Drei Studien haben untersucht, wie sich die heutigen Jugendlichen von ihren Eltern unterscheiden. Ihre Ziele sind recht bescheiden.

Er ist Realist, kein Träumer, der sich einen Surfladen an der französischen Atlantikküste wünscht. Nein, Malte backt kleine Brötchen. Eine Wohnung, ein geregeltes Einkommen, eine Familie, "das wäre schon gut", sagt der 18-Jährige. "Ich will einfach sorgenfrei leben." Malte wohnt in einer Wohngemeinschaft in Bochum, macht gerade sein Fachabitur. Danach will er eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker anfangen. Und dann?

Eine eigene Werkstatt hätte er gern, in zehn Jahren vielleicht. Und nach Australien möchte er mal, eine Zeit lang, damit er "nicht ganz in Routine erstickt". Abgesehen davon, soll Maltes Leben vor allem eines sein: sicher. "Ich will abgesichert sein, nicht jeden Cent drei Mal umdrehen müssen", sagt der junge Mann. Viel Luxus muss er dafür nicht haben: "Was nicht geht, das geht nicht." Malte sagt das in einem nüchternen Tonfall, ohne Bedauern oder Aufbegehren. Wohnung, Job, Familie - was sollte er mehr wollen?

Viele seiner Altersgenossen sehen das auch so. Sie sind pragmatisch, die Jugendlichen im Jahr 2010, besonders beim Thema Finanzen. Die neuen Spießer wollen es sicher, so sicher wie möglich. In einer Welt der großen Veränderungen setzen sie auf kleine Schritte: ein neuer Fernseher, der nächste Urlaub, das eigene Auto. Die Zeiten des Aufbegehrens gegen die Eltern und ihre engen Konventionen scheinen vorbei. Es ist, als hätten sich die Rollen verkehrt: So mancher Erwachsene schüttelt den Kopf über die allzu angepasste Jugend von heute.

"Uns hat überrascht, was für einen pragmatischen Blick die Jugendlichen auf die Zukunft haben", sagt Thomas Jerkovic von der Gesellschaft für Innovative Marktforschung in Heidelberg, der im Auftrag der Allianz Jugendliche zwischen 16 und 24 Jahren nach ihren Träumen und Plänen befragt hat.

Eine gute Ausbildung und ein erfolgreicher Berufseinstieg sind die wichtigsten Ziele - egal, ob die Jugendlichen studieren, schon arbeiten oder eine Ausbildung absolvieren. Eng damit verknüpft ist finanzieller Erfolg, den die Jungen als Garanten für Lebenssicherheit sehen. "Sicherheit als Begriff ist im Vergleich zu früheren Generationen definitiv wichtiger geworden", sagt Studienleiter Jerkovic. "Die Lebensziele der Jugendlichen sind bodenständiger." Dazu passt, dass rund 64 Prozent der 12- bis 25-Jährigen in der Shell-Jugendstudie angeben, man müsse seine Ziele kennen, um später erfolgreich zu sein.

Erst Geld, dann Träume

Malte will deshalb mindestens 3000 Euro netto im Monat verdienen. Erst mit einem solchen Einkommen, so glaubt er, kann er sich selbst verwirklichen - eine Aussage, die viele seiner Altersgenossen genauso unterschreiben würden. Finanzielle Sicherheit gilt ihnen als Vehikel zur Selbstverwirklichung. Maltes Idealismus hält sich deshalb in Grenzen - erst das Geld, dann die Träume. Auch Lisa, Krankenpflegerin aus Herne im Ruhrgebiet, sieht Geld als "Grundstein, auf dem alles aufbaut". Sie wünscht sich Urlaub, eine gesicherte Versorgung, ein Auto, wobei das kein "Mercedes oder ein dicker BMW sein muss". Die 21-Jährige beschreibt finanzielle Absicherung als ihr wichtigstes Lebensziel: "Dass man sich einen gewissen Lebensstandard erarbeitet, das reicht mir."

