Der Countdown zur Eröffnung der größten Weltausstellung aller Zeiten läuft. In knapp vier Wochen eröffnet die Expo in Shanghai ihre Pforten. Doch die Einwohner der Millionen-Metropole profitieren schon jetzt von den gewaltigen Anstrengungen. Für eine halbe Milliarde Euro wurde die Uferpromenade neu gestaltet.
Drachenbauer Gu Xingjing hat 33 Monate auf diesen Tag gewartet. Schon um sechs Uhr steht der 77-jährige Rentner auf dem Uferdamm des Huangpu-Flusses, dem berühmten Bund von Shanghai. Er hat einen mannshohen, selbst gebauten Seidendrachen mitgebracht, bemalt mit einem blauen "Haibao", dem "Schatz des Meeres", wie das Maskottchen für Shanghais Weltausstellung Expo 2010 heißt. Der ehemalige Fabrikarbeiter lässt seit 20 Jahren Drachen am Huangpu steigen. Er verfolgte dabei, wie auf der gegenüberliegenden Seite in Pudong Hunderte Hochhäuser aus Stahlbeton, Glas und Marmor "wie Bambusspitzen nach dem Regen" in den Himmel schossen.
Der Fortschritt war auch in Form einer gigantischen Brücke gekommen, über den Shanghais Stadtväter den Pkw-Verkehr auf die Uferautobahn mit ihren elf Spuren lenkten. Drachenfan Gu hatte Mühe, durch Unterführungen das immer schmaler werdende Flussufer zu erreichen. Doch vor 33 Monaten kam plötzlich alles anders. Die Stadtregierung beschloss den Rückbau, unterquerte den Bund mit einem 3,3 Kilometer langen doppelstöckigen Autotunnel, riss die elfspurige Überführung wieder ab und restaurierte die alte Straße mit nur vier Spuren und Fußgängerampel. Gu kann nun wieder zu Fuß zur Ufermeile gehen. Gu: "Dafür haben ich meinen Drachen mit dem Expo-Maskottchen bemalt."
Rund 550 Millionen Euro hat sich die Stadt die Wiederherstellung des Bunds kosten lassen, dessen Ufermeile sie um die Hälfte verbreiterte und verlängerte. Zur jetzigen Eröffnung einen Monat vor Beginn der Expo, die unter dem Thema "Bessere Stadt - besseres Leben" steht, war der Bund schwarz vor Menschen. Scharenweise kommen sie auch wieder frühmorgens zur Gymnastik und zum Jogging, Hausfrauen zu Gruppentänzen nach Disko- oder Walzermusik. Chinas rasende Metropole hat ihren Bürgern ein Stück urbane Lebensqualität verschafft. "Ich hätte das nie erwartet. Sie haben den Bund den Fußgängern zurückgegeben", staunt der Architekt Johannes Dell, Partner des Frankfurter Stadtplaners Albert Speer und Leiter ihres Shanghaier Chinabüros. "Das ist das Beste, was die Stadt für ihre Bürger tun konnte."
Vier Kilometer weiter südlich vom Bund werden sich zur Expo-Eröffnung ab 1. Mai viele Shanghaier anschauen können, dass andere Städte ähnlich handelten. Etwa Düsseldorf, das vor 20 Jahren mit dem Rheinufertunnel seine durch den Autoverkehr getrennte Altstadt und das Rheinufer wieder zusammenbrachte. Düsseldorf ist eine von vier deutschen Städten unter 60 urbanen Zentren, die in einem speziellen Areal auf der Shanghaier Expo-Seite Denkanstöße für lebenswerte Stadtentwicklung geben sollen. Hamburg ist mit einem mehrstöckigen energiesparenden "Passivhaus" dabei, Freiburg zeigt attraktive Wohnmodelle. Bremen nutzt seine 500 Quadratmeter Ausstellungsfläche, um städtische Mobilität über Carsharing und nachhaltige Energiegewinnung zu demonstrieren und lässt das von den Bremer Stadtmusikanten erklären.
Der Countdown zur "größten Expo aller Zeiten" läuft. Shanghais Bürgermeister Yang Xiong bestreitet, dass sich die Stadt zu übernehmen droht. Er gesteht ein, dass nur 70 Prozent aller 242 Nationenpavillons, Gemeinschaftsausstellungen und Konferenzzentren, die vor allem auf der Expo-Hauptseite in Pudong stehen, bis zur Generalprobe am 20. April fertig sein werden. "Die anderen ziehen nach."
