Leerstände, wohin man schaut: Seit Hertie aus den Innenstädten verschwunden ist, verwahrlosen ganze Straßenzüge. Vor allem in Schleswig-Holstein sieht es schlimm aus. Die Anstrengungen der Politik haben dort bislang wenig gefruchtet – die Bürgermeister ringen mit einem unsichtbaren Gegner.

Knochenstruktur. Itzehoes Fußgängerzone habe eine Knochenstruktur, sagt Bürgermeister Rüdiger Blaschke und schaut seinen Besucher an, als müsse er sich darunter etwas vorstellen können. Zwei dicke Enden, meint er: "Also am einen, da haben Sie das Holstein Center, da brummt es jetzt. Und am anderen liegt Hertie, da ist jetzt ja nicht mehr so viel los." Lag Hertie, müsste es heißen.

In Itzehoe - wie in sechs anderen schleswig-holsteinischen Kleinstädten - gammelt seit Monaten die einst zentrale Anlaufstation für den Normaleinkäufer vor sich hin. Deren bloße Existenz hatte jahrzehntelang die Hoffnung genährt, dass man auch in Rendsburg, Mölln oder Husum alles bekommt, was man braucht. "Kaufhäuser", sagt Blaschke und guckt wieder ein wenig resigniert, "das waren doch die Magneten unserer Städte."

Inzwischen sind die Häuser die Schandflecken der Citys: gähnend leere Schaufenster, verrammelte Eingänge, verkotete Fassaden. Das seien Zeichen "von Verwahrlosung und Verelendung", sagt Andreas Breitner, Rendsburger Bürgermeister und Sprecher der sieben Hertie-geschädigten Städte. "Das will man doch nicht sehen, wenn man shoppen geht, da macht man doch lieber einen großen Bogen drum."

Blaschke, Breitner und ihre fünf Kollegen führen seit Monaten einen fast aussichtslosen Kampf ums Kaufhaus. Einen Kampf, der mehr Leben in ihre Innenstädte bringen soll, mehr Umsatz. Oder wenigstens noch einen Penny-Markt.

Also reisten sie im vergangenen Sommer nach Wesseling bei Köln zum Hertie-Insolvenzverwalter, der alle Bürgermeister der von der Kaufhauspleite betroffenen Städte eingeladen hatte. Sie verabredeten sich zu einer Art Flashmob vor der Deutschen Bank in Frankfurt, die einen der wichtigsten Hertie-Kredite eingefädelt und verbrieft hatte. Sie haben ihren Wirtschaftsminister aufgescheucht und ihren Ministerpräsidenten, der sich auch kümmern will. Schließlich liegt Husum, wo das Hertie-Haus seit August letzten Jahres leer steht, vor Peter Harry Carstensens Haustür. Doch geholfen hat das alles bisher nicht.

Inzwischen bröckelt der südliche Teil der Itzehoer Knochenstruktur vor sich hin. Die Zahl und die Dauer der Leerstände steigen, die örtliche Raiffeisenbank hat bereits auf einen geplanten Bürohausneubau verzichtet. Sogar der Devil Skater, ein kleines Sportgeschäft, ist schon ein paar Häuser weiter rauf gezogen, "weil immer weniger Leute hier runterkommen". Und bei Rathjens Spielwarengeschäft gegenüber geraten Kunden wie Beschäftigte sehr schnell in Rage, wenn das Gespräch auf das Thema Hertie zu sprechen kommt. Es sei wirklich schlimm, Itzehoe veröde, die Breite Straße sei mittlerweile abgehängt vom Rest der Innenstadt, und das alles nur "wegen der Engländer. Oder war es Holland?"

Eine Frage, die auch Bürgermeister Blaschke nicht exakt beantworten kann. Mit dem Verkauf der Hertie-Häuser von Karstadt-Quelle an den englischen Finanzinvestor Dawnay Day und eine weitere britische Investmentgesellschaft namens Hilco kam im Jahr 2005 die Globalisierung in Itzehoe an. Sie zeigt sich für Blaschke allerdings vor allem dadurch, "dass ich kein Gegenüber habe". Keinen Ansprechpartner, mit dem er über die weitere Nutzung des Hauses sprechen könne. Keinen Menschen, der seine Nöte und den Ärger der 33 000 Itzehoer verstehe.

Die Lage sei vielmehr recht kompliziert: Dawnay Day habe in der Finanzkrise ebenfalls Insolvenz angemeldet und stehe jetzt unter Kuratel eines Insolvenzverwalters. Das gelte allerdings nicht für alle Tochterfirmen des Finanzinvestors. Zum Beispiel nicht für die HIDD Itzehoe BV mit Sitz in S'Hertogenbosch in Holland. Dieser Firma gehört das Itzehoer Gebäude, während andere Hertie-Häuser etwa in den Büchern der HIDD Rendsburg BV und der HIDD Husum BV stehen. Doch die vielen HIDDs melden sich nur selten im Norden - und wenn, dann mit einem Antrag auf Befreiung von der Grundsteuer.

Noch viel weniger allerdings hört man von der Mercatoria Aquisitions BV, die ebenfalls ein Tochterunternehmen der Dawnay Day ist. Mercatoria, so haben es Blaschke und Co. verstanden, ist mit dem Verkauf der Hertie-Häuser beauftragt. Zu einem möglichst hohen Preis natürlich, Dawnay Day hat schließlich nichts zu verschenken.

