Deutliche Worte vom Internationalen Währungsfonds: Die Schuldenkrise in Europa kann die globalen Finanzmärkte zum Einsturz bringen. Vor allem die massive Kapitalflucht aus den Krisenstaaten sei Gift für das System.

Tokio. Das zögerliche Handeln der europäischen Regierungen gegen die Schuldenkrise führt die globalen Finanzmärkte laut dem IWF an den Rand des Zusammenbruchs. „Das Vertrauen ins Weltfinanzsystem ist sehr brüchig geworden“, warnt der Internationale Währungsfonds in einer neuen Analyse. Das geringe Tempo bei der Stabilisierung des Bankensektors sowie bei nötigen Reformen habe eine gefährliche Kapitalflucht aus Europas Krisenstaaten begünstigt. „Es droht eine böse Abwärtspirale“, sagte der Chef der IWF-Kapitalmarktabteilung, José Viñals, bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch in Tokio.

Obwohl die europäischen Gesetzgeber bereits wichtige Fortschritte gemacht hätten, „ist die Agenda entscheidend unvollständig“, heißt es in dem sogenannten Globalen Finanzstabilitätsreports der Institution. Das verängstige Investoren und befördere die Angst vor dem Zerfall der Währungsunion und einen Rückgang der Wirtschaftsleistung. Allein aus Spanien hätten Anleger bis zum vergangenen Juni binnen eines Jahres fast 300 Milliarden Euro abgezogen und aus Italien mehr als 230 Milliarden. Das Geld flösse in stabilere europäische Länder in vermeintlich sichere Häfen wie den USA und Japan.

Konsequenz sei eine finanzielle und ökonomische Spaltung zwischen den armen und reichen Ländern der Eurozone, die extrem ungewöhnlich für eine Währungsunion sei, sagte Viñals. Die Entwicklung könne zu einer neuen Kreditklemme in Europa mit globalen Folgen führen. Im schlimmsten Fall müssten die Großbanken der Eurozone ihre Bilanzen insgesamt zwischen 2,8 und 4,5 Milliarden Dollar verkürzen. Die Kreditvergabe in den Krisenländern könnte dadurch bis Ende 2013 um 18 Prozent sinken und dort massive Einbrüche der Konjunktur auslösen - mit Risiken für das Weltfinanzsystem und das globale Wachstum.

Der IWF rief die Europäer eindringlich auf, die Lösung der Krise noch entschiedener voranzutreiben. Der Finanzsektor müsse weiter saniert werden, neue Sicherungsinstrumente wie der Euro-Krisenfonds ESM auch wirklich genutzt und die europäische Bankenunion mit einer gemeinsamen Einlagensicherung möglichst bald geschaffen werden. „Die Wahl besteht heute darin, die nötigen aber harten Entscheidungen zu treffen, oder sie noch einmal in der falschen Hoffnung zu verzögern, dass die Zeit auf unserer Seite ist“, sagte Viñals.

Zugleich warnte der Währungsfonds auch die USA und Japan, sich wegen der Kapitalzuflüsse durch Privatinvestoren und niedriger Zinsen in falscher Sicherheit zu wähnen – und deswegen die gleichen Fehler zu machen wie Europa. Beide Länder müssten ihre überbordenden Staatsschulden schnell in den Griff bekommen und Ungleichgewichte im Finanzsektor reduzieren. Auch die eigentlich gut aufgestellten Schellen- und Entwicklungsländer sollten sich noch besser gegen Schocks im globalen Finanzsystem wappnen. „Niemand ist immun gegen den Druck, der aus Europa und den USA kommt“, sagte Viñals.