Das Wachstumsplus soll im kommenden Jahr nur noch ein statt wie bisher erwartet 1,6 Prozent betragen. Europäer glauben nicht an den Aufschwung.
Nürnberg. Trotz Euro-Krise blicken Bundesregierung und Finanzmarktprofis mit gedämpftem Optimismus auf die deutsche Konjunktur. Wie Reuters am Dienstag aus Kreisen der Regierung erfuhr, wird Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) am Mittwoch die Wachstumsprognose für das kommende Jahr auf 1,0 von 1,6 Prozent kappen. Für 2012 wird in der Herbstprognose zugleich ein Zuwachs des Bruttoinlandsproduktes von 0,8 statt bisher von 0,7 Prozent erwartet. Dazu passt, dass die Skepsis der Finanzprofis nachlässt. Das ZEW-Barometer für die Entwicklung der Konjunktur in den kommenden sechs Monaten kletterte im Oktober den zweiten Monat in Folge – und zwar auf minus 11,5 Zähler von minus 18,2 Punkten. „Das sommerliche Stimmungstief scheint damit überwunden“, so Postbank-Ökonom Heinrich Bayer.
Andere Experten erwarten nun, dass die Talsohle zum Jahresende erreicht sein dürfte. „Die konjunkturellen Risiken für Deutschland haben sich aus Sicht der Finanzmarktexperten etwas reduziert“, erklärte das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Für die Volkswirte der NordLB reichen die leichten Verbesserungen bei den Konjunkturerwartungen jedoch nicht aus, um eine konjunkturelle Trendwende auszurufen: „Allerdings kommt hierin schon zum Ausdruck, dass sich die Risiken aus der Schuldenkrise mit den Beschlüssen der EZB und der Arbeitsaufnahme des Europäischen Rettungsschirms ESM deutlich verringert haben.“
Allerdings bewerten die Finanzprofis die Lage schlechter als im Vormonat: Dieses Barometer fiel um 2,6 auf 10,0 Punkte. „Deutschland kommt zwar nicht um eine Konjunkturabkühlung herum, aber es sieht nicht nach einer Rezession aus“, sagt Jana Meier von HSBC.
Das gewerkschaftsnahe IMK aus Düsseldorf ist anderer Meinung: „Die Wahrscheinlichkeit, dass die deutsche Wirtschaft in nächster Zeit in eine Rezession gerät, ist im vergangenen Monat rasant angestiegen“, warnt IMK-Experte Peter Hohlfeld. Die Unternehmen hielten sich zunehmend mit ihren Investitionsentscheidungen zurück, weil ihnen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu schwach erscheine. Die konjunkturelle Flaute werde sich daher zunehmend auch auf die Arbeitslosigkeit auswirken, prognostizieren die Forscher. Ein scharfer Anstieg bleibe zwar vorerst aus, gleichwohl rät das IMK der Bundesregierung, frühzeitig gegenzusteuern: Sie solle die Regelungen zur Kurzarbeit rasch wieder so großzügig ausgestalten wie während der akuten Wirtschaftskrise 2009/2010.
Auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute hatten in ihrer Herbstprognose gewarnt: „Über den gesamten Prognosezeitraum gesehen überwiegen die Abwärtsrisiken, und die Gefahr ist groß, dass auch Deutschland in eine Rezession gerät.“ Die Forscher hatten wie nun die Bundesregierung für 2013 ein Wachstum von 1,0 Prozent nach 0,8 Prozent im laufenden Jahr vorhergesagt. Sie gehen davon aus, dass sich die Konjunktur im Sog der Euro-Krise in den kommenden Monaten abschwächt. Die nun von der Bundesregierung übernommenen Wachstumszahlen gelten als Basis für die Berechnung aller öffentlichen Haushalte in Deutschland.
Auch die europäischen Verbraucher rechnen einer GfK-Studie zufolge nicht mit einer schnellen Erholung der Wirtschaft. „Dabei spielt auch eine Rolle, dass sehr viele Länder im Euro-Raum sehr starke Konsolidierungsanstrengungen unternehmen müssen“, sagte der Konsumexperte des Marktforschungsunternehmens, Rolf Bürkl, der Nachrichtenagentur dpa in Nürnberg. „Das bedeutet zum einen, dass die Binnennachfrage geschwächt wird, und zum anderen, dass diese Länder als Importländer mehr oder weniger ausfallen.“ Dies wiederum wirke sich auch auf die Exporte anderer Staaten aus, die selbst noch nicht so sehr von der Krise betroffen seien.
Anders als in den USA reagierten die Verbraucher fast aller europäischen Länder im dritten Quartal mit deutlicher Unsicherheit auf die aktuellen Entwicklungen, wie aus der am Dienstag veröffentlichten repräsentativen Studie hervorgeht. „Die Stimmung in Europa – sowohl was die Konjunkturerwartungen als auch die Indikatoren zur persönlichen Lage angeht – leidet derzeit sehr stark unter der weltweiten Konjunkturabschwächung, der Rezession in einigen europäischen Ländern und der schwelenden und ungelösten Euro-Schuldenkrise“, erläuterte Bürkl.
Entsprechend nahmen die Erwartungen an die konjunkturelle Entwicklung stark ab. Besonders besorgt blicken Tschechen, Portugiesen und Spanier in die Zukunft, während Deutsche, Rumänen und Briten trotz eines Rückgangs noch am zuversichtlichsten sind. Die erwartete Entwicklung des persönlichen Einkommens ging in der Folge ebenfalls fast überall spürbar zurück, vor allem in den südeuropäischen Krisenländern. Deutschland und Österreich konnten dank des guten Arbeitsmarktes gegenhalten. Die Bürger dieser beiden Staaten zeigten auch die größte Bereitschaft für größere Anschaffungen – zusammen mit den Bulgaren, wo die Zinsen für Erspartes im kommenden Jahr steuerpflichtig werden.