Vor dem G-20-Gipfel tobt ein Glaubenskrieg um die richtige Wirtschaftspolitik zwischen den USA und Europa.

Selten genug ist die hohe Politik für den Normalbürger wirklich zu verstehen. Der Glaubenskrieg, den Amerikaner und Europäer nun auf dem G-20-Gipfel um die künftige Finanzpolitik austragen, dürfte manch einem Steuerzahler allerdings nur noch bizarr anmuten.

Auf eine Stärkung der Wachstumskräfte drängt die US-Regierung von Präsident Obama – notfalls auch um den Preis einer weiteren Staatsverschuldung. Die von der Euro-Krise geschockten Europäer wollen dagegen endlich ernst machen mit der Konsolidierung ihrer maroden Haushalte. Von schier unüberbrückbaren Gegensätzen ist die Rede – doch warum eigentlich?

Voraussichtlich knapp 900 Milliarden Euro neuer Schulden werden die EU-Länder im laufenden Jahr machen. Ein „Totsparen“ der Konjunktur sieht wahrlich anders aus. Selbst wenn die Europäer ihre Ankündigungen wahr machen und ab 2011 ihre Staatsausgaben ernsthaft reduzieren, wird die Defizitquote in den meisten Ländern der Gemeinschaft noch über Jahre hinaus über dem im Stabilitätspakt verankerten Wert von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen.

Schaut man sich beispielsweise das deutsche Sparpaket an, stellt man fest, dass etwa ein Drittel des Volumens durch höhere Einnahmen des Staates erzielt werden soll. Gespart wird dieses Geld nicht. Und in anderen EU-Ländern sieht es kaum anders aus. Von gesunden Staatsfinanzen sind die Europäer damit mindestens genau so weit entfernt wie von den Verhältnissen in der Endphase der Weimarer Republik, als Reichskanzler Heinrich Brüning durch drastische Ausgabenkürzungen die Wirtschaft erst richtig in den Abgrund trieb.

Wenn Obama dennoch eine expansivere Finanz- und Wirtschaftspolitik anmahnt, mag das auch aus dem amerikanischen Mantra resultieren, dass die Wirtschaft brummen muss und der Rest sich dann schon richten wird. Es ist aber mindestens ebenso ein Leugnen der immensen Probleme, vor denen Amerika selbst steht. Die Staatsausgaben der USA werden in diesem Jahr etwa zehn Prozent höher sein als die Einnahmen – das Defizit ist damit sogar größer als das von Griechenland. Nur durch Wachstum, darin sind sich viele Ökonomen sicher, wird sich diese Schieflage nicht beheben lassen. Und was, wenn die Finanzmärkte beim Dollar die Vertrauensfrage stellen?

Die finanzpolitische Konzeption der Europäer mag ja an vielen Stellen noch unvollkommen sein. Aber sie stellen sich wenigstens dem Balanceakt, die Haushalte zu sanieren, ohne die Konjunktur allzu sehr zu strangulieren. Es ist ein Signal, dass immerhin eine Grundlage für neues Vertrauen schaffen könnte.

Quelle: Welt Online