Nach der Absage der Bundesregierung versucht der angeschlagene Autobauer nun Hilfe von den Bundesländern zu bekommen. Aussichtslos ist der Vorstoß nicht.

Der Himmel über Tor 1 passt zur Gemütslage der Opel-Arbeiter. Im Werk Bochum ist die Nachtschicht zu Ende, die Mitarbeiter schieben sich nach draußen. Ins Freie, nach Hause. Über ihnen türmen sich dunkle Wolkenberge, dazwischen sind aber blaue Lücken erkennbar, und in der Ferne blinzelt eine Ahnung von Sonnenschein hinter einem milchigen Schleier. Bei der Belegschaft von Opel in Bochum, aber auch in Eisenach, Kaiserslautern und Rüsselsheim kann man derzeit die ganze Spannbreite an Gefühlen beobachten. Wut und Zorn über Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), aber auch Hoffnung auf ein Machtwort von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Nicht zuletzt schwingt Kampfgeist bei den Bochumern mit – obwohl gerade das Werk im Ruhrgebiet als akut gefährdet gilt, wenn die Tochter des US-Autoriesen General Motors (GM) am Ende tatsächlich überhaupt keine Staatshilfen bekommt. „Wir lassen uns das Werk nicht schließen“, sagt der Bochumer Opel-Betriebsratsvorsitzende Rainer Einenkel trotzig.

Am späten Mittwochnachmittag hatte Bundeswirtschaftsminister Brüderle den Antrag Opels auf staatliche Bürgschaften in Höhe von 1,1 Milliarden Euro abgelehnt. „Ganz schlecht für uns“, knurrt ein Arbeiter, der Donnerstagmorgen um kurz vor sechs Uhr aus dem Werk kommt. „Die Kanzlerin muss nun zu ihrem Wort stehen“, sagt ein Kollege, der wenig später die Fabrik verlässt. Im März vergangenen Jahres hatte Bundeskanzlerin Merkel den Opelanern finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt. „Merkel ist unsere letzte Hoffnung“, sagt ein Mitarbeiter, der auf dem Weg zur Frühschicht ist. Er meint das ernst.

Völlig überraschend kam die Nachricht nicht, dass die Bundesregierung Opel nicht helfen will. Die FDP, allen voran Minister Brüderle, hatte nie ein Hehl daraus gemacht, dass sie Staatshilfen für die GM-Tochter nicht für angemessen hält. Nun muss es ohne Bundeshilfe gehen, Opel-Chef Nick Reilly muss neu rechnen. Die Debatte um die Sanierung, Werkschließungen und Jobabbau wird neu und heftiger denn je entbrennen. Er werde nach dem Nein der Bundesregierung seine Restrukturierungspläne nicht ändern, sagte Reilly zwar als erste Reaktion. „Aber Sicherheit kann man den Mitarbeitern nicht versprechen“, meint Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz. Die Hoffnungen der Opelaner ruhen nun auf den vier Bundesländern mit Standorten des Autobauers. Und auf der EU-Förderbank EIB. 3,3 Milliarden Euro brauchen Opel und die britische Tochter Vauxhall, um mit allen europäischen Werken wieder auf die Beine zu kommen, das hat Nick Reilly ausgerechnet. 1,9 Milliarden Euro hat der Mutterkonzern zugesagt.

Der Löwenanteil des Restes sollte aus Deutschland kommen, vor allem vom Bund, aber auch von den Ländern. Von Letzteren erwartet der Opel-Chef weiterhin einen „signifikanten Anteil“ an Geld zur Rettung des Unternehmens. Und die Ministerpräsidenten, die Donnerstagnachmittag zum Krisengespräch mit Bundeskanzlerin Merkel in Berlin zusammenkamen, hatten sich schon im Vorfeld des Spitzentreffens nicht abgeneigt gezeigt, dem Autobauer auch ohne Bundes-Hilfe beizuspringen. „Ich bin auf jeden Fall bereit, meinen Beitrag, den rheinland-pfälzischen Beitrag zu erbringen“, sagte Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) kurz vor Beginn der Runde. Thüringen hatte zuvor bereits 27 MillionenEuro fest zugesagt. Aus Sicht der Länder seien zudem „auch andere Finanzierungsformen über europäische Förderbanken denkbar“, sagte Beck. Er spielt vor allem auf die EIB an. Die Europäische Investitionsbank soll nun die Finanzierungslücke schließen, die sich nach dem Nein des Wirtschaftsministers aufgetan hat. „Wir hätten gleich zu Beginn an die EIB herantreten können. Aber die Bundesregierung hat uns geraten, einen Antrag auf Mittel aus dem Deutschlandfonds zu stellen. Nach der Absage des Ministers fühle ich mich nun doppelt getäuscht“, schimpft der Betriebsratschef.

Doch Opel fährt bereits seit geraumer Zeit zweigleisig, schließlich war es absehbar, dass der Bund kein Geld geben wird. „Wir sprechen mit der EIB“, sagt ein Opel-Manager. Und die Verhandlungen würden forciert, jetzt, da man nach Brüderles Entscheidung „eine neue Lage“ hat. „Einen offiziellen Antrag gibt es jedoch nicht, erst wollten wir die Entscheidung der Bundesregierung abwarten“ so der Opel-Manager. Ein Sprecher der in Luxemburg ansässigen EU-Förderbank bestätigte auf Anfrage: „Wir sind mit Opel in Gesprächen in einem sehr frühen Stadium, es ist aber noch kein Ergebnis absehbar.“

Mehrere Opel-Konkurrenten hatten im vergangenen Jahr wegen der Krise zinsgünstige Kredite der Bank in Anspruch genommen. Die EIB hatte zum Beispiel die Forschung und Entwicklung der Autobauer BMW, Volkswagen und Daimler unterstützt. Dabei ging es hauptsächlich um umweltfreundliche Techniken. Opel könnte aus zwei verschiedenen Programmen der EIB jeweils einmalig mit 400 Millionen Euro Kredit versorgt werden – theoretisch. Das wäre schon fast die Summe, die der Autobauer braucht, um die Lücke zu schließen, die sich nach der Absage der Bundesregierung aufgetan hat.

