Finanzminister Dijsselbloem könnte von Luxemburgs Premier Juncker das EU-Amt übernehmen. Entscheidung soll Ende Januar fallen.

Brüssel. Am meisten spricht für ihn, dass nichts gegen ihn spricht: Im Dauergerangel um ihren künftigen Vorsitzenden könnten die Euro-Finanzminister überraschend ihren niederländischen Kollegen Jeroen Dijsselbloem aus dem Hut zaubern. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge haben sich die Spitzen der Währungszone auf den 46-Jährigen als Nachfolger von Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker verständigt, der das einflussreiche Amt spätestens Ende Januar niederlegen will. Kommenden Monat solle die Entscheidung von den Finanzministern formal bestätigt werden, hieß es am Montag. Plausibel erscheint die Lösung vor allem, weil es an kompromissfähigen Alternativen fehlt.

Dijsselbloems Vorzüge liegen auf der Hand: Er vertritt eines der vier verbliebenen Länder mit der Top-Bonitätsnote AAA in Europa (die anderen sind Deutschland, Finnland und Luxemburg) und zudem einen strikt stabilitätsorientierten Haushaltskurs – was der Bundesregierung gefallen dürfte. Frankreichs Staatspräsident François Hollande wiederum wüsste mit dem Sozialdemokraten einen Parteifreund an der Spitze des mächtigen Gremiums – und könnte damit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verhindern, dessen knallharte Sparpolitik der Élysée als viel zu rigoros empfindet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte die Personalie nach dem EU-Gipfel am Freitag ebenso wenig kommentieren wie Hollande. Merkels Sprecher Steffen Seibert ergänzte am Montag bloß knapp, das Thema werde „dann entschieden, wenn es nötig ist, entschieden zu werden“.

Multilingualer Sozialdemokrat mit Vermittlerpotenzial

Da der Weg zum Eurogruppen-Vorsitz nur über Berlin und Paris führt, könnte er nun in Den Haag enden. Und noch mehr spricht für Dijsselbloem: So spricht er fließend Englisch und gilt als konzilianter Typ, was eine Vermittlerrolle im Gremium der 17 Finanzminister begünstigen würde. Diplomaten, die öfter mit ihm zu tun haben, beschreiben den Lockenschopf mit der randlosen Brille als angenehm ruhigen, freundlichen Charakter, der keineswegs beratungsresistent sei und dennoch selbstbewusst auftrete.

Im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger Jan Kees de Jager, den er im Zuge der neuen liberal-sozialdemokratischen Regierungsbildung in den Niederlanden am 5. November ablöste, sei er ein komplett anderer Charakter, heißt es auf Brüsseler Behördenfluren. De Jagers Hauruck-Attitüde sei Dijsselbloems Sache nicht, obgleich er in der Sache ähnlich hart sein könne. Dass er zudem ein kleineres Land vertritt und damit Ängste vor der Dominanz eines einzelnen Euro-Schwergewichts entschärfen würde, käme ihm im europäischen Interessengeflecht ebenfalls zugute.

Andere Kandidaten waren zuvor reihenweise aus dem Feld geschieden: Während Schäuble nach der Bundestagswahl im Herbst seinen Kabinettsposten verlieren könnte, spricht gegen den französischen Finanzminister Pierre Moscovici die deutsche Skepsis vor einer „Pariser Lösung“ und gegen die österreichische Ressortchefin Maria Fekter ihr loses und allzu oft undiplomatisches Mundwerk. Auch der Name des finnischen Regierungschefs Jyrki Katainen wurde genannt, tauchte zuletzt aber nicht mehr auf. Im Gegenteil: Dijsselbloem wäre eine gute Wahl, lobte der Mann aus Helsinki seinen AAA-Kumpanen.

Folgt ein Frischling auf EU-Veteran Juncker?

Dijsselbloems Name wurde zudem nicht durch monatelange Spekulationen verbrannt, sondern kam erst jetzt auf der Zielgerade ins Gespräch – und eine alte diplomatische Faustregel besagt: Wer zu früh aus der Deckung kommt, bleibt auf der Strecke. Am 21. Januar ist die nächste turnusmäßige Eurogruppen-Sitzung, schon da könnte Dijsselbloem den Segen der Kollegen bekommen. Seine Sprecherin erklärte, ihr Chef werde bei einer möglichen Übernahme des Amtes in Teilzeit weiter Finanzminister bleiben.

Seit ihn Ministerpräsident Mark Rutte ins Kabinett holte, hat der Niederländer erst an einem formellen Ratstreffen mit seinen europäischen Ressortkollegen teilgenommen. Würde er an ihre Spitze rücken, wäre es ein bedeutender Blitzaufstieg: Denn in der Krise hat die Eurogruppe zunehmend an politischem Einfluss gewonnen, da sie die Wirtschafts- und Finanzpolitik der 17 Mitgliedstaaten koordiniert und auch über Hilfsanträge von Euro-Sorgenkindern wie Griechenland und Spanien berät.

Seit 2005 wird sie geführt vom luxemburgischen Ministerpräsidenten Jean-Claude Juncker, der sich in dieser Zeit als kompetenter und charismatischer Vermittler zwischen großen und kleinen Mitgliedstaaten, Nordfraktion und Südländern bewährt hat. Zudem lockerte das politische Schlitzohr mit seinem Humor manch dröge Sitzung und Pressekonferenz auf – was dem Luxemburger von Journalisten wie Politikern hoch angerechnet wurde und manche Kompromissfindung erleichterte. Doch Juncker hat genug von der Doppelbelastung und ließ sich im Sommer nur zähneknirschend zu einer Verlängerung bewegen. Jetzt soll endgültig Schluss sein.

Mit Jeroen René Victor Anton Dijsselbloem würde ein studierter Agrarökonom seine Nachfolge antreten. Seit 1985 ist der zweifache Familienvater Mitglied der sozialdemokratischen Partei. Anfang der 1990 Jahre arbeitete er als Assistent im EU-Parlament, später saß er zwölf Jahre im niederländischen Repräsentantenhaus, wo er es bis zum Vize-Fraktionschef brachte. Seine Berufung ins Kabinett versah er mit dem Versprechen: „Als Finanzminister werde ich die öffentlichen Kassen weiter in Ordnung bringen, in unserem eigenen Interesse.“ Dieses Ziel könnte Dijsselbloem als Eurogruppen-Chef gleich europaweit verfolgen.