Höchste Funktionäre aus Peking hingegen wirken beunruhigt, drängen Shanghai zur Eile, inspizieren die Sicherheitsvorkehrungen, vor allem nach den Terroranschlägen in Moskaus Metro. Seit dem Jahr 2005 hat Shanghai sein U-Bahn- und Hochbahnnetz für die Expo auf 420 Kilometer um das Vierfache erweitert. Doch das reicht nicht. Mit mindestens einer halben Million Tagesbesucher rechnet Shanghai für die sechs Expo-Monate. Interne Prognosen haben die Zahl weit über die bisher erwarteten 70 Millionen vor allem chinesische Besucher erhöht. Shanghais Parteichef legt als tägliche Obergrenze 700.000 Expo-Besucher fest, bevor die Stadt bremsend eingreifen muss.
Erstmals sind fast alle Staaten der Welt bei einer Expo dabei. Selbst Syrien, Nordkorea und fast alle Nationen Afrikas folgten dem Ruf Pekings. Expo-Koordinator Wan Lifei sagte der Zeitung "21. Jahrhundert" , dass er sogar 21 der 23 Staaten zum Kommen überredete, die noch Verbündete Taiwans sind und zu denen China keine diplomatischen Beziehungen unterhält. Auch Taiwan ist vertreten.
Peking half auch nach, dass die USA einen Großpavillon beziehen, obwohl Washington Expo-Auftritte nicht finanziell fördert. "Wir haben US-Firmen, die im China-Business sind, einzeln bearbeitet, die Kosten privat aufzubringen", sagt Wan. Ohne die Supermacht USA ist die Expo in den Augen Chinas kein voller Erfolg. Außenminister Yang Jiechi spricht von "Expo-Außenpolitik", die er eine seiner wichtigsten Aufgaben 2010 nennt.
Zur Bühne soll dafür der 60 Meter hohe chinesische National-Pavillon werden. Das nach altchinesischen Baumustern in kaiserlichem Purpurrot konstruierte Gebäude wird "Krone Asiens" genannt. Es überragt die Pavillons aller anderen Nationen in doppelter Höhe und wirkt so, als ob China Hof hält. Um den Roten Pavillon gruppieren sich die 31 Häuser der Provinzen Chinas, daneben stehen die von Hongkong und Macao, eine bauliche Demonstration vom Aufstieg Chinas und seiner neuen Rolle in der Welt. Peking hofft auch darauf, zum Ende der Expo eine "Shanghaier Erklärung über nachhaltige Entwicklung und Urbanisierung" initiieren zu können, die Antwort Shanghais auf Kopenhagen.
In "Asiens Krone", wo Peking sein Konzept traditioneller Stadtplanung und das Thema Stadt und Wasser abhandelt, sollen die Führer der Welt China begegnen. 102 hochrangige Staatsbesucher haben sich für die 184 Tage angesagt, von Bundespräsident Horst Köhler über Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy bis zur indischen Amtskollegin Pratibha Patil. 47 politische Delegationen von deutschen Ministern bis zu Regierungschefs der Bundesländer wollen auch kommen. Deutschland hat die höchste deutsche Ausstellerfrequenz, sagt Lu Lixing vom Expo-Medienzentrum. Die Palette reicht vom deutschen Nationenpavillon "Balancity", den Deutschland mit einem Etat von 50 Millionen Euro fördert, bis zum "Bambushaus" von Auswärtigem Amt und Goethe-Institut. Es ist die abschließende Station eines erfolgreichen dreijährigen Kulturprojekts "Deutschland und China gemeinsam in Bewegung".
Den überzeugendsten deutschen Beitrag zum Expo-Thema der Folgen der Urbanisierung liefert Eventmanager Lutz Engelke von der Firma Triad Berlin. Er hat die Ausschreibung für den von China bezahlten Themenpavillon "Urban Planet" gegen 150 Konkurrenten gewonnen. Engelke inszeniert auf 12.000 Quadratmetern zuerst die von Besiedelung und Industrialisierung angerichtete Zerstörung der Welt und verknüpft dabei die einzelnen Phasen mit den chinesischen Grundelementen Wasser, Feuer, Metall, Holz und Erde. Im Mittelpunkt seiner "Erkenntnisshow", die sich der Besucher erstaunt und erwandert, steht eine gigantische Erdkugel, auf deren Oberfläche 36 Beamer eine Multimediashow der globalen Veränderungen zaubern, untermalt von Tönen, die ein 80-köpfiger Chor in Berlin einsang.
Beim Abstieg von der Erdkugel wird der Betrachter an einer Palette von Lösungsbeispielen vorbeigeführt. Am Ende treten die Zuschauer in die Erdkugel ein, in deren Kuppel sie den Entwicklungsprozess als plastischen Film sehen. Er entlasse den Betrachter, so Engelke, mit der Hoffnung, dass "wir unsere Welt bewahren können, wenn wir es nur zusammen versuchen".