André Kemper rastet auf dem Wiener Opernball aus. Der prominente Kreative steht vor dem Ende bei der von ihm mitgegründeten Agentur Thjnk. Steht ein Wechsel zu Scholz & Friends bevor?
Hamburg. Seit Monaten geistern Spekulationen um die Zukunft des Star-Werbers André Kemper durch die Fachblätter, und nach Informationen des Abendblattes könnte der Held der Branche beruflich zum Heimatlosen werden. Jetzt sorgte Kemper beim Wiener Opernball auch noch für einen Eklat, als er den Würzburger Unternehmer Ulrich Pfaffelhuber blutig schlug. Pfaffelhuber hatte den TV-Moderator Johannes B. Kerner angepöbelt mit den Worten: „Wer hat ihr Ticket bezahlt? Erklären Sie sich! Sie sind der neue Wulff!” Kerner blieb cool und wendete sich ab. Kemper jedoch, der Kerner begleitet hatte, schlug den Geschäftsmann vor laufenden Kameras ins Gesicht. Das Aufeinandertreffen der Streithähne fand auch den Weg ins Internet, wo unter anderem ein Film darüber zu sehen ist.
André Kemper war früher eher gute Nachrichten gewohnt, meist vielmehr grandiose Lobeshymnen: In Titelgeschichten der Werbemagazine gehörte er zu den Agenturmännern des Jahres, ein US-amerikanisches Branchenblatt nannte ihn „Germanys hottest guy in the ad industry“, die von ihm mitgegründete Agentur Kempertrautmann wurde von einer internationalen Jury zur „Global Agency of the year“ gekürt, als Krönung nahmen ihn Wirtschaftswoche und der Gesamtverband der Kommunikationsagenturen (GWA) zuletzt sogar in die „Hall of Fame der deutschen Werbung“ auf. Die neuesten Schlagzeilen des Werbeprofis mit Stationen bei Springer & Jacoby oder BBDO gehen nun in eine ganz andere Richtung, und zwar nicht nur wegen der Handgreiflichkeiten in Wien. Der einstige Macher der Creme de la Creme der Kreativen wird zum Getriebenen, ist nicht mehr Herr der Kommunikation sondern zu deren Spielball geworden.
Denn die Schlägerei folgt auf eine beruflich schwierige Zeit für Kemper. Bei Kempertrautmann, das seit dem Einstieg von Ex-Jung-von-Matt-Vorstand Karen Heumann und Armin Jochum nun Thjnk heißt, hat man sich unter den Eigentümern schon länger auseinandergelebt. Kemper war vor eineinhalb Jahren in den Aufsichtsrat gewechselt, es war ein Schritt weg von der operativen Ebene, der den Kreativen letztlich aus der Agentur hinausführen würde. Mindestens seit einem halben Jahr war der Abschied von Kemper für beide Seiten beschlossene Sache. Die übrigen Eigentümer, Michael Trautmann, Armin Jochum und Heumann sind nun seit Monaten dabei, die vertraglichen Bedingungen für die Loslösung zu schaffen, sie beschäftigen etliche Anwälte in diesem Fall.
Zugleich ist der Wechsel Kempers zu Scholz & Friends, über den seit Tagen berichtet wird, anscheinend noch lange nicht in trockenen Tüchern. Der kolportierte Deal sieht vor, dass Kemper bei Scholz & Friends beziehungsweise bei deren Mutterfirma Commarco einsteigt, und dort die Werbung für den Kunden Opel mit einem eigenen Team unter dem Namen „Opel-Garage“ unterstützt. Entsprechende Berichte der Fachmagazine Horizont und Manager Magazin stimmen überein. Kemper wollte sich dazu zwar offiziell nicht äußern, aber es scheinen mehr als nur vertragliche Feinheiten noch zwischen dem Hamburger und der Agentur zu stehen, erfuhr das Abendblatt von Insidern.
Der Name Tina Müller taucht immer wieder in den Berichten auf, und das ist kein Zufall: Die Opel-Vorstandsfrau ist für das Marketing des angeschlagenen Autobauers zuständig und kennt Kemper aus alten Zeiten bei Henkel. Andere Namen von Firmen, zu den Kemper wechseln könnte, werden nirgendwo genannt, zugleich scheint sich das Verhältnis zu manchen Mit-Eigentümern bei seinem Noch-Arbeitgeber Thjnk ähnlich wie bei einem zerstrittenen Ehepaar entwickelt zu haben, bei dem ein Partner keine neue Wohnung finden kann und man sich lieber nicht im Flur begegnet. Mehr als einmal haben die Mitarbeiter bei Thjnk lautstarke Auseinandersetzungen in den Büros miterleben müssen, Streits der impulsiven Eigentümer, bei denen auch schon mal Gegenstände durch die Luft flogen. Etliche Beschäftigte, darunter André Kempers Bruder Wulf-Peter Kemper, haben die Agentur in den vergangenen Monaten unfreiwillig verlassen, Bereiche wurden umgebaut, eine neue Führungsstruktur etabliert. Allmählich kommt das Unternehmen nun wieder in ruhigeres Fahrwasser, es gibt Meldungen über Neukunden, auch die Erträge sollen stimmen.
Zum Aufhören zu jung
Die Trennung von Kemper bei Thjnk steht derweil nicht nur unter dem Eindruck persönlicher Animositäten, sondern wird auch dadurch erschwert, dass die Anteile an der Agentur bewertet und von den Eigentümern entsprechend persönlich finanziert werden müssen. Immerhin hält Kemper 25 Prozent an der Firma mit 240 Mitarbeitern, davon 120 in Hamburg.
So ungewiss derzeit noch der Weg des Kreativen erscheint, eine Option scheidet aus: Kemper wird sich nicht aus der Branche zurückziehen und auch seine kreative Pause in der jetzigen Position als Aufsichtsrat beenden, denn fürs Aufhören ist der Macher noch viel zu jung: Im vorigen April lud Kemper nach Sylt zu seinem 50. Geburtstag ein und ließ sich dort von Freunden wie Günter Netzer und Stefan Aust feiern. Unter den prominenten Gästen bei der Feier in der Sansibar war übrigens auch Johannes B. Kerner.