Feuergefahr, Schimmel, Sondermüll. Gefahrenliste des meistverwendeten Stoffs Styropor ist lang. Grundeigentümer warnen.
Hamburg. Simon Seider hängt in luftiger Höhe am Seil. Mit einer Säge arbeitet er an der Fassade eines Wohnblocks. Ein Specht hat ein knapp zehn Zentimeter großes Loch in die Wärmedämmung gepickt. Der 25-Jährige von der Firma Ropeworx stopft Mineralwolle hinein, dann setzt er einen Styroporquader davor, klebt mit Silikon ein Klinkerriemchen drauf und streicht Fugenkleber hinein. Die Fassade ist wieder geschlossen.
"Wir erhalten pro Jahr 300 bis 400 Aufträge, um Spechtlöcher zu füllen", sagt Ropeworx-Geschäftsführer Torsten Nitzsche. Vor acht Jahren bekam seine Winterhuder Firma den ersten Auftrag. Erst war es ein Zusatzgeschäft, mittlerweile macht es einen beträchtlichen Teil seines Umsatzes aus. "Wenn es Schäden an Wärmeverbundsystemen gibt, dann kommen wir ins Spiel." Nitzsches Unternehmen dürfte gefragt bleiben. Denn Wärmedämmung ist in.
Die Umwelt soll geschützt, Energie gespart werden. Das ist politisch gewollt. Schließlich verbrauchen Gebäude für Heizung, Warmwasser und Beleuchtung 40 Prozent der gesamten Energie im Land und stoßen fast 20 Prozent des gesamten Kohlendioxids (CO2) aus. "Dass hier gespart werden kann und muss, liegt auf der Hand", so die Bundesregierung. Weil viele Häuser ungenügend isoliert seien, könnten bis zu 80 Prozent des Energiebedarfs gespart werden. "Die Menschen haben ein Anrecht darauf, dass der Wohnungsbestand energetisch saniert wird, und die Umwelt erst recht", sagt Hartmut Schönell, Geschäftsführender Vorstand des Industrieverbandes Hartschaum.
Aber lohnt sich die Wärmedämmung auch? Das Abendblatt sprach mit Experten. Fazit: Das Einsparpotenzial wird als zu hoch eingeschätzt. Der Umbau ist teuer und rechnet sich für viele Eigentümer nicht. Und vor allem: Es gibt massive Risiken wie Feuergefahr, Schimmelbildung - und in ein paar Jahren ein Entsorgungsproblem.
Heinrich Stüven ist Vorsitzender des Grundeigentümerverbandes Hamburg. Gegen das Ziel Energiesparen hat er nichts. Gegen die derzeit angewendeten Methoden bei der Wärmedämmung schon. "Wir haben hier Probleme ohne Ende", sagt Stüven. Zu knapp 80 Prozent setzen die Deutschen auf Polystyrol, besser bekannt als Styropor, weil es die günstigste Lösung ist. In der Zukunft drohen aber hohe Folgekosten, weil die Lebensdauer begrenzt ist und das Material ausgetauscht werden muss. "Wenn wir Styropor vor die Häuser setzen, müssen wir das in spätestens 20 Jahren als absoluten Sondermüll entsorgen", sagt Stüven. Der Grund: "Das Polystyrol wird mit Brandhemmern aufgeschäumt, die hochgradig giftig sind." Auch der Hamburger Chef des Bunds der Architekten, Volker Halbach, warnt: "Letztlich dämmen wir mit einem nicht abbaubaren Material ähnlich wie Plastik. In spätestens 30 bis 50 Jahren werden wir dieses Material als Sondermüll entsorgen müssen." Die Situation ist paradox: "Wir kaufen umweltbewusste Kleidung ein, Obst und Gemüse auf dem Biomarkt und wohnen zukünftig in Häusern mit Plastikkleidern."
In gedämmten Häusern wird häufig die Innen- und Außenluft fast hermetisch abgeschottet. Die unangenehme Folge: Wasserdampf, der beim Atmen, Kochen und Duschen frei wird, bleibt im Haus, Schimmel kann sich bilden. Um das zu verhindern, werden mittlerweile teure Lüftungsanlagen eingebaut. Gefahr geht auch von kleinen Rissen oder Lücken in der Wand aus - wie Spechtlöchern. Wasser kann eindringen, Schimmelbildung droht. Während sich Halbach ein Umdenken zu Naturmaterialen wie zum Beispiel Steinwolle wünscht, fordert Stüven mehr Geld für die Forschung, um neue Materialien zu entwickeln: "Wir wissen einfach nicht, was hinter der Fassade passiert."
