöhlmann. „Früher war die Nachhilfe verpönt. Heute geht unser Angebot daher oft zu einem individuellen Coaching über.“
Einen möglichen Zusammenhang zwischen der steigenden Nachhilfenachfrage in Hamburg und der Einführung von G8 beobachtet auch das AHA!- Institut. „Wir haben einige Schüler, die kurz vor dem Abitur stehen und Nachhilfe benötigen. Das könnte mit der Einführung von G8 zusammenhängen“, sagt Institutsleiter Matthias Schwark. AHA! ist mit zwei Standorten in Hamburg vertreten und bietet Nachhilfe bei den Kunden zu Hause an. Wie im gesamten System der bundesweiten AHA!-Institute vermeldet das Unternehmen in Hamburg eine Zunahme.
Karin Prien, schulpolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion, sieht dagegen keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Nachhilfeboom und der Einführung von G8 in Hamburg. Vielmehr habe die Zunahme mit dem Anstieg der Gymnasiasten insgesamt zu tun. Prien kritisiert die Lernförderung an den staatlichen Schulen. „Die Idee des Förderns statt Wiederholens klappt bisher wenig bis gar nicht. Der Senat weigert sich zu evaluieren. Es gibt keine Qualitätskontrolle, und eine Verzahnung zwischen Unterricht und Förderung findet kaum statt“, sagt Prien. Als Ursache für die wachsenden Nachhilfeinstitute sieht die Politikerin auch den Anstieg berufstätiger Mütter, die dadurch weniger Zeit hätten, sich nachmittags um ihre Kinder zu kümmern. Viele Eltern seien zudem ambitionierter geworden. „Eine Drei im Zeugnis ist für viele Eltern schon ein Grund, Nachhilfe für ihre Kinder in Anspruch zu nehmen“, sagt Prien.
Ähnlich sieht es Stefanie Berg, schulpolitische Sprecherin der Grünen. „Die Angst wird immer größer, dass nur noch Zeugnisse mit Einsen und Zweien für den Ausbildungs- oder Studienplatz reichen“, sagt Berg. „Immer mehr Kinder besuchen das Gymnasium, obgleich sie auf einer Stadtteilschule besser aufgehoben wären und dort auch individueller gefördert werden könnten.“
Die Konkurrenz auf dem Markt der privaten Anbieter verschärft sich
Holger Schulze, Geschäftsführer bei den Nachhilfeanbietern Lernwerk und Lernzeit, arbeitet mit seinen Instituten an 80 Hamburger Schulen. Lernwerk stellt den Schulen Lehrkräfte für die Lernförderung im Nachmittagsbereich zur Verfügung. Schulze beobachtet einen Einfluss der G8-Einführung auf alle Schulformen. „Die steigenden Anforderungen durch G8 ziehen sich bis in den Grundschulbereich“, sagt Schulze. Lernwerk betreue dadurch viele junge Schüler. „Der Druck an den Grundschulen ist unmenschlich, nicht kindgerecht. Wir versuchen, den Druck rauszunehmen, damit die Kinder den Spaß am Lernen nicht verlieren.“
Die Anstieg der Nachfrage nach privater Nachhilfe hat in Hamburg einen weiteren Effekt: Die Konkurrenz auf dem Markt verschärft sich. „Der Wettbewerb ist härter geworden“, sagt Matthias Schwark, Institutsleiter bei AHA!. Bislang eine untergeordnete Rolle spielen auf dem Nachhilfemarkt die Anbieter digitaler Lernprogramme. Kleine Unternehmen wie Sofatutor bieten immer häufiger Nachhilfe per Videosoftware oder Chatbetreuung am Computer an. Aber Peter Albrecht, Sprecher der Hamburger Schulbehörde, ist sich sicher: „Digitale Lernhilfen können die persönliche Betreuung nicht ersetzen. Sie kommen in der Lernförderung allenfalls als Ergänzung zum Einsatz.“