Die neuen "Spießer" sind bescheiden. Finanzielle Sicherheit ist ihnen auch deshalb so wichtig, weil sie wissen, dass sie keine lückenlosen Lebensläufe haben werden, dass sie mit deutlich geringeren Renten als ihre Eltern rechnen müssen. Vom Staat erwartet die Mehrzahl der Jugendlichen höchstens noch Unterstützung auf Hartz IV-Niveau, mehr nicht.

Trotzdem ergreifen die 16-bis 24-Jährigen der Allianz-Studie zufolge vergleichsweise wenig Maßnahmen, um sich abzusichern. Die Gründe dafür: Das Geld reicht derzeit noch nicht, um viel beiseitezulegen. Daneben sind Themen wie Absicherung und Altersvorsorge zwar Dinge, die sich die Jugendlichen wünschen, mit deren langweiligen Details sie sich aber nur ungern auseinandersetzen. Ein Riester-Vertrag ist "schon ziemlich unsexy", wenn man ihn sich durchlesen muss, meint zum Beispiel Malte.

"Viele Jugendliche verschieben diese Maßnahmen auf später", stellen die Autoren der Studie fest. Verschieben auf später: auf den ersten festen Job, auf das Erreichen des 30. Lebensjahres, auf die nächste Gehaltserhöhung. Die Jugendlichen von heute haben vielfach eher das nächste Etappenziel vor Augen als das große Finale in zehn oder zwanzig Jahren - so wie Malte, der sich die eigene Autowerkstatt zwar vorstellen kann, jetzt aber erst mal daran denkt, sein Fachabitur zu machen und einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Auch Lisa fällt es schwer, weit in die eigene Zukunft zu schauen: mit Ende dreißig sieht sie sich mit zwei Kindern und Ehemann, als Angestellte - aber wo? "Irgendwas mit Pflege oder so."

Damit denkt Lisa wie der Großteil ihrer Altersgenossen: Das "oder so", das Unkonkrete, findet sich in vielen der Interviews, die in die Studie eingegangen sind. Pragmatisch sein, realistisch sein? Ja klar. Aber bitte nicht zu konkret nachfragen. Das ist ja noch etwas hin.

Die pragmatische Fixierung auf die jeweils nächste Etappe wirkt sich auch auf den Umgang der Jugendlichen mit Geld aus: In einer Studie des Deutschen Giro- und Sparkassenverbandes (DGSV) gibt fast jeder Dritte an, sein Geld am liebsten direkt auszugeben. Für die Studie hatte der DGSV rund 1000 Deutsche zwischen 18 und 39 Jahren befragt. Dabei kam heraus: Je jünger die Befragten, desto eher investieren sie in kurzfristige Ziele wie Klamotten oder das Auto.

Gleichzeitig steigt die Zahl der Jugendlichen, die für diese eher kurzfristigen Wünsche einen Kredit aufnehmen. Eine wachsende Zahl nutzt dieses Instrument leider auch dann, wenn sie es sich eigentlich überhaupt nicht leisten kann: Nach Angaben der Schufa lag die Ausfallquote bei Krediten im Jahr 2009 in keiner Altersgruppe so hoch wie bei den 18- bis 19-Jährigen. Sie konnten 3,2 Prozent ihrer Kredite nicht zurückzahlen.

Alter und Bildung entscheiden

Ob und wie viel die Jungen sparen, hängt auch vom Bildungsgrad ab. So sparen 87 Prozent der Auszubildenden mit Abitur, aber nur 65 Prozent der Auszubildenden mit Hauptschulabschluss, wie eine aktuelle Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) unter Auszubildenden ergibt. Ähnlich sieht es mit Anlageformen wie der betrieblichen Altersvorsorge aus: 80 Prozent der Hauptschul-Azubis kennen diese nicht. Und nur acht Prozent aller Befragten der GfK-Studie haben eine Riester-Rente abgeschlossen - so wie die 24-jährige Laura aus Karlsruhe.

Sie arbeitet als Assistentin in der Qualitätssicherung eines Unternehmens, ist verheiratet und hat eine kleine Tochter. Seit drei Jahren zahlt Laura in ihre Riester-Rente ein, sie macht vermögenswirksame Leistungen geltend und hat sogar für ihre Tochter ein Sparkonto angelegt, "für den Führerschein." Spießig? Auf jeden Fall passt das Paket aus Riester und Sparen für die Tochter zu Lauras Sehnsucht nach einem geregelten Leben und Sicherheit. "Ohne Geld kann ich mir kein Haus bauen, meine Tochter nicht glücklich machen oder ihr einen gewissen Lebensstandard bieten", sagt die junge Frau.

Wichtige Ratgeber in Finanzdingen sind für junge Leute wie Laura die eigenen Eltern. "Eltern werden in dieser Generation eher als zuverlässige Begleiter gesehen", sagt Thomas Jerkovic, Leiter der Allianz-Zukunftsstudie. "Meine Eltern sind bei der Volksbank", sagt Laura, "also bin ich da auch. Ich weiß ja schließlich nicht viel über Banken."

Bei Lisa aus Herne ist es der Vater, der sie berät. "Ich habe einen Bausparvertrag, aber nur, weil mein Vater damit ankam", sagt die Krankenpflegerin. Sie habe bloß unterschrieben, alles andere habe der Vater angeleiert. "Ich habe mich nicht wirklich gut informiert", gibt sie zu. Bislang ist sie mit dem Vertrag zufrieden. "Ich würde meinen Vater immer wieder zurate ziehen." Bei Malte spielt die Mutter diese Rolle. "Ich habe alle Versicherungen, die ich brauche. Die hat meine Mama abgeschlossen, als ich klein war", sagt der 18-Jährige.

Für Firmen bedeutet das, dass sie ihre Angebote noch passgenauer auf die pragmatischen, oftmals aber schlecht informierten Jugendlichen zuschneiden müssen. "Unternehmen sollten an wichtigen Stationen im Leben der Jungen ansetzen: dem Start ins Studium, dem Auszug von zu Hause, dem ersten Job", sagt Thomas Jerkovic von der Gesellschaft für Innovative Marktforschung. Das weiß auch die Allianz-Bank: "Unsere Leute müssen in das Lebensumfeld der jungen Leute gehen", sagt deren Leiter Oliver Klink. Das tut die Bank, indem sie Schulen besucht oder Produkte wie die Prepaidkreditkarte entwickelt, mit der nur so viel bezahlt werden kann, wie vorher aufgeladen wurde. "So lernen die Jugendlichen, ihren Konsum zu steuern."

Kundenberater sind nach den Eltern eine wichtige Informationsquelle für die Jugendlichen - jedoch nur, wenn es ihnen gelingt, ihre Kunden wirklich zu erreichen. "Wenn ich mich da mit jemandem unterhalten muss, der mir in Doktorsprache irgendwas erzählt, hab ich keine Lust", sagt Laura aus Karlsruhe. Als erste Informationsquellen nennen die Jugendlichen in der Allianz-Studie übrigens das Internet, gefolgt von Zeitungen, die oftmals als seriöser, aber auch als intellektuell anspruchsvoller wahrgenommen werden.

"Internet ist nicht das Medium, das die Informationen liefert, auf deren Grundlage Entscheidungen gefällt werden. Es ist eher ein Medium zur Vorabinformation", sagt Studienleiter Thomas Jerkovic. Lisa, die Krankenpflegerin aus Herne, weiß, dass es diese Informationsquellen gibt. "Wenn ich was suchen würde, würde ich immer erst übers Internet gehen", sagt sie. Nur: Lisa sucht gar nichts. "Ich muss mich zurzeit nicht professionell beraten lassen", sagt sie. Sie hat ihren Vater, der alles organisiert.

Quelle: Welt Online