Das war schon 2008 so. Damals weigerte sich die Heuschrecke, wie Hertie-Insolvenzverwalter Biner Bähr den Investor nennt, auch nur den kleinen Finger krumm zu machen für die Rettung der Kette. Man sei schließlich kein Einzel-, sondern Immobilienhändler. Inzwischen geht es nicht mehr um Kaufhäuser, sondern nur noch um Quadratmeter - in unterschiedlicher Qualität. Da gibt es einigermaßen erhaltene Häuser in Itzehoe und halbe Ruinen in Mölln, wo Hertie vor einem Jahr geschlossen wurde und Jürgen Landau nur noch zwei statt drei Mitarbeiter beschäftigt.

Landau verkauft in Möllns einstmals bester Lage Töpfe, Geschirr und Swarovski-Kristalle. "Karstadt und später Hertie nebenan waren für uns nicht Konkurrenten, sondern Partner", schwärmt Landau, dessen Laden vor 140 Jahren eröffnet wurde. "Wenn Karstadt Prospekte verteilt hat, war bei uns immer die Hütte voll." Seit einem Jahr gehe die "Kundenfrequenz" zurück, die Laufkundschaft bleibe aus, ein weiteres Geschäft nebenan stehe mittlerweile ebenfalls leer.

Wie die anderen Kleinstädte setzte auch Mölln lange Zeit auf Hansekontor, ein Unternehmen aus Flensburg, das sich schon einig zu sein schien mit Dawnay Day/Mercatoria/HIDD. Hansekontor, so hatten die Stadtchefs vergangenen Sommer verkündet, wolle alle Häuser im Norden samt dem Namen Hertie übernehmen und wieder Handel mit Mode, Kosmetik, Elektronik betreiben. Sogar die Mitarbeiter wollte Hansekontor übernehmen. Ein Traum für jeden Bürgermeister. Noch heute gerät Blaschke ins Schwärmen, wenn er über die Flensburger spricht. Und er fragt sich, warum aus diesen für Itzehoe überaus attraktiven Plänen bisher nichts geworden ist.

Man habe ein wenig das Tempo aus dem Geschäft genommen, antwortet Josch Knuf, Mitglied der Geschäftsleitung bei Hansekontor, spätestens als man gesehen habe, dass man das Weihnachtsgeschäft nicht mehr erreichen werde. Und natürlich gebe es Finanzierungsprobleme im Norden, "die HSH Nordbank kann man ja inzwischen vergessen für solche Dinge". Hansekontor will es auf eigene Faust versuchen, im zweiten Quartal solle es losgehen, allerdings voraussichtlich nur an fünf Standorten, nicht an sieben. Niebüll und Mölln, sagt Knuf, stünden ja schon länger leer, und "der lange Winter hat den Gebäuden nicht gutgetan". Um alle Häuser geht es den Flensburgern jedenfalls nicht mehr. Was die Zweifel an der finanziellen Tragfähigkeit des Konzepts auch in den anderen Rathäusern nährt.

Also hielten die sieben Bürgermeister vor zwei Wochen mit Peter Harry Carstensen in Kiel Ratschlag. Mit am Tisch saßen weder Mercatoria noch Dawnay Day, HIDD oder die Deutsche Bank London, deren Kredite Dawnay Day 2005 den Kauf der Hertie-Häuser möglich gemacht hatten. Die Bank hat dadurch mitzureden, wenn es um den Verkauf der Immobilien geht. Mit an Carstensens Tisch sitzt stattdessen Christof Meyer aus Berlin. Er hat sein Büro am Kranzler-Eck und firmiert als Bereichsleiter Retail Investment bei der Bank BNP Paribas.

In Schleswig-Holstein läuft es nicht

Meyer ist von Mercatoria/Dawnay Day/HIDD damit beauftragt, deutschlandweit Hertie-Häuser zu verkaufen. Das klappt, findet Meyer, auch ganz gut. 20 von gut 60 Ex-Hertie-Gebäuden seien schon verkauft. Nur in Schleswig-Holstein, da laufe es eben leider nicht so glatt.

Das liegt aus Meyers Sicht an der ländlichen Struktur und einer sehr geringen Dichte an Immobilieninvestoren. Vor allem aber daran, dass "man sich im Norden falsche Vorstellungen" mache: "Die denken, das sind Not leidende Immobilien, da machen wir mal ein Schnäppchen." Daran aber habe weder Dawnay Day noch deren Insolvenzverwalter (BDO), noch die Deutsche Bank London Interesse.

Die Klage der Bürgermeister über zu hohe Preise sei ein Witz, sagt Meyer. 715 Euro verlange man pro Quadratmeter, das sei deutlich unter dem Durchschnittspreis von 835 Euro, den man bisher erzielt habe für Herties nicht über die Maßen attraktiven Nachlass. Die Vorwürfe der Bürgermeister könne man "so nicht stehen lassen", sagt Meyer. Ein Immobilienverkauf brauche seine Zeit, und man dürfe nicht vergessen, dass die Hertie-Häuser "exakt in jenem Moment auf den Markt gekommen sind, in dem Lehman Brothers zusammenbrach und die Finanzkrise eskalierte". Die Lage "ist auch für den Verkäufer nicht sonderlich komfortabel". Im Übrigen sei er sehr optimistisch, dass auch die Häuser in Norddeutschland Käufer finden.

Den Optimismus hat auch Jürgen Landau in Mölln nicht verloren. Er und seine Einzelhandelskollegen haben neulich selbst Hand angelegt und den gröbsten Dreck rund um Hertie weggeräumt. Auch die Stadtreinigung sei vor ein paar Tagen angerückt, nachdem sich die Kaufleute über den Zustand des Bürgersteigs vor Hertie beschwert haben. Auf den Kosten dafür wird die Stadt wohl sitzen bleiben. "Die wissen ja gar nicht, wohin sie die Rechnung schicken sollen."

Quelle: Welt Online