Experten kritisieren die Macht der Finanzbewerter: Sie hätten die Krise durch falsche Einschätzungen beschleunigt - und nun verschlimmern sie auch noch deren Folgen.

Hamburg. Sie gelten als mit verantwortlich für die Finanzkrise - und nun verschlimmern sie auch noch deren Folgen: Die Ratingagenturen dürften in den nächsten Wochen die Bonitätseinstufungen zahlreicher Banken absenken und die ohnehin arg gebeutelten Geldhäuser damit noch stärker in Schwierigkeiten bringen. Denn ein niedrigeres Rating hat zur Folge, dass sich die Versorgung mit Kapital erschwert, auf jeden Fall aber verteuert.

Bereits gestern hat die Agentur Standard & Poor's (S&P) fünf Landesbanken teils deutlich herabgestuft. So sank das Rating der HSH Nordbank um zwei Stufen von "A" auf "BBB+". Die Institute stünden trotz staatlicher Hilfen vor großen Herausforderungen wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise, teilte S&P dazu mit. Der sogenannte Ratingausblick wurde auf "negativ" gesetzt, was eine weitere Herabstufung in den nächsten Monaten bedeuten könnte.

"Man kann es den Agenturen nicht vorwerfen, wenn sie nun auf die schlechteren Zahlen reagieren", sagte Finanzexperte Wolfgang Gerke dem Abendblatt. Branchenkreisen zufolge ist es jedoch kein Zufall, dass die Bundesregierung gerade jetzt bei den Bemühungen um eine Entlastung der Bankbilanzen von faulen Wertpapieren und bei der anstehenden Neuordnung der Landesbankenszene so aufs Tempo drückt.

Schon dies zeigt, welche Macht man den Ratingagenturen beimisst. Dominiert wird dieser Markt von drei großen Unternehmen: S&P, eine Tochter des US-Medienhauses McGraw-Hill, residiert ebenso in New York wie der von verschiedenen Großanlegern kontrollierte Konkurrent Moody's. Der drittgrößte Wettbewerber Fitch Ratings hat einen Doppelsitz in New York und London und gehört der französischen Holding Fimalac.

Das Trio bewertet eine Vielzahl einzelner Finanzprodukte wie etwa Anleihen, aber auch die finanzielle Stabilität von Konzernen und sogar von Staaten. S&P beobachtet nach eigenen Angaben Papiere im Wert von rund 32 Billionen Dollar aus mehr als 100 Ländern.

In der Finanzkrise spielten die Agenturen eine unrühmliche Rolle. Sie hätten "in hohem Maße zu den derzeitigen Problemen auf den Finanzmärkten beigetragen", bescheinigte ihnen die EU-Kommission. Selbst manche der heute berüchtigten "toxischen" Wertpapiere erhielten die Ratingbestnote "AAA". Noch am Tag der Pleite wurden die langfristigen Verbindlichkeiten der US-Investmentbank Lehman Brothers von S&P mit "A" und von Moody's mit "A-1" eingestuft - beides überdurchschnittlich gute Noten.

"Man hat die komplexen Geschäfte nicht wirklich verstanden und ist nicht tief genug in die Materie eingestiegen", sagte Hamburgs Börsenpräsident Friedhelm Steinberg. "Damit haben die Agenturen eine Sicherheit vorgespiegelt, die nicht gegeben war." Ähnlich sieht es Gerke: "Bestnoten wurden zu großzügig vergeben, die Ratinganalysten haben