Die EU fordert mehr Frachter und Tanker unter europäischer Regie. Das brachte einen Hamburger Unternehmer auf eine praktische Idee.
Hamburg. Draußen wird es am späten Nachmittag dunkel. Das Jahr ist jung, die Tage sind kurz. Albrecht Gundermann sitzt in seinem Büro in einem Geschäftshaus an der Klopstockstraße in Altona. Früher am Tag könnte man aus seinem Fenster einen Zipfel Elbe und Hafen sehen. All das ist wichtig für Gundermann: die Elbe, die Schiffe darauf und der Beginn des neuen Jahres. Zum 1. Januar hat der Unternehmer in Hamburg und in der rumänischen Hauptstadt Bukarest das neue Flaggenregister Romanian International Flag Administration (RIFA) eröffnet. Für ihn und seine Mitstreiter soll das vor allem ein gutes Geschäft werden. Für die internationale Schifffahrt ist RIFA aber auch ein Element der hohen Politik. "Wir wollen in drei bis fünf Jahren bis zu 1000 Schiffe aus europäischen Staaten für RIFA gewinnen", sagt Gundermann, 44, der früher unter anderem als Experte für Schiffsfinanzierung bei der Commerzbank gearbeitet hat.
Für Laien an Land bleibt es zumeist ein Rätsel, warum welche Flagge am Heck eines Schiffes hängt. Warum fahren Supertanker unter der Flagge des westafrikanischen Liberia, das keine eigenen Ölreserven besitzt? Warum schickt die französische Reederei CMA CGM ihr stolzes Flaggschiff "Marco Polo" mit dem britischen Union Jack und Heimathafen London um die Welt? Warum fährt ein deutscher Reeder einen Containerfrachter unter deutscher Flagge und dessen Schwesterschiff unter dem Hoheitszeichen der Marshallinseln im Westpazifik? Eine Flagge für ein Fracht- oder Passagierschiff markiert die Bindung an einen Staat und dessen Recht. Früher zeigte die Flagge, ob ein Schiff Freund oder Feind war. Heutzutage aber ist sie in erster Linie ein Wirtschaftsfaktor, eine Dienstleistung. Und die kann man kaufen. "Wir sind Beliehene, wir üben eine hoheitliche Tätigkeit als privatwirtschaftliches Unternehmen aus, so wie etwa auch der TÜV", erklärt Gundermann, wie das neue Register RIFA funktioniert.
Der größte Teil der Flaggenregister wird nach wie vor direkt von Staaten in Form von Behörden betrieben. Doch die Präsenz privatwirtschaftlich geführter Register nimmt weiter zu. Die meisten großen Schiffe sind ohnehin schon längst dort registriert, vor allem unter den Flaggen von Panama oder Liberia, die allein insgesamt rund ein Drittel der weltweiten Handelsschifftonnage abdecken. Welche Flagge ein Schiff trägt, entscheidet darüber, wie viel Steuern für das Schiff und Sozialabgaben für die Besatzung der Reeder zahlen muss.
Schiffe sind bewegbare Wirtschaftsgüter. Deshalb ist der Wettbewerb um die Flaggenpräsenz von Reedereien besonders hart. In den meisten relevanten Flaggenstaaten zahlen die Schifffahrtsunternehmen pauschale Steuern auf die Größe des Frachters oder Tankers, unabhängig von dessen jährlichem Gewinn, die sogenannte Tonnagesteuer. Das ist auch in Europa so. Damit es so bleibt, fordert die EU-Kommission in Brüssel von den europäischen Reedereien, dass sie mindestens 60 Prozent ihrer Flotten unter europäischen Flaggen führen. Das ist der Markt für das neue Register RIFA.
"Es wird wohl vor allem darum gehen, Schiffe unter Flaggen wie Liberia oder der Marshallinseln verstärkt wieder nach Europa zu holen, nicht um eine Umflaggung deutscher Schiffe auf das neue rumänische Register", sagt Dirk Max Johns, Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder (VDR) in Hamburg. Die deutsche Flagge stellt für deutsche Reeder einen ganz speziellen Sonderfall dar. Wer deutsch flaggt, zahlt je nach Größe der Besatzung auf einem Schiff im Jahr rund 200.000 Euro bis 400.000 Euro mehr an Sozialabgaben und Lohnnebenkosten, verglichen etwa mit der Liberia-Flagge, verglichen nun auch mit der Registrierung bei RIFA.
