Kleiner Erfolg für Kanzlerin Merkel: Die 20 wichtigsten Industrienationen haben sich auf einen Sparplan geeinigt.

Angela Merkel zeigte sich hochzufrieden. Ehrgeizig sei der Sparplan, den die 20 wichtigsten Industriestaaten auf ihrem Gipfel am Wochenende in Toronto beschlossen haben. Die großen Industrieländer wollen ihre Haushaltsdefizite bis 2013 mindestens halbieren und ab 2016 sogar ganz ohne neue Schulden auskommen. „Das ist sehr anspruchsvoll und für viele sicherlich eine sehr, sehr große Aufgabe“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Die Festlegung der G-20 auf konkrete Vorgaben zum Schuldenabbau ist sicherlich ein kleiner Erfolg für Kanzlerin Merkel – gemessen am Streit zwischen den USA und Europa um die richtige Finanzpolitik zuvor. Denn sie hatte sich im Vorfeld vehement für eine klare Konsolidierungsstrategie eingesetzt. Doch dass die Beschlüsse sich konkret in der Finanzpolitik der der Länder niederschlagen, darf bezweifelt werden. Und auch das transatlantische Ringen um den Kurs der Finanzpolitik dürfte in den kommenden Wochen weitergehen.

In den Tagen vor dem Gipfel war ein heftiger Streit zwischen den USA und Europa entbrannt, wie viel Sparwille die Weltwirtschaft denn vertragen könne. US-Präsident Barack Obama hatte vor zu einem harten Konsolidierungskurs in Europa gewarnt – das könne die Weltwirtschaft in einen neuen Abschwung führen. Indirekt hatte er mit seiner Kritik insbesondere Deutschland angegriffen, das mehr für das weltweite Wachstum tun und sich notfalls höher verschulden müsse. Die Bundesregierung hielt dagegen: Nur durch harte Ausgabendisziplin könne der Euro verloren gegangenes Vertrauen an den Finanzmärkten zurückgewinnen.

Durch den am Wochenende gefundenen Kompromiss konnten die Differenzen vorerst eingedämmt werden. Doch wirkliche Folgen dürften die Sparbeschlüsse nicht haben: „Das ist eine ganz grobe Absichtserklärung, der die Haushaltspolitik nur wenig beeinflussen wird“, sagt Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank. Denn sowohl die Haushalts- wie auch die Wirtschaftslage ist in den einzelnen Ländern viel zu unterschiedlich, als das man alle Staaten auf einen einheitlichen Sparkurs bringen könnte.

Zwar gelten die Beschlüsse nur für die „entwickelten Industriestaaten“. Neben den acht großen Industriestaaten wie USA oder Deutschland zählt etwa auch Australien dazu. Aber auch innerhalb dieser Länder-Gruppe stellt sich die Lage völlig unterschiedlich dar: Das australische Haushaltsdefizit liegt etwa bei etwa fünf Prozent in diesem Jahr, in den USA ist es mit über zehn Prozent doppelt so hoch. Australien könnte sich demnach noch längere eine Verschuldungspolitik leisten als die USA. Und für Deutschland ergeben sich aus den Beschlüssen gar keine Änderungen. Der Sparplan der G-20 entspreche „genau dem deutschen Konsolidierungsprogramm“, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) der Nachrichtenagentur Reuters.

„Für einige Staaten wie Australien ist der Fahrplan zu ambitioniert, für andere die Krisenstaaten viel zu lax“, sagt Leuchtmann. So sind die bereits aufgelegten Sparprogramme in den europäischen Krisenstaaten wie Griechenland oder Irland sind deutlich härter als das, was die G-20 beschlossen haben. „Würden sie die G-20-Beschlüsse befolgen, würden sie von ihrem harten Konsolidierungskurs abrücken und ihre Verschuldung weiter in die Höhe treiben“, sagt Leuchtmann.

