Mit drastischen Sparmaßnahmen versucht sich Griechenland gesundzusparen. Die meisten Probleme des Landes sind hausgemacht. Doch nicht alle: WELT ONLINE erklärt, wie Zocker mit Kreditversicherungen gegen den Staat wetteten – und wie Europa das künftig verhindern will.
Paul Volcker ist eine Legende. Als Chef der US-Notenbank hat er Anfang der 80er-Jahre die hohe zweistellige Inflation besiegt; heute berät er US-Präsident Barack Obama federführend bei der Regulierung der Finanzmärkte. Am Samstag war Volcker zu Gast bei Bundespräsident Horst Köhler und diskutierte auf einer Veranstaltung auf Schloss Bellevue über Finanzmarktregulierung, die Rolle von Spekulanten in der Euro-Krise und den Handel mit Derivaten: Er habe kürzlich auf einer Veranstaltung neben einem Nobelpreisträger gesessen, erzählte Volcker.
Der Mann habe die theoretischen Grundlagen für die Spekulation mit Finanzinnovationen gelegt. Volcker wollte von dem Tischnachbarn wissen, was die neuen Finanzprodukte zur Steigerung der Produktivität beigetragen hätten; was sie Positives für die Volkswirtschaft gebracht hätten. Der Nobelpreisträge habe sich hinübergebeugt zu Volcker, nah an sein Ohr und gesagt: „Nothing“ – nichts.
Das Publikum quittierte die Anekdote zwar mit lautem Lachen, aber der Anlass für die Unterhaltung war ernst: Spekulanten haben in den vergangenen Wochen mit hohen Milliardenbeträgen darauf gewettet, das Griechenland zahlungsunfähig wird und dass der Euro dadurch in Bedrängnis geraten wird. Mit diesen Finanzwetten haben die Händler allerdings die Probleme von Griechenland und Euro erheblich verstärkt.
Gemeinsam mit anderen europäischen Regierungen arbeiten die Bundesregierung deshalb an strengeren Regeln, die den Handel mit Derivaten transparenter machen sollen und mit denen einige spekulative Praktiken ganz verboten werden sollen.
Ob die Politik sich damit durchsetzen wird, ist allerdings fraglich, denn die Banken-Lobby läuft Sturm gegen neu Regeln, die den Instituten ein äußerst lukratives Geschäfte vermiesen könnten.
Für die Spekulationen gegen Griechenland haben Anleger vor allem Kreditversicherungen genutzt, so genannten Credit Default Swaps (CDS). Kreditversicherungen sind in den vergangenen Monaten zum Lieblingsspielzeug der Spekulanten, vor allem von Hedgefonds geworden. Mit diesen Versicherungen können Besitzer beispielsweise von griechischen Staatsanleihen sich vor dem Ausfall der Anleihen schützen. In den vergangenen Monaten ist allerdings ein massives Problem dadurch entstanden, das die CDS mittlerweile als eigenständige Papiere im großen Stil gehandelt werden, also auch Anleger, die die zugrunde liegenden Staatsanleihen gar nicht halten, mit den Papieren Wetten eingehen.
Das hat zu absurden Preissteigerungen geführt: Wer im August 2009 griechische Staatsanleihen im Wert von zehn Mio. Euro hielt, musste damals für eine Ausfallversicherung 100.000 Euro zahlen. Bis heute hat sich diese Prämie auf 400.000 Euro vervierfacht. Zum Vergleich: Um Bundesanleihen im Wert von zehn Mio. Euro zu versichern, wären nur CDS im Wert von 44.000 Euro nötig.
Deshalb hat die Politik die CDS ins Auge gefasst, und selbst aus der Finanzwelt kommen warnende Stimmen: So plädiert selbst der Chefvolkswirt der Allianz, Michael Heise, dafür, den Markt für CDS transparenter zu machen und straffer zu regulieren. „Die Spekulationsattacken müssen aufhören“, sagt Heise. Er schlägt vor, dass nur noch Anleger CDS kaufen dürften, die ein Wertpapier versichern wollen, das sie tatsächlich halten.
Das verlangt auch der Ökonom Hans-Werner Sinn: „Jeder der CDS-Absicherungen kauft, sollte ein versicherbares Interesse nachweisen. Das ist bei normalen Versicherungen eine Selbstverständlichkeit“, sagte er WELT ONLINE.
Die Finanzgeschäfte werden die europäischen Regierungen noch eine ganze Weile beschäftigen. Nach Angaben der US-Kontrollbehörde CFTC erreich die Zahl der Wetten, die auf einen fallenden Euro-Kurs setzen, einen neuen Rekord. Und das britische Pfund ächzt seit Tagen unter dem Spekulationsdruck, es verliert beständig an Wert. Das ist eine Ironie des Schicksals, denn gerade in Großbritannien sitzen die politischen Kräfte, die sich bisher gegen eine stärkere Regulierung gestemmt haben. Es waren die Booms von Derivaten und Hedgefonds in den Jahren vor der Finanzkrise, die für das rasante Wachstum des Finanzplatzes London verantwortlich waren.
Aus der Londoner City und den Banktürmen im Frankfurt kommen denn auch die Plädoyers für den Einsatz von Derivaten: Sie erfüllten eine wichtige volkswirtschaftliche Aufgabe, sagt beispielsweise Deutsche Bank-Vorstand Jürgen Fitschen, der am Samstag neben Volcker auf dem Podium saß: „Sie helfen Unternehmen, ihre Risiken zu managen.“
Auch Spekulation sei sinnvoll, argumentieren Vertreter der Finanzindustrie gerne: Spekulanten würden Probleme offenlegen und so beispielsweise Regierungen zu Reformen zwingen und Unternehmen dazu, effizienter zu arbeiten. Unterstützung finden die Banker dabei teilweise auch bei Volkswirten, etwa bei Deutschlands Vorzeige-Ökonom Hans-Werner Sinn aus München: „Man sollte nicht jede Spekulation verbieten, weil Spekulation vielfach sehr nützlich ist“, sagt Sinn.
Aber auch er verlangt Maßnahmen, damit einzelne Spekulanten nicht zuviel Macht bekommen.
Die Bemühungen der Regierungen haben zwei Richtungen: Sie wollen den Handel mit den Derivaten, der bisher zwischen den Banken und damit weitgehend im Verborgenen abläuft, transparenter machen. Börse oder Clearingstelle.
Wie erfolgreich sie damit sein können, ist allerdings fraglich. „Ein nationaler Alleingang wäre allerdings gefährlich und würde den Finanzstandort stark schädigen“, warnt deshalb Allianz-Volkswirt Michael Heise.
Eine künftige Regelung solle deshalb nur auf internationaler Ebene getroffen werden.
Andernfalls wäre sie ohnehin vermutlich kaum wirkungsvoll.