Aufsichtsrat will Schwedin Eva-Lotta Sjöstedt heute wohl zur Vorstandschefin ernennen. Hat die 47-jährige Stockholmerin Erfolg, wird sie zur Heldin des Handels.
Essen. Die Frau mit der Kurzhaarfrisur und der markanten Brille lacht über das ganze Gesicht, als sie die Rolltreppe hochfährt. In der Hand schwenkt sie ein Papierfähnchen in den niederländischen Nationalfarben rot-weiß-blau, eine Verkäuferin im gelben Ikea-Shirt hat sie jovial untergehakt. Vorher ist sie mit ihren Leuten um einen frisch gepflanzten Baum getanzt und hat das Band zur Eröffnung des größten Ikea-Marktes des Landes durchschnitten. Die Szene spielte sich im Frühjahr 2012 in Eindhoven ab. Im Winter 2013 entfaltet sie ganz neue Symbolkraft in Essen. Die Frau auf der Rolltreppe nach oben ist Eva-Lotta Sjöstedt. Auf der Liste der Kandidaten für den Chef-Posten bei Karstadt steht sie schon länger ganz oben. Heute wird sie vom Karstadt-Aufsichtsrat aller Voraussicht nach offiziell ernannt.
Und es wird Zeit. Denn Vorgänger Andrew Jennings will seinen Stuhl bereits zum Jahresende räumen, zwei Jahre vor dem Ende der geplanten Vertragslaufzeit. Die Zeit, die der Nachfolgerin zur Einarbeitung bleibt, steht damit im umgekehrten Verhältnis zur Größe der Herausforderung. Eva-Lotta Sjöstedt tritt einen Job an, um den sie nicht viele in der Branche beneiden. Sie soll dem strauchelnden Warenhauskonzern nach zehn Jahren Niedergang, nach einer Pleite und vielen Enttäuschungen wieder eine Zukunft geben.
Hat die 47-jährige Stockholmerin Erfolg, wird sie zur Heldin des Handels. Scheitert sie, werden viele leiden: Die 20.000 Beschäftigten, die ihre Jobs behalten wollen. Hunderte von Zulieferern, die einen wichtigen Absatzkanal verlieren. Dutzende von Innenstädten, in denen Karstadt-Häuser immer noch wichtige Kundenmagnete sind.
Schafft sie die Wende? Bei Ikea zumindest hat sie eine lückenlose Karriere hingelegt, die ihre Anpassungsfähigkeit an die unterschiedlichsten Kulturen und Umstände beweist. Im Sommer 2005, zwei Jahre nach ihrem Einstieg bei dem Möbelkonzern – zunächst als Logistik-Managerin in ihrer Heimatstadt Helsingborg – erhält sie die Chance für eine erste echte Bewährungsprobe: Sjöstedt geht ins japanische Yokohama, um dort ein Möbelhaus der schwedischen Kette mit jährlich sechs Millionen Besuchern zu leiten.
Kaum anderthalb Jahre später bekommt sie eine wichtige Rolle bei der landesweiten Expansion von Ikea in Japan. Im Juni 2009 folgt der Wechsel in die Niederlande. Das Aufgabenheft umfasst Marketing, Logistik, Mitarbeiterentwicklung und Kommunikation. Im Herbst vergangenen Jahres schließlich der nächste – und wohl letzte – Karriereschritt bei Ikea: Seither steuert sie die globale Strategie des Möbelkonzerns für die digitale Welt. Die Aufgabe: Entwicklung einer neuen Balance zwischen Online-Handel und Möbelhäusern.
Das Thema bewegt alle Händler, natürlich auch Karstadt. Sjöstedt wird zudem von ihren internationalen Erfahrungen profitieren können. „Je mehr man reist, umso mehr subtile Unterschiede zwischen den Menschen fallen einem auf“, sagte sie einmal. „Der Unterschied liegt oft in den kleinen Dingen.“ Beobachtungsgabe und Anpassungsfähigkeit wird sie dringend benötigen, denn Sortimente, Produkte und Märkte zwischen ihrem früheren Leben bei Ikea und dem künftigen Job an der Spitze von Karstadt sind groß: Wäsche statt Schränke, City-Standorte statt Grüner Wiese, Klein-Klein statt Weltmarke. Ob sie das richtige Gespür für die Kundschaft der Warenhäuser, für deren Markenkosmos und die schwierige deutsche Handelslandschaft insgesamt entwickelt, müsse sich erst noch zeigen, sagen Branchenkenner.
Fremd ist ihr die Welt der Mode nicht: Als Berufseinsteigerin arbeitete sie Anfang der 1990er-Jahre im Mode-Design, später – nach einem Zwischenspiel als Café-Besitzerin – im Handel mit hochpreisigen Schuhen und Accessoires. Die Erwartungen der Karstadt-Mitarbeiter sind hoch. Bei der Kommunikation mit ihnen braucht Sjöstedt zunächst wohl Unterstützung. In ihrem Profil auf dem Netzwerk-Portal LinkedIn tauchen Englisch, Dänisch und Schwedisch unter dem Punkt „Sprachkenntnisse“ auf, Deutsch jedoch nicht.
Ihr Vorgänger Jennings hatte sich schwergetan in diesem Punkt. Er musste seine in Englisch gehaltenen Video-Botschaften an die Mitarbeiter deutsch untertiteln lassen. Sjöstedt will das offenbar anders machen. Sie soll bereits erste Deutschstunden genommen haben, wie zu hören ist. Die Zeit drängt auch hier, nicht zuletzt angesichts laufender Verhandlungen mit der Gewerkschaft Ver.di über einen Vertrag zur Sicherung von Beschäftigung und Standorten sowie zur Rückkehr in die Tarifbindung. Das Wasser ist kalt, in das Sjöstedt springt. Aus einem florierenden Unternehmen kommt sie in eines, das sie sanieren muss. Ob die Rolltreppe für die Schwedin bei Karstadt weiter nach oben geht, wird sie erst später wissen.