Geteiltes Echo bei Ökonomen

So sieht es auch Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). „Die Beschlüsse kollidieren mit den europäischen Sparprogrammen, man muss differenziert vorgehen“, sagt er. Hoch verschuldeete Länder wie Spanien oder Griechenland müssten sparen, während finanzpolitisch solide Länder wie Deutschland mehr ausgeben sollten. Horn hält nichts davon, alle Länder auf eine Linie zu zwingen. „Die Beschlüsse ergeben überhaupt keinen Sinn. Man gibt sich den üblichen illusionären Vorgaben hin, die gar nicht in der eigenen Macht stehen.“ Denn ob man sparen könne, hinge vom Konjunkturverlauf ab – und die könne man nicht so langfristig vorhersagen.

Andere Ökonomen werteten hingegen die vom Gipfel ausgehenden Signale als Erfolg: „Die Staaten zeigen damit, dass sie sich nicht weiter ungehemmt verschulden wollen“, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank. „Entscheidend ist die Strategie, die jetzt auf der Tagesordnung ganz oben steht“, sagte Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Merkel wertete die getroffene Vereinbarung angesichts der Kritik aus den USA an den europäischen Sparpaketen als Annäherung. „Dass wir auf der Zeitachse jetzt auch klare Vorgaben für die Industrieländer als Ganzes haben, deutet ja darauf hin, dass jeder dazu seinen Beitrag leisten muss“, sagte sie. Doch trotz des Kompromisses wurden die verschiedenen Denkweisen der amerkanischen und europäischen Wirtschaftspolitik erneut deutlich: Ein starkes, nachhaltiges Wirtschaftswachstum habe für die USA Priorität, sagte Obama. Er forderte erneut Länder mit Haushaltsüberschüssen auf, darüber nachzudenken, wie sie das Wachstum weiter stützen könnten. „Wir können nicht alle gleichzeitig zum Ausgang laufen, dann gibt es eine Kollision“, sagte er.

Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise ist da anderer Auffassung: „Wir haben es in den USA und in Europa mit einer völlig unterschiedlichen Situation zu tun. In Europa herrscht eine Vertrauenskrise“, sagt er. Die könne nur bewältigt werden, wenn die Staaten sparen. Dass sie dadurch die Konjunktur abwürgen, glaubt Heise nicht. In einer Studie haben die Forscher des Versicherungskonzerns untersucht, wie sich das Zurückfahren der staatlichen Ausgabenprogramme auf die Konjunktur auswirken können.

Industriestaaten vertagen Entscheidung zur Bankenregulierung

Nach den Berechnungen werden die Sparpakete das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Euroraum zwar deutlich verringern, in diesem Jahr um 0,3 bis 0,7 Prozent. 2011 drücken die geringeren Staatsausgaben die Wirtschaftsleistung sogar um 0,5 bis 1,2 Prozent herunter. Wettgemacht werde dieser Verlust laut Heise allerdings durch ein stärkeres Wirtschaftswachstum infolge des gefallenen Euro-Wechselkurses. So erhöhe eine zehnprozentige Abwertung des Euro das Wachstum um fast ein Prozent. „Insgesamt könnten sich die negativen Konjunkturwirkungen der Sparpakete und die positiven Effekte der Abwertung in etwa ausgleichen“, sagt Heise.

Er glaubt, dass der Streit zwischen den USA und Europa um die richtige Finanzpolitik weitergehen wird. Bei der ganzen Diskussion ums Sparen geriet ein Thema völlig in den Hintergrund: Die Bankenregulierung. Konkrete Vorgaben zur internationalen Bankenregulierung in Form einer Bankenabgabe oder einer Finanztransaktionssteuer vertagten die Industriestaaten, „Das ist die eigentliche Katastophe, wie brauchen hier rasch neue Vorschriften. Hier wird gerade die Saat für die nächste Krise gelegt“ warnte Horn. Konkrete Ergebnisse erhofft man sich nun vom nächsten Gipfel im November-in Seoul. Dann wollen die Staats-und Regierungschefs auch eine neue Stimmrechtsverteilung im Internationalen Währungsfonds (IWF) beschließen, hieß es im Abschluss-Kommunique des Treffens. Demnach sollen Schwellenländer wie geplant mindestens fünf Prozent mehr Mitspracherecht erhalten.

Quelle: Welt Online