Schuldenabbau auf italienisch: Eine Kleinstadt bei Neapel will für 800 Euro Lottoscheine kaufen – und mit dem möglichen Jackpot den Haushalt sanieren.

Die süditalienische Kleinstadt Melito nahe Neapel führt in ihrem Haushalt einen Posten zur Teilnahme an der staatlichen Lotterie. Die Strategie wird vom Bürgermeister mit einem Engagement an der Wall Street verglichen und soll im Erfolgsfall den Ort zu einer Steueroase machen. Das Stadtparlament hat dem Lottospiel einstimmig zugestimmt.

Sollte der Ort mit seinen 35.000 Einwohnern den Jackpot im staatlichen italienischen Superenalotto gewinnen, so werde er Melito zu einem Steuerparadies machen, sagte Bürgermeister Antonio Amente zu seiner Idee nach der Zustimmung des Stadtrats. „Es wird hier wie in Monte Carlo werden“, sagte er.

Bereits in der laufenden Woche wird die Stadtverwaltung an der kommenden Ausspielung teilnehmen. Ganz Italien fiebert derzeit dem Jackpot von Superenalotto in Höhe von 132 Mio. Euro entgegen. Melito wird dem Haushaltsposten zufolge insgesamt 15 Euro pro Woche oder 800 Euro im Jahr für Lottoscheine ausgeben und auf die korrekten sechs Zahlen wetten. Der Wetteinsatz wird aus dem Gehaltsetat für den Bürgermeister gezahlt.

Während Städte in Italien wie auch in anderen Teilen der Welt Anleihen ausgeben oder Derivate kaufen, hält Bürgermeister Amente sein Engagement bei der italienischen Lotterie für mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar für lukrativer – es sei aber in jedem Fall bedeutend kostengünstiger. Auch lässt der Bürgermeister das Schicksal nicht frei entscheiden, wie er sagt: Die Zahlenkombinationen für die städtischen Lottotipps werden auf Basis jahrhundertealter neapolitanischer Berechnungsgrundlagen ausgewählt.

„Es wäre für mich leichter, die Telefonnummer eines Fremden zu erraten“, sagte der Finanzmathematik-Professor Gennaro Olivieri von der römischen Luiss Universität zu den Aussichten des Bürgermeisters auf die richtige Zahlenkombination für den Jackpot. Er schätzt die Chancen auf etwa eins zu 622 Millionen und deutet die Lotto-Teilnahme von Melito daher so: „Es zeigt sich, in welcher aussichtslosen finanziellen Lage die italienischen Kommunen sind.“ Die italienische Regierung unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat die Regionalförderung im Rahmen eines Sparpakets im Umfang von 25 Mrd. Euro zuletzt stark gekürzt. Ziel ist es, die Staatsverschuldung zu begrenzen und eine Situation wie in Griechenland zu vermeiden.

Versuche italienischer Kommunen mit riskanten Finanzderivaten waren in den letzten Jahren überwiegend kläglich gescheitert: Gewinnen von etwa 100 Mio. Euro stehen laut der italienischen Notenbank Verluste von 1,1 Mrd. Euro gegenüber. Bei den Einwohnern kommt die städtische Lottoleidenschaft gut an. „Es gibt soviel Verschwendung bei den öffentlichen Finanzen. Warum also sollten wir nicht unser Glück versuchen, es handelt sich doch um eine Chance für unsere Stadt“, sagt Bürger Giovanbattista Pelecchia aus Melito.

„Unüberlegte Investitionen sind durchaus mit Glücksspiel zu vergleichen“, sagte Finanzprofessor Olivieri, der zum Thema Derivatehandel italienischer Kommunen geforscht hat, „aber wer sich am Markt engagiert, muss informiert sein und wohlüberlegte Entscheidungen treffen. Beim Lotto bestimmt nur der Zufall.“

Im Großraum Neapel spielt Lotto seit jeher eine besondere Rolle im Alltag. Rituale und Legenden ranken sich um die Ermittlung der Zahlen. Sie orientiert sich an einer jahrhundertealten lokalen Praxis namens „La Smorfia“ („Die Grimasse“). Elemente aus Träumen und realen Begebenheiten entsprechen dabei Nummern zwischen eins und 90, die dann als Lottozahlen Verwendung finden.

Die Stadtverwaltung in Melito orientiert sich nach eigenen Angaben ausdrücklich an diesem System. Es werden von der Verwaltung in jeder Woche die gleichen Zahlen gespielt, darunter die 33 – sie stehe für den Bürgermeister. Die 42 symbolisiere das Rathaus, die 72 stehe für „ein Wunder“ und die 90 für das Volk. Die anderen Zahlen blieben ein Geheimnis, sagte Amente.

Das Lottospiel erfreut sich in ganz Italien hoher Popularität - mehr als 30 Millionen Italiener nehmen an solchen Glücksspielen teil, wie aus Daten des Marktforschers Censis aus Rom hervorgeht. Täglich werden im Lande 7,8 Mio. Euro für die Lottoteilnahme aufgewandt. Am Zeitungskiosk vor dem Rathaus von Melito jedenfalls erfreut sich die „Smorfia“ ungebrochener Popularität. Hier tauschen Bürger Träume aus und geben sich Tipps für die Zahlen.

Quelle: Welt Online