Die Erfahrung musste im Mai 2012 die Frankfurter Feuerwehr machen. Sie wurde zu einem kleinen Feuer auf einer Baustelle gerufen. Fünf Minuten später stand die frisch verputzte Fassade des Hochhauses in Flammen. Die Hitze sei brutal gewesen, sagt Feuerwehrchef Reinhard Ries. Generell könne Polystyrol mit Wasser oder einem Schaumwasserstoffgemisch gelöscht werden, aber die Feuerwehr müsse an den Brandherd kommen - der war aber verpackt. "Wenn das Feuer in der Fassade drinsteckt, steigt es durch die Styroporplatten wie in einem Schacht hoch, die Platten wirken wie ein Brandbeschleuniger", sagt Ries. Binnen 300 Sekunden brannten 24 Appartements. Ries: "Wäre das Haus bewohnt gewesen, hätte es vermutlich Tote gegeben." Zwar stufe die Zulassungsbehörde das Dämmsystem als schwer entflammbar ein, doch wenn Polystyrol erst einmal entzündet ist, "brennt es wie Benzin". Brandsperren aus Mineralwolle sollen das verhindern - in Frankfurt halfen sie nicht. Ries: "Die Flammen haben sie in kürzester Zeit übersprungen."
Ein weiteres Problem ist der Abfluss von Giftstoffen in Gewässer. Weil die gedämmte Fassade schnell zum kühlsten Punkt der Umgebung werde, wird sie nachts feucht. Schimmel und Algen können sich bilden. Um das zu verhindern, erfolgt die Außenbeschichtung mit Farben oder Putz, denen Biozide beigemischt werden. Damit die Stoffe ihre Wirkung entfalten können, müssen sie wasserlöslich sein - und werden damit zum Angriffsziel des Regens. "Die Pestizide werden innerhalb von fünf Jahren ausgewaschen", sagt Stüven. Eine Untersuchung der Eidgenössischen Anstalt für Gewässerschutz untermauert seine These. Das Institut fand in der Schweiz Giftrückstände aus der Fassade in Bächen und Flüssen. Das Umweltbundesamt startete daraufhin vergangenes Jahr eigene Forschungsprojekte. Denn einige Biozide sind zum Schutz der Umwelt in der Landwirtschaft seit 15 Jahren verboten. Eines dieser Gifte ist Terbutryn, das Durchfall, Atembeschwerden und Störungen des Zentralen Nervensystems auslösen kann. In der EU werden jetzt Beschichtungsschutzmittel wie Farbe und Mauerschutzmittel bewertet. Allein diese Prüfung hatte Auswirkungen: Zwei Drittel der Produkte mit den Wirkstoffen sind seit Jahresanfang nicht mehr auf dem Markt. Entweder verzichteten die Unternehmen auf die Anmeldung, oder die Wirkstoffe wurden verboten. Stüven ärgert zudem, dass bisher nie untersucht worden sei, "wie viel Energie für die Herstellung des Styropors aufgewendet werden muss und im Gegenzug durch die Häuserdämmung gespart wird".
Die Dämmstoffindustrie weist die Vorwürfe zurück. Wolfgang Setzler, Geschäftsführer des Fachverbandes der Wärmedämm-Verbundsysteme, sagt: "Die Systeme von heute können morgen dem Wertstoffkreislauf zugeführt werden und müssen keinesfalls als Sondermüll deponiert werden." Hartmut Schönell vom Industrieverband Hartschaum betont, dass regelrecht aufgebaute Wärmedämmverbundsysteme schwer entflammbar seien, während Holzhäuser oder Dachstühle als normal entflammbar gelten. Algen bildeten sich an wärmegedämmten nicht häufiger als an anderen Fassaden. Zudem sei ihm "nicht bekannt, dass Fungizide und Pestizide aus gedämmten Fassaden häufiger im Grundwasser vorkommen als durch Hausfassadenanstriche ohne Wärmedämmung - leider".