Schwarz-Rot-Gold am Heck aber ist vor allem auch ein Politikum: Die Bundesregierung erwartet von den heimischen Reedern Präsenz der deutschen Flagge auf den Weltmeeren, als eine der Gegenleistungen für die Unterstützung der Branche aus Berlin. 530 von insgesamt 3784 deutschen Handelsschiffen sind derzeit deutsch geflaggt. Mancher Politiker meint, das seien längst nicht genug. Mancher in der Schifffahrt denkt, es seien viel zu viele mit Blick auf die Konkurrenzfähigkeit deutscher Reedereien, vor allem der kleineren.
RIFA-Gründer Gundermann sind alle Schiffe willkommen, die den strengen Standards seine Agentur entsprechen: "Die Schiffe, die bei uns registriert werden, sollten jünger als 15 Jahre sein", sagt er. "Und wir nehmen bei den Tankern nur Doppelhüllentanker. Wir wollen nicht jede Reederei haben. Wir wissen, welche gut und seriös arbeiten." Sein Ziel ist es, mit RIFA-geflaggten Schiffen von den nationalen Hafenbehörden Bestnoten für Sicherheit und Schiffsführung zu bekommen, stets auf den begehrten "weißen Listen" der Kontrollbehörden zu stehen.
Wie man das erreicht, hat Gundermann als Geschäftsführer der deutschen Niederlassung beim Liberia-Register LISCR gelernt. Das Register gilt als so zuverlässig und sicher, dass die USA es als offizielles Zweitregister führen. Insgesamt wollen Gundermann und sein Co-Geschäftsführer Jörg Molzahn in Hamburg und Bukarest bis zu 40 Mitarbeiter beschäftigen. Mit einer durchschnittlichen Gebühr von 11.000 Euro je Schiff kämen sie auf elf Millionen Euro Umsatz im Jahr, wenn ihre Kalkulation aufgeht. "Malta, Zypern und Gibraltar sind zwar europäische Schiffsregister. Wer dort einflaggt, zahlt allerdings keine Sozialabgaben für die Seeleute. Ich glaube nicht, dass diese Register ihre Position innerhalb der EU noch lange werden durchhalten können", sagt Gundermann über die wichtigsten Konkurrenten in Europa.
Die Flagge aus dem griechischen Teil des geteilten Zypern berge das Problem, dass sie von der wirtschaftlich erstarkenden Türkei nicht anerkannt werde, dass zypriotisch geflaggte Schiffe türkische Häfen nur unter Schikanen anlaufen könnten. Auch Malta habe seine Besonderheiten, sagt Gundermann: "Wer in Malta einflaggen will, muss für jeden einzelnen Schritt stets einen maltesischen Anwalt einschalten, auch für die operative Betreuung. Ob das wettbewerbsfähig ist, wird sich auch daran messen lassen, wie RIFA von den Reedereien angenommen wird."
Man habe mit verschiedenen Staaten in Europa über ein neues, privatwirtschaftliches Flaggenregister gesprochen, sagt Gundermann. Rumänien habe die Chance auf zusätzliche Steuereinnahmen, aber auch auf Prestige zur See erkannt, eine Ausschreibung angesetzt und sich für das Konzept von Gundermanns Team entschieden.
Die Hamburger wollen schnell, effizient und akkurat arbeiten, autorisierte Dokumente jederzeit per E-Mail auf Schiffe schicken anstatt die Besatzungen tagelang auf wichtige Stempel warten zu lassen. "RIFA ist deutlich stärker am Internet und den modernen elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten orientiert als alle anderen Flaggenregister weltweit", sagt Gundermann. Auch der internationale Außendienst ist organisiert: "Wir stützen uns auf ein weltweites Netzwerk von freiberuflichen Auditoren und Zertifikatoren."
Erste Zusagen der vier namhaften Hamburger Reedereien Leonhardt & Blumberg, Peter Döhle, Carsten Rehder und Hamburger Lloyd für die Umflaggung von Schiffen zu RIFA hat Gundermann bereits. Insgesamt gebe es von internationalen Reedereien 300 Voranmeldungen. Das weckt bei Gundermann den europäischen Geist: "Warum soll nicht ein Staat, der mit einem privatwirtschaftlichen Flaggenregister gute Arbeit geleistet hat, zum Vorbild für eine EU-Flagge werden - oder gar zu deren organisatorischer Plattform?"