Im Exportstreit mit Deutschland hat Frankreich nachgelegt: Die Deutschen sollen endlich mehr mehr konsumieren und weniger exportieren, fordert Wirtschaftsministerin Christine Lagarde. Vorschreiben lässt sich das freilich nicht. Der Streit verdeutlicht vielmehr, wie groß die Ungleichheiten in Europa mittlerweile sind.
Im Streit um die deutsche Exportstärke hat Christine Lagarde nachgelegt. Die französische Wirtschaftsministerin forderte erneut, dass Deutschland dazu beitrage, die großen wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euroraum abzubauen. Staaten mit einem großen Handelsüberschuss dürften nicht einmotorig fahren, mahnte Lagarde.
Auch in Brüssel setzt sich offenbar die Ansicht durch, Deutschland müsse einen Teil seiner Wettbewerbsfähigkeit aufgeben, um den europäischen Nachbarn im Süden zu helfen. „Die Lohnzurückhaltung in Deutschland sollte aufhören“, fordert etwa Cinzia Alcidi, Ökonomin am Centre for European Policy Studies – dem wichtigsten Think Tank in Brüssel. Das brächte den Menschen in Deutschland mehr Einkommen und könnte den Konsum ankurbeln, so dass die europäischen Nachbarn mehr nach Deutschland exportieren könnten. Außerdem würden die Produkte anderer Länder konkurrenzfähiger.
In der Tat gab es in der Eurozone schon vor Beginn der Finanzkrise eine erhebliche Schieflage: Eine Reihe von Ländern führte beständig mehr Güter und Dienstleistungen ein als aus – und machte für den Konsum Schulden im Ausland. Dazu gehören beispielsweise Spanien, Griechenland und Portugal; Länder, die in der Finanzkrise schwere Probleme bekommen haben. Demgegenüber stand eine Gruppe von Staaten, die über lange Zeit erhebliche Leistungsbilanz-Überschüsse erzielt hat. Dazu gehörte Deutschland: In den Boom-Jahren vor der Krise waren die Exportüberschüsse stark angestiegen bis zum Höhepunkt im Jahr 2007. Damals erreichte das Plus mit dem Ausland 7,5 Prozent. Deutschland hat in dieser Zeit also weit mehr Güter und Dienstleistungen exportiert, als es aus dem Rest der Welt eingeführt hat – die Lücke beträgt 7,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung. „Das waren Übertreibungen in der Zeit vor der Krise“, sagt Jürgen Matthes, Experte für Wirtschaftspolitik am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Wir werden einen Leistungsbilanzüberschuss von sechs oder sieben Prozent nicht auf Dauer aufrechterhalten können.“
Die Ungleichgewichte sind innerhalb der Eurozone besonders brisant, weil den Mitgliedstaaten das Instrument der Währungspolitik fehlt – vor der Währungsunion konnte ein Land nämlich seine Währung einfach abwerten, um die Exporte zu fördern.
Die Ungleichgewichte galten vor der Finanzkrise nicht als problematisch, aber in der Krise hat sich die Wahrnehmung verändert. „Vor 2008 wurde die Währungsunion als ganzes betrachtet, auch was die Leistungsbilanz betraf“, sagt Cinzia Alcidi. „Inzwischen ist aber das Risikobewusstsein gestiegen, und die Märkte schauen sehr genau auf die einzelnen Länder.“
Die starken Unterschiede bei den Handelsbilanzen innerhalb des Euroraumes werden vor allem als Problem angesehen, weil die Länder mit einem negativen Saldo sich schnell überschulden. Ein größeres Gleichgewicht ist also wünschenswert – auch Deutschland würde davon profitieren, einen stärkeren Binnenkonsum zu haben. Dadurch wäre die Volkswirtschaft weniger abhängig vom Export und krisenresistenter. „Was ist, wenn die Nachfrage aus dem Ausland nicht mehr in dem Maße anspringt wie in den vergangenen Jahren?“, fragt Peter Bofinger, der Mitglied im Sachverständigenrat ist. „Die derzeitige Warten-auf-Godot-Strategie von Angela Merkel ist hoch riskant“.
Für ein größeres Gleichgewicht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportwirtschaft zu verringern, halten die wenigsten Ökonomen für sinnvoll. Die Löhne werden schließlich von Gewerkschaften und Arbeitgebern autonom ausgehandelt und nicht vom Staat festgelegt. Unternehmen bei ihren Innovationen zu bremsen, wäre wohl auch kaum realistisch. „Die Lösung kann jetzt natürlich nicht sein, dass Deutschland seine Exportindustrie weniger wettbewerbsfähig macht“, sagte Ökonom Bofinger WELT ONLINE.
Auch beim arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft weist man die Forderungen der Franzosen vehement zurück. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und sind in den vergangenen Jahren wettbewerbsfähiger geworden. In den südeuropäischen Ländern sind die Löhne stärker gestiegen als die Produktivität; dadurch ist deren Wettbewerbsfähigkeit gesunken“, sagt IW-Wirtschaftspolitikexperte Matthes. „An unserem Kurs müssen wir nichts ändern. Aber in den südeuropäischen Ländern ist eine stärkere Lohnzurückhaltung nötig“, erklärt er.
Dass die anderen Länder selbst an ihrer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten sollten, findet auch Bofinger. Deutschland sollte aber jetzt „alles dafür tun, den Binnenkonsum zu steigern“. Er schlägt dazu vor, dass der deutsche Staat mit einem großen Zukunftsprogramm der öffentlichen Hand die Binnennachfrage ankurbelt. 25 Mrd. Euro für Bildung, Forschung und Infrastruktur hält er für angemessen. Das Geld soll unter anderem direkt aus den Ersparnissen der Deutschen kommen, indem der Staat eine Zukunftsanleihe auflegt. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wiederum will durch eine Deregulierung der Märkte, etwa für Dienstleistungen, neue Arbeitsplätze schaffen – und so die Nachfrage ankurbeln. Der BDI fordert auch Steuersenkungen: Wenn die Bürger mehr netto vom brutto hätten, könnten sie mehr konsumieren.
Egal wie: Den Konsum zu steigern, ist ein langfristiges Projekt. Allerdings gibt es schon eine natürliche Korrektur – durch die Krise. Die Nachfrage nach deutschen Exportgütern ist weltweit eingebrochen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet deshalb damit, dass Deutschland 2009 nur noch einen Überschuss von drei Prozent mit dem Rest der Welt erzielt hat; in diesem Jahr soll der Wert auf 3,6 Prozent steigen. „Das war eine massive Korrektur, mit der der größte Teil der Übersteigerung bereits korrigiert wurde“, sagt IW-Experte Matthes.
Gleichzeitig konsumieren die Menschen in den von der Krise besonders hart getroffenen Ländern weniger: Das spanische Handelsdefizit etwa wird von mehr als zehn Prozent des BIP auf 4,7 Prozent schrumpfen.