Vor den Wahlen in der Handelskammer wird offen ausgetragen, was nie öffentlich war. Unternehmer werfen dem Aktionsbündnis von Kritikern Populismus vor und gründen eine eigene Kandidatengruppe.
Hamburg Der Wahlkampf zur Neubesetzung des Plenums und Präsidiums der Hamburger Handelskammer hat eine überraschende Wende genommen. Nachdem in der vergangenen Woche eine Gruppe mittelständischer Unternehmer massive Kritik an der Institution geübt hat, tritt nun ein Zusammenschluss von Kammerbefürwortern auf den Plan. Sie kandidieren wie die Kammerkritiker um die 56 Plätze im Plenum, wollen an den Grundfesten der Institution aber nicht rütteln. Sie treten für eine „starke Handelskammer“ ein und wollen in der kommenden Woche ihr Gegenbündnis öffentlich vorstellen. Eine deutliche Absenkung der finanziellen Rücklagen der Kammer lehnen diese Unternehmer ab.
Genau das ist aber eine zentrale Forderung der Kammerrebellen. Dabei handelt es sich um 15 Geschäftsführer oder Inhaber kleinerer und mittlerer Unternehmen, die sich zum Bündnis „Die Kammer sind WIR“ zusammengeschlossen haben, mit dem Ziel, die Handelskammer zu reformieren. Diese 15 Kandidaten für das Plenum werfen der Wirtschaftsvertretung vor, sie sei „reich wie Dagobert und geheimniskrämerisch wie der Kreml“. Damit zielen sie auf Rücklagen der Handelskammer in Höhe von 50 Millionen Euro ab, die aus den Pflichtbeiträgen der rund 160.000 Hamburger Kammermitglieder stammen. Das Wahlbündnis fordert Rückzahlungen an die Pflichtmitglieder in Höhe eines Jahresbeitrags, den diese an die Kammer geleistet haben. Zudem wollen die Kammerkritiker mehr Transparenz. Ihr Vorwurf: Viele Entscheidungen der Kammer würden gegen den Willen der mittelständischen Wirtschaft laufen.
Mit seiner Kritik eckt das Aktionsbündnis an: Bisher fanden die alle drei Jahre anstehenden Wahlen zur Handelskammer wenig öffentliches Interesse, nur 20 Prozent der stimmberechtigten Mitglieder nahmen daran teil. Auf das hohe Potenzial an Nichtwählern haben es die Kammerkritiker abgesehen, die wollen sie gewinnen. Darauf müssen andere Kandidaten mit anderen Ansichten nun reagieren.
Das tut Martina Julius-Warning. Ihr geht der Auftritt der Kammerkritiker gegen den Strich. Da werde ja der Eindruck vermittelt, die Kammermitglieder würden im Keller in Geldmünzen schwimmen, sagt die Geschäftsführerin einer Hamburger PR-Agentur und eines kleinen Verlags. Julius-Warning engagiert sich seit 2004 in der Handelskammer. Sie erklärt: „Jeder Euro wird genau bilanziert, und auch die Rücklagen sind dokumentiert und begründet.“ Und von einer „Geheimniskrämerei wie im Kreml“ sei die Kammer Lichtjahre entfernt. „Praktisch jede Woche werden die Mitglieder per Post über neue Projekte und Vorhaben informiert.“ Deshalb habe sie sofort zugestimmt, als ein befreundeter Unternehmer sie anrief und sagte, man müsse den Kammerkritikern ein Gegengewicht entgegensetzen. „Unsere Kampagne ,Für eine starke Handelskammer‘ hat bereits 22 Mitstreiter, und es werden täglich mehr“, sagt Julius-Warning. Auch der Vizepräses der Kammer, Thomas Schünemann, gehört dem Gegenbündnis an.
Ins Leben gerufen hat es Tom Heinkel. Er ist Geschäftsführer eines Hamburger Dienstleistungsunternehmens für die Luftfahrt- und Automobilindustrie. Heinkel sitzt seit 2011 im Plenum der Kammer und ist Vorsitzender des Sportausschusses. Ihn stört, dass die Kammerkritiker die Vollversammlung als reinen Abnickverein abstempeln. „Das ist sie nicht. In der Versammlung wird sachlich und kontrovers diskutiert, die Experten der Kammer sind exzellent vorbereitet“, sagt Heinkel.
Den Vorwurf, dass die Protokolle dieser Sitzungen nicht allgemein veröffentlicht werde, könne man auch nicht stehen lassen. So habe das Plenum mehrheitlich entschieden. Sich jetzt darüber aufzuregen sei scheinheilig: „Ich sitze mit einem dieser selbst ernannten Kritiker seit drei Jahren im Plenum. Und ich verstehe nicht, warum er dort nicht so vehement und leidenschaftlich seine Vorwürfe vorgebracht hat, wie er sie jetzt vorträgt. Auf diese Weise wird das Plenum diskreditiert“, sagt Heinkel. Er hätte sich gewünscht, dass der Kritiker mit den Kammermitgliedern in den Dialog tritt, anstatt sich öffentlich zu profilieren. Den Vorwurf, die mittelständische Wirtschaft würde vernachlässigt, hält Heinkel für absurd: „Da muss man sich nur einmal die Struktur und Arbeitsweise anschauen. Die Stimme der kleinen Mitglieder hat genauso viel Gewicht wie die der großen.“
Tobias Bergmann, Sprecher des Bündnisses „Die Kammer sind WIR“, hält dagegen: „Jetzt liegen die Alternativen auf dem Tisch“, sagt er. Die Forderungen von Schünemann und Co. ließen sich mit einem Satz beschreiben: Alles soll so bleiben, wie es ist. „Eine starke Handelskammer kann es jedoch nur geben, wenn sich diese den aktuellen wirtschaftspolitischen Herausforderungen stellt und nicht in ihrer Altehrwürdigkeit verharrt. Wer für Modernisierung und Reform ist – für den sind wir die Kandidaten.“
Untermauern wollen Bergmann und seine Mitstreiter dieses bei einem Wahlempfang in der kommenden Woche. Der Wahlkampf geht los. Erstmals.