Die Nummer eins der sozialen Netzwerke erntet heftige Kritik für neue Privateinstellungen – nun haben auch andere Unternehmen die Möglichkeit, das Profil der Nutzer einzusehen.

New York/Berlin. Nett wie immer sagt Kat Lewis Tschüss zu ihren 358 Freunden bei Facebook. Es ist der gleiche Ton, mit dem die Amerikanerin seit Jahren über das Netzwerk Rezepte tauscht, auf tolle Artikel verlinkt: "Hallo Freunde! Ich möchte Facebook nicht mehr meine Informationen anvertrauen. Es wird nämlich immer schwerer, zu kontrollieren, welche davon mit anderen geteilt werden." Dann schreibt sie noch, dass sie per Telefon und E- Mail weiter erreichbar sein wird. Es sind wenige schnell getippte Zeilen, die Kat aber lange abgewogen hat. Bis sie sich gegen das Netzwerk Facebook entscheidet.

Die Jahre der gedankenlosen Updates in sozialen Netzwerken sind vorbei - und kein Generationenproblem. Das belegt eine Studie der Universitäten von Berkeley und Pennsylvania. Denn beim Wunsch nach mehr Datenschutz gibt es nur geringe altersabhängige Unterschiede. 86 Prozent der befragten 1000 Amerikaner und 84 der Jugendlichen sprachen sich für ein Recht am eigenen Bild auch bei Postings in Sozialen Netzwerken aus. 40 Prozent der befragten Jugendlichen gingen gar so weit, dass sie die widerrechtliche Nutzung von persönlichen Inhalten - beispielsweise durch Personalchefs - unter Strafe gestellt sehen wollen.

Vor allem Facebook steht seit Ende April im Zentrum einer Datenschutz-Debatte. Die User wägen den Nutzen von sozialen Netzwerken ab gegen den Preis, den sie mit dem Veröffentlichen von privaten Details zahlen. Der Streit tobt bisher vor allem in den USA, wo er bereits die Internet-Foren verlassen hat und im Washingtoner Politik-Betrieb angekommen ist.

Das letzte grobe Foul aus Sicht der Datenschützer leistete sich Facebook am 21. April. Seitdem haben andere Unternehmen Zugriff auf Profil-Informationen wie Alter oder Wohnort. Die Weitergabe ist nur dann nicht mehr möglich, wenn User sie nach einem komplizierten Ritt durch die Benutzereinstellungen untersagen.

Das angesehene Social Media Blog "Gizmodo" nannte daraufhin zehn Gründe, warum man bei Facebook aussteigen sollte. Einer lautet "Facebook unterstützt nicht das offene Web", ein anderer "Facebook kann man nicht trauen". Wenige Tage später verkündete Peter Rojas, der Gründer von "Gizmodo" und des Blogs "Engadget" auf Twitter, sein Facebook-Konto zu deaktivieren. "Ich bin es leid, keine Kontrolle darüber zu haben, was ich teile", hieß es dort in einem Tweet. Der Blogger Paul Kedrosky und mehrere Google-Ingenieure taten das Gleiche.

Vielleicht schwappt dieser Trend nach Deutschland. Internet-Kenner Christoph Kappes rechnet im Blog "carta.info" mit Facebook ab: Das Netzwerk sei geschlossen. Weder Nutzer noch Partnerunternehmen hätten Zugriff auf die Silos voller Nutzerdaten. Sein Fazit: "Ich habe daher mein Facebook-Konto deaktiviert".

Diese Stimmung spiegelt auch eine Umfrage des Blogs "netzwertig.com" wider: 43 Prozent beurteilten die aktuelle Entwicklung als "tendenziell negativ", 22 gaben "ausschließlich negativ" an. Diese Zahlen sind nicht repräsentativ, zeigen aber eine Stimmungslage.

Ryan Singel, Autor des Tech- und Science-Magazins "Wired", sieht in Facebook gar einen neuen Schurken heraufziehen und fordert als Alternative ein offenes Netzwerk. Vor allem Facebooks Co-Gründer Mark Zuckerberg sei betrunken von der Vision einer digitalen Weltherrschaft. Der Konzern eigne sich die digitalen Identitäten seiner Nutzer an. Singel kritisiert beispielsweise, dass jeder "Like"-Kommentar sowie die Grundeinstellung der Nutzerprofile öffentlich sei. Singel erkennt zwar die großen Vorteile des Netzwerks an, den einfachen Austausch von Bildern und Nachrichten, fordert aber das Recht, selbst zu entscheiden, wer seine Meinungsäußerung erhalten darf.

Google übrigens hat diese Lektion schon gelernt. Auch dort konnte anfangs jeder Nutzer des Kurznachrichtendienstes "Buzz" jede fremde Nachricht lesen. Wütende Proteste der Community zwangen den Internetkonzern aber binnen einer Woche, hohe Privacy-Schranken zu errichten. Seitdem kann jeder Nutzer entscheiden, wer bei ihm mitlesen darf.

Dass nun Facebook seine Lektion erteilt bekommt, fordern in den USA immer mehr. Am vergangenen Mittwoch haben 15 Verbraucherorganisationen eine Sammelklage bei der Federal Trade Commission (FTC) in Washington eingereicht: Facebook passe den Datenschutz der User und die Privacy Policy des Konzerns so an, dass möglichst viel Geld mit den Nutzerdaten gemacht werden könne. Und der als medienverliebt bekannte US-Politiker Charles Schumer hat zusammen mit drei anderen Senatoren einen Beschwerdebrief an Zuckerberg geschrieben. Tenor: Der Konzern reiche persönliche Informationen an Dritte weiter. Der Demokrat Schumer forderte die FTC zudem auf, den Handel mit privaten Daten in Schranken zu weisen. Facebook, MySpace und andere Social Networks brauchten verbindliche Regeln für den Umgang mit Privatem.

Dass Facebook vielleicht wirklich zu weit gegangen ist, zeigt ein Klick auf das Blog "Buzzmachine" von Jeff Jarvis, dem Internet-Evangelist für ein öffentliches Web. Zwar schreibt er, "Facebook wurde nicht böse oder ein Schurke". Das Problem, so Jarvis, sei aber eine Konfusion über die Privatsphäre. Hier habe Facebook eine Grenze überschritten. Denn Teilen eines Postings sei etwas anderes als das Veröffentlichen eines Blogs.

Quelle: Welt Online