Doch trotz der Diskussionen um Schimmelbildung, Feuergefahr und Umweltschäden - die Bundesregierung erklärt die energetische Gebäudesanierung zum "Herzstück" der Maßnahmen, um Energie zu sparen. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist ihr 2012 bis 2014 jährlich 1,5 Milliarden Euro wert. Über die Staatsbank KfW gewährt sie Zuschüsse in Höhe von 7,5 Prozent der förderfähigen Kosten oder Kredite bis zu 50.000 Euro für einen Prozent effektiven Jahreszins. Die Kosten liegen für Eigenheimbesitzer aber häufig höher, sagt Eva Reinhold-Postina vom Verband Privater Bauherren (VPB): "Ein bislang unsaniertes Einfamilienhaus mit einfach verglasten Fenstern, das wärmegedämmt werden soll, kostet mindestens 70.000 Euro." Bei einem Mehrfamilienhaus kostet ein Quadratmeter Dämmung mit zehn bis zwölf Zentimeter dicken Styroporplatten 100 bis 120 Euro. Setzt man Klinkerriemchen davor, werden 160 bis 180 Euro fällig. Die Dämmung mit Mineralwolle liegt bei 120 bis 150 Euro.
Es ist ein lukrativer Markt. Laut dem Gebäudereport der Deutschen Energie-Agentur wurden 70 Prozent der deutschen Wohngebäude vor Ende der 70er-Jahre gebaut. Vereinfacht gesagt gelten sie als schlecht isoliert, weil erst dann die erste Wärmeschutzverordnung in Kraft trat, mit der durch bauliche Maßnahmen der Energieverbrauch gesenkt wurde. In Hamburg liegt die Quote mit 84,4 Prozent noch höher. 2010 waren es laut Mikrozensus 757.000 Wohnungen in der Hansestadt. Im selben Jahr gaben die Deutschen für die Dämmung der Gebäudehülle 16,2 Milliarden Euro aus. Bis 2020 werden sich die Erlöse in diesem Bereich fast verdoppeln, ergab eine Studie der Unternehmensberatung Roland Berger (s. Grafik). Die Hamburgische Wohnungsbaukreditanstalt förderte in den vergangenen drei Jahren Wärmeschutzmaßnahmen für 9986 Miet- und 11.640 Eigentumswohnungen im Stadtgebiet.
Aber senkt das die Energiekosten? "Ein Kilogramm Polystyrol an der Fassade spart in fünfzig Jahren mehr als 200 Liter Heizöl ein", sagt Hartschaumverbandschef Schönell. Die Energierechnung ist aber kompliziert, weil sie sich an dem Energiebedarf orientiert. Gewohnheiten der Bewohner und die Lage des Gebäudes werden nicht berücksichtigt. "Der Energiebedarf wird daher zu hoch angesetzt, der Energieverbrauch liegt bei der Hälfte", sagt Professor Harald Simons, Vorstand des Berliner Forschungsinstitut Empirica. Schließlich würden die meisten Häuser nicht im Gegensatz zum ermittelten Energiebedarf rund um die Uhr auf 19 oder 20 Grad Celsius geheizt, sondern häufig nur einzelne Räume für ein paar Stunden am Tag. Laut Nebenkostenspiegel des Deutschen Mieterbundes zahlten Mieter im Mittel 1,09 Euro pro Quadratmeter für Heizung und Warmwasser. Sänken durch die energetische Sanierung die Kosten um 60 Prozent, lägen die Einsparungen bei 117,72 Euro pro Quadratmeter in 15 Jahren. Simons: "Eine Vollsanierung kostet aber ein Vielfaches." Zudem sei der Zustand der Ein- und Zweifamilienhäuser bis Baujahr 1978 in Deutschland besser als sein Ruf. Sein Institut habe festgestellt, dass 81 Prozent der Heizungsanlagen hoch oder höchst effizient, 96 Prozent aller Fenster mindestens zweifach verglast und 69 Prozent der Häuser zum Dach oder der oberen Geschossdecke hin gedämmt seien. "Von einem Sanierungsstau kann keine Rede sein", sagt Simons. Der Verband Privater Bauherren empfiehlt nur dann eine energetische Sanierung voranzutreiben, wenn man zum Handeln gezwungen ist. "Es lohnt sich, wenn etwas kaputt ist oder man ein langfristig orientierten, großen Umbau macht", sagt VPB-Sprecherin Eva Reinhold-Postina. Häufig reiche schon der Einbau einer effizienteren Heizung, neuer Fenster oder die Dachdämmung, die Energiekosten zu senken, sind sich VPB und Grundeigentümerverband einig. Stüven gibt den Eigentümern einen klaren Rat: "Lassen Sie die Finger von der Fassadenaußendämmung."