Doch für Opel sind die Hürden, an einen EIB-Kredit zu kommen, hoch. Zum einen müsste die GM-Tochter ein Programm zum Bau von umweltfreundlichen Autos vorlegen können. Ein solches gibt es mit dem Elektroauto Ampera. Um einen anderen Topf der EIB anzapfen zu können, müsste ein Werk in einer „benachteiligten Region“ liegen. „Das könnte im Fall von Eisenach vorliegen“, sagt ein Sprecher der Investitionsbank. Doch für alle Fördertöpfe braucht Opel wiederum eine staatliche Bürgschaft. Ohne diese geht es nicht. Damit stellt sich für Opel bei der EIB dasselbe Problem wie beim Deutschlandfonds – oder doch nicht?

Mittel aus dem Fonds waren vom Lenkungsrat, dem Lenkungsausschuss und Minister Brüderle mehrheitlich abgelehnt worden, weil die Voraussetzungen dafür bei Opel nicht gegeben seien, wie es hieß. Der Autobauer sei längst vor der Wirtschaftskrise ein Problemfall gewesen, lautete ein Grund der Ablehnung. Bei der EIB sind die Voraussetzungen für einen Kredit allerdings andere wie im Fall des Deutschlandsfonds. Das könnte Kanzlerin Angela Merkel dazu veranlassen, neu über Bürgschaften nachzudenken und nach neuen Möglichkeiten zu suchen, Opel zu helfen. Denn die Regierungschefin ist wild entschlossen, dem Autobauer beizuspringen. Es hatte nur etwa eine Stunde gedauert, nachdem Brüderle das Nein für Staatshilfen verkündet hatte, da erklärte die Kanzlerin, „das letzte Wort im Fall von Opel ist da noch nicht gesprochen“. Es sei unübersehbar, dass es in der Koalition unterschiedliche Positionen zu Opel gebe. Und weil das so ist, nimmt das Gezerre um Opel und Staatshilfen kein Ende.

Die Opel-Arbeiter bringt das kaum mehr aus dem Takt. Langsam ziehen sich die Wolken zurück, die Morgensonne kämpft sich durch. Einzeln und in kleinen Gruppen strömen die Männer und Frauen der Nachtschicht durch Tor 1. Kaum einer von ihnen hat einen Blick für den Firmenzeitungskasten direkt neben dem Eingang, in denen die Firmenbroschüre „Wir leben Autos – die Marke Opel“ liegt. Auf Fragen nach der Absage, nach Brüderle und der Zukunft von Opel, winken die meisten ab. „Lass mich damit in Ruhe“, heißt es. Nur ein kräftiger Arbeiter, der Anfang der 70er-Jahre seine Ausbildung bei Opel begonnen hat, will was loswerden: „Mich wundert nichts mehr.“

Verschwörungstheorien machen die Runde. Von interessierten Kreisen ist die Rede – zu denen vor allem konkurrierende Hersteller zählen sollen – denen ein Verschwinden Opels nur recht wäre, um selbst mehr Autos zu verkaufen. Dass Brüderle vor allem die süddeutschen Autobauer habe schützen wollen, dass an Opel ganz andere Maßstäbe angelegt worden seien als etwa an Banken. Dass diese systemrelevant sind und ihr Zusammenbruch eine neue europaweite Krise auslösen würde, interessiert manche Opelaner vorerst nicht.

Auch dem Opel-Vorstandschef Nick Reilly trauen manche Opelaner nicht mehr so recht. Er hatte erklärt, dass es keine weiteren Werkschließungen geben werde. Das möge aus seiner Sicht ja richtig sein, argumentieren die Bochumer, aber schließlich würde bei der Konzernmutter GM die endgültige Entscheidung über das weitere Vorgehen liegen.

Dennoch: Bochums Betriebsratschef Rainer Einenkel ist bei weitem nicht mehr so skeptisch wie früher, vor allem glaubt er nicht an eine Schließung des Werks in Bochum. „Vor einem Jahr war die Stimmung angespannter“, sagt er. Da hatte der Betriebsrat gleich sechs verschiedene Schließungsszenarien für Bochum auf seinem Schreibtisch. „Bochum ist ein Symbol-Werk geworden.“ Einenkel hofft auf einen guten Ausgang des Spitzentreffens zwischen Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten.

Die wollen nach dem Spitzengespräch mit der Kanzlerin nun „im Alleingang“, ohne den Bund Hilfen für Opel prüfen. Aber ganz alleine sind die vier Bundesländer ja nicht. Die Regierung Großbritanniens hat bereits 330 Millionen Euro für Opel/Vauxhall fest zugesagt, Spanien will 300 Millionen Euro geben. Österreich und Polen haben ebenfalls Hilfe in Aussicht gestellt. Vielleicht überlebt Opel ja ohne Unterstützung der Bundesregierung. Denn ob der Autobauer dauerhaft eine Chance hat, entscheidet letztlich ohnehin der Markt, also die Nachfrage. Und der gute Wille der Konzernmutter General Motors.

Quelle: Welt Online