Bundesbank und Finanzministerium erwarten kein Wachstum mehr zum Jahresende - Sommerquartal soll noch Plus gebracht haben
Berlin. Im Sog der Euro-Krise kommt die deutsche Wirtschaft nach Einschätzung aus Regierung und Notenbank erstmals seit einem Jahr vom Wachstumskurs ab. Es verdichteten sich die Anzeichen für eine Stagnation oder sogar einen leichten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im vierten Quartal, warnte die Bundesbank am Montag in ihrem Monatsbericht. Ein Minus hat es seit dem Höhepunkt der Finanzkrise Anfang 2009 nur einmal gegeben – zum Jahresende 2011. Auch die Experten von Finanzminister Wolfgang Schäuble erwarten eine deutliche Abkühlung. Im Sommer ist die Konjunktur laut Bundesregierung trotz schwächerer Weltwirtschaft noch in der Wachstumsspur geblieben. Rekordbeschäftigung und robustes Wachstum bescheren dem Staat zudem seit Monaten Rekordeinnahmen.
„Deutliche Wachstumsimpulse“ seien im Sommer wohl vor allem von der Industrie ausgegangen, heißt es im Monatsbericht des Finanzministeriums. Auch die Bundesbank erwartet eine „spürbare Expansion“ der Wirtschaftsleistung im dritten Quartal. Die Experten der Notenbank und des Finanzministeriums sind damit optimistischer als Bankenökonomen: Diese erwarten einer Reuters-Umfrage zufolge im dritten Quartal eine Stagnation. Weitgehend einig sind sich aber alle Fachleute, dass der Wachstumsmotor zum Jahresende ins Stottern gerät.
Unter Druck sieht die Bundesbank vor allem die exportabhängige Industrie. Zwar seien die Aufträge aus der Euro-Zone nach den massiven Rückgängen in den Vorquartalen nicht weiter gefallen. Dafür sei aber die Nachfrage aus anderen Regionen wegen der globalen Konjunkturdelle zum Stillstand gekommen. Mehrere Autohersteller hatten im Sommer zudem auf die üblichen Produktionsunterbrechungen verzichtet, was zum Bumerang werden könnte.
„Auch die im Vergleich zu den Warenausfuhren recht schwache Einfuhrtätigkeit deutet darauf hin, dass eine Dämpfung der Produktion bevorstehen könnte“, erläuterte die Bundesbank. Die robuste Binnennachfrage dürfte aber einen Einbruch verhindern: „Demgegenüber wird die Konjunktur weiterhin dadurch unterstützt, dass der Wohnungsbau von den günstigen Finanzierungsbedingungen, dem Mangel an Alternativanlagen und der gestiegenen Verunsicherung profitiert und der private Verbrauch aufgrund der spürbaren Realeinkommensgewinne auf Expansionskurs bleibt.“
Im Frühjahr hatte das Bruttoinlandsprodukt noch um 0,3 Prozent zugelegt, im ersten Vierteljahr sogar um 0,5 Prozent. Die Stimmung in den Chefetagen der Wirtschaft hat sich zuletzt fünf Monate in Folge aber eingetrübt, fand das Ifo-Institut bei seiner Umfrage unter Tausenden Managern heraus. Für die am Mittwoch anstehenden Geschäftsklima-Daten des Münchner Instituts erwarten Experten allerdings eine Stabilisierung.
Wegen der Schuldenkrise in Europa hat die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose für 2013 von 1,6 auf 1,0 Prozent gesenkt. Für dieses Jahr wurde sie dagegen minimal von 0,7 auf 0,8 Prozent angehoben. 2011 war das Bruttoinlandsprodukt noch um drei Prozent gewachsen, 2010 sogar um 4,2 Prozent.
Trotz der nachlassenden Wachstumsdynamik kann sich der Fiskus weiter über sprudelnde Steuereinnahmen freuen. Im September verbuchten Bund und Länder 50,8 Milliarden Euro Steuereinnahmen – 4,2 Prozent mehr als vor einem Jahr. Dabei legten die Lohnsteuereinnahmen um 7,6 Prozent auf knapp 11,2 Milliarden Euro zu. Die Umsatzsteuern brachten mit rund 16,7 Milliarden Euro sieben Prozent mehr ein.
Damit zeichnet sich auch für das Gesamtjahr ein deutlich höhere Aufkommen ab als prognostiziert: Von Januar bis September legten die Steuereinnahmen um 5,6 Prozent auf 403,4 Milliarden Euro zu. Die Steuerschätzung im Mai hatte für das Gesamtjahr lediglich ein Plus von vier Prozent vorhergesagt.
Die hohen Einnahmen helfen dem Bund und den Ländern bei der Konsolidierung. So war die Etat-Lücke der Bundesländer mit 4,9 Milliarden Euro Ende August um 3,3 Milliarden Euro kleiner als ein Jahr zuvor. Zugleich fachten die hohen Einnahmen aber auch den politischen Streit über den Sparkurs wieder an. Die Grünen-Haushaltsexpertin Priska Hinz warf die Frage auf, warum die schwarz-gelbe Koalition trotz Einahmerekords weiter in diesem Jahr gut 32 Milliarden Euro neue Schulden machen wolle: „Die Bundesregierung darf sich nicht darauf verlassen, dass ihr die hohen Steuereinnahmen dauerhaft in den Schoß fallen.“