Hauptgründe für Arbeitsausfälle sind psychische Erkrankungen. Allein in Hamburg sind sie für 20,4 Prozent aller Krankheitstage verantwortlich. Ein neuer Verein hilft Arbeitnehmern, denen die Belastungen über den Kopf wachsen.
Hamburg. Die Symptome kamen schleichend. Lange Zeit verschwendete Heidi Schwarz (Name geändert) keinen Gedanken daran, dass ihre Arbeit sie einmal gesundheitlich beeinträchtigen könnte. Aber dann gab es Stress in ihrem Team, viele Mitarbeiter wechselten, und unter dem permanenten Druck der kritischen Beobachtung durch die Öffentlichkeit litt die Stimmung. Schwarz bemerkte, dass sie schnell müde wurde, und ihr innerer Antrieb langsam leerlief.
Heidi Schwarz, 53, arbeitet seit 20 Jahren in der Jugendhilfe. Kein leichter Job. Neben den persönlichen Schicksalen der Jugendlichen muss man auch die zunehmende Arbeitsbelastung verarbeiten. Schwarz kann das. Als studierte Pädagogin ist sie dafür ausgebildet. Zudem hat ihr Arbeitgeber, die Großstadt-Mission, mehrere Ebenen der Supervision in ihre Belegschaftsstruktur eingezogen, welche den Mitarbeitern die Gelegenheit bieten, sich ihren Frust von der Seele zu reden. Dennoch merkte Schwarz irgendwann, dass sie in Gefahr geriet, ernsthaft zu erkranken, wenn sie nicht bald zusätzliche Hilfe bekommen würde. Da erinnerte sie sich an ein neues Hamburger Angebot, über das ihr Arbeitgeber seine Mitarbeiter kürzlich informiert hatte.
Psygesa heißt dieses Angebot und steht für: „Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz“. Dabei handelt es sich um einen Verein, an den sich Unternehmen und ihre Mitarbeiter wenden können, um ernsthaften psychischen Erkrankungen der Beschäftigten vorzubeugen. Große Unternehmen wie Beiersdorf haben ihr eigenes Gesundheitsmanagement, oder sie holen sich professionelle Institute wie Fürstenberg oder den Personalmanager Carpe diem! ins Haus. Aber kleine oder gar Kleinstbetriebe können das nicht. „Deshalb haben wir mit Psygesa den genossenschaftlichen Gedanken verwirklicht“, sagt der Psychologe Nikolai Magdalinski, einer der Gründer. „Wir sind ein nicht auf Profit orientierter gemeinnütziger Verein, der ein niedrigschwelliges Angebot zur Vorbeugung bei psychischen Belastungen von Arbeitnehmern bietet.“
Betriebe, die dem Verein beitreten, zahlen einen Grundbeitrag und eine Jahresgebühr, die sich nach der Zahl der Mitarbeiter richtet. Kleine Unternehmen zahlen also kleine Beiträge, unabhängig davon, wie oft das Hilfsangebot des Vereins in Anspruch genommen wird. Mitarbeiter, die sich in ihrem beruflichen Alltag überfordert fühlen, oder deren private Probleme auch ihre Arbeit einschränken, können sich, ohne das Wissen ihrer Vorgesetzten kostenlos beraten lassen. Und Führungskräfte können bei Unsicherheiten im Umgang mit psychischen Problemen und Auffälligkeiten Ihrer Mitarbeiter eine individuelle Beratung in Anspruch nehmen.
Das ganze geschieht professionell: Hinter Psygesa stecken nämlich zahlreiche namhafte Institutionen, wie das Universitätsklinikum Eppendorf, das Zentralinstitut für Arbeitsmedizin oder der Berufsverband Deutscher Arbeitsmediziner, die den Verein gemeinsam tragen. Magdalinski selbst arbeitet für das Arbeitsintegrations-Netzwerk Arinet. Wie seine Kollegen hat er festgestellt, dass selbst in einer reichen Stadt wie Hamburg ein solches Angebot bisher fehlte: „Es gibt etliche Suchtberatungsstellen, aber eine kostenfreie Beratung für psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz gibt es nicht“, sagt er. Dabei handele es sich um ein massives Problem in Hamburg. Das hätten auch die Arbeitgeber inzwischen erkannt.
Psychische Erkrankungen stehen bei den Gründen für Arbeitsausfälle inzwischen an der Spitze. Vor allem in Hamburg. Hier sind sie nach dem jüngsten DAK-Report für 20,4 Prozent aller Krankheitstage verantwortlich, vor Erkrankungen des Bewegungsapparats und der Atemorgane. Der Arbeitgeberverband BDA schätzt den volkswirtschaftlichen Schaden durch psychische Erkrankungen bundesweit auf knapp 29 Milliarden Euro.
Um solche Kosten durch krankheitsbedingte Ausfälle zu vermeiden, sei es wichtig, sich bereits frühzeitig entsprechende Hilfe zu suchen, sagt Magdalinski. Deshalb sei Psygesa vor allem präventiv im Einsatz. Im Fall von Heidi Schwarz ging das sehr schnell. „Ich meldete mich telefonisch an, und bekam dann einen Termin für ein Treffen mit einem Psychologen.“ Dieses treffen fand in den Räumen von Psygesa in der Hamburger Innenstadt unweit des Rathauses statt.
„Mein Gesprächspartner war sofort im Bild“, erinnert sich Schwarz. „Er brachte mich dazu, meinen Blick zu weiten, und auch andere Argumente in meiner vermeintlich vertrackten Lage zuzulassen.“ Bei einem Folgetreffen habe der Psychologe ihr konkrete Handlungs- und Verhaltensschritte für ihren Umgang mit den Kollegen vorgegeben. „Das hat mir sehr geholfen. Die Stimmung im Team ist besser und ich bin wieder deutlich motivierter als früher“, sagt Schwarz.
Laut ihrem Arbeitgeber ist das kein Einzelfall: „Wir kooperieren seit Ende vergangenen Jahres mit Psygesa. Und wir können sagen, dass dieses strikt vertrauliche, unbürokratische Beratungsangebot gut angenommen wird, so Marco Büsing, Personalchef der Großstadt-Mission. „Uns war in den Jahren zuvor aufgefallen, dass sich eine größer werdende Anzahl von Mitarbeitern außerstande sah, den Arbeitsanforderungen gerecht zu werden. Wir stärkten unser Fortbildungsangebot und realisierten ein betriebliches Gesundheitsmanagement“, sagt Büsing. Führungskräfte seien für den Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeitern geschult worden. „Dabei wurden wir auf Psygesa aufmerksam. Dieses Konzept war genau das, was uns fehlte, nämlich den Betreffenden von einer unabhängigen, kompetenten Seite Lösungsansätze aufzeigen zu lassen.“
Neben der Großstadt-Mission mit ihren 190 Mitarbeitern sind inzwischen auch ein mittelständisches Chemieunternehmen und ein IT-Dienstleistungsbüro Psygesa beigetreten. Somit können 600 Mitarbeiter in Hamburg die Hilfe von Psygesa in Anspruch nehmen. Sie werden von vier Psychologen betreut. Weitere Berater stehen über die Trägerinstitutionen bereit. Damit das Genossenschaftsprinzip sich durchsetzt, muss Psygesa aber weiter wachsen. Helfen dürfte da der Signal Iduna Umwelt- und Gesundheitspreis der Handwerkskammer Hamburg, mit dem der Verein am Dienstag ausgezeichnet wurde. Die Jury war sich einig: Dieser Verein muss in der Hamburger Wirtschaft bekannter gemacht werden.