Null Chemie: Der Förster und Holzfachmann Erwin Thoma entwickelte Wand- und Deckenelemente, die ohne Leim oder andere Zusätze auskommen.
Hamburg/Goldegg. Förster und Holzfachmann Dr. Erwin Thoma hatte einen Traum. Irgendwann zwischen drei und vier Uhr morgens geriet ihm ein Konstruktionsprinzip in den Kopf, das seine bisher im Blockhausstil errichteten reinen Holzhäuser noch zukunftsfähiger machte: Thoma sprang aus dem Bett und entwickelte am heimischen Küchentisch Bauelemente aus mehreren kreuzweise verbauten Lagen Fichtenbrettern, die ohne Leim oder Nägel nur von Buchendübeln zusammengehalten werden. Inzwischen sind die Fertigbauwände unter dem Markenname Holz100 bereits tausendfach montiert, unter anderem im Woodcube, einem fünfstöckigen Wohngebäude, das derzeit im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Wilhelmsburg entsteht.
Kreuzweise verarbeitete Holzlagen, sogenanntes Brettsperrholz, sind nicht neu. Die Verarbeitungsweise sorgt dafür, dass sich das Holz nicht mehr verziehen kann. Doch herkömmliche Produkte werden verleimt. Davon wollte Erwin Thoma nichts wissen. Denn seine beiden Söhne waren zuvor in einem neu bezogenen Forsthaus in St. Johann im Pongau (Österreich) krank geworden - beide reagierten allergisch auf verleimte Holzplatten, litten unter Husten- und Erstickungsanfällen. Die krank machenden Materialien wurden entfernt, die Söhne wieder gesund, und Vater Erwin fasste den Beschluss, reine Holzhäuser ohne Chemikalien oder Fremdmaterial zu bauen.
Zunächst setzte der Ingenieur auf Blockhäuser. "Die Blockhäuser schaffen es zwar, den Zauber des reinen Holzes ins Haus zu bringen. Aber technisch gibt es enge Grenzen. Die Eckverbindungen sind nie ganz winddicht, Blockwände schrumpfen nachträglich. Diese Setzlinge beschränken den Einsatz des Holzes auf kleine Häuser und Hütten", schreibt Thoma in seinem Buch "Die geheime Sprache der Bäume". Gegen Durchzug werden konventionelle Holzkonstruktionen mit Plastikfolien versehen, doch das wollte Thoma dem Holz und den zukünftigen Hausbewohnern ersparen. Jahrelang suchte er nach einer technischen Lösung für größere Gebäude aus reinem Holz, doch davon konnte er nur träumen. Und tat es.
Nach der Skizze vom Küchentisch entstand vor rund 15 Jahren die erste Probewand. Sie war sechs Meter breit, drei Meter hoch und gut 30 Zentimeter dick. Pro Quadratmeter hielten gut 20 Buchendübel die Lagen aus weicherem Nadelholz zusammen. Es folgte der erste Härtetest: Über eine Rampe rollte ein Zehntonnenstapler auf das aufgebockte Holzelement - es bog sich leicht durch. Von der Last befreit, kehrte es in seine Ausgangslage zurück. Dasselbe passierte, nachdem das Testobjekt tagelang beregnet und anschließend einer Temperatur von 70 Grad ausgesetzt worden war.
Nach den gelungenen Selbstversuchen attestierten in den Jahren 1999 bis 2007 zahlreiche externe Prüfberichte beste Dämmeigenschaften (Thoma spricht vom Weltrekord bei Wärmedämmung und Energieeinsparung) sowie eine gute Abschirmung gegen Hitze, Kälte, Mobilfunkstrahlen und Schall.
Auch beim Brandschutz erwiesen sich die Massivholzwände und -decken als erstaunlich stabil. Das Thema ist beim Baustoff Holz generell kitzelig. Thoma schildert in seinem Buch den ersten Besuch im Labor des Instituts für Brandschutztechnik und Sicherheitsforschung in Linz. Dort wollten die Techniker der Holzwand den sogenannten F30-Test zumuten, das heißt, sie 30 Minuten lang mit einer 1000 Grad heißen Prüfflamme traktieren. Erwin Thoma war das zu wenig und bat darum, die Flamme so lange laufen zu lassen, bis die Wand versagt. Das tat sie erst nach drei gut Stunden. Ergo: Die gut 30 Zentimeter dicken Wände gelten als feuerbeständig.
Der Brandschutz war zunächst auch beim Hamburger Woodcube ein Problem. "Nach den gültigen Brandschutzrichtlinien aus dem Jahr 1995 hätte das Holz behandelt werden müssen. Doch damit wäre es getötet worden, das wollten wir nicht", sagt Investor Matthias Korff. "Nach mehreren vergeblichen Anläufen haben wir mit der Technischen Universität Darmstadt Experten gefunden, die bereit waren, vor dem Hintergrund der bestehenden Richtlinie Brandversuche zu machen. Sie bestätigten uns, dass der Woodcube ohne zusätzliche Brandschutzmaßnahmen auskommt."
Für die Feuerwehr seien die Holzwände im Vergleich zu Stahlbetonkonstruktionen sogar von Vorteil, so Korff. "Ihr Verhalten ist berechenbarer, pro Zeiteinheit verkokelt eine bestimmte Menge Holz." Auch sonst ist der Investor von seinem Wohnwürfel begeistert: "Wir haben am 18. November angefangen zu bauen und sind am 20. Dezember fertig geworden - ohne einen einzigen Mangel. Jetzt müssen noch Fenster und Türen eingesetzt und der Innenausbau gemacht werden. Schon im März sollen die ersten Mieter einziehen."
Ein Prinzip von Holz100 bleibt jedoch umstritten: Erwin Thoma verwendet nur sogenanntes Mondholz, das im Winter bei abnehmendem Mond geschlagen wurde. Der Österreicher wendet damit traditionelles Wissen an, das vor allem im Alpenraum verbreitet ist. Es schreibt Holz, das in bestimmten Mondphasen gefällt wurde, besondere Eigenschaften, etwa eine längere Haltbarkeit, zu. Zwar hat der Schweizer Holzwissenschaftler Prof. Ernst Zürcher in einer Studie mit 576 zu unterschiedlichen Zeitpunkten gefällten Fichten und Edelkastanien tatsächlich statistische Unterschiede beim Wasserverlust, der Dichte und dem Schwindverhalten der Holzproben festgestellt, die sich verschiedenen Mondphasen zuordnen ließen. Doch relativierte Zürcher: "Die Ergebnisse sind noch kein Beweis, dass Holz aus solch speziellen, mondbezogenen Fälldaten auf die Dauer besondere bautechnische Eigenschaften besitzt."
Unabhängig von der Sinnhaftigkeit des Mondholzes nutzen Baufachleute von Südtirol bis Norwegen Holz100-Material. Und für Investor Korff soll der Hamburger Woodcube der Auftakt sein für weitere Projekte dieser Art. Damit bestätigen die Fachleute die Zukunftsfähigkeit der Holzhäuser, die Erwin Thoma sich erträumt hatte.
Lesebuch zu Bäumen, Wald und zum Holzbau: "Die geheime Sprache der Bäume", Erwin Thoma, 208 Seiten, 21,90 Euro, ISBN 978-3-7110-0033-0
Der Woodcube im Internet: www.woodcube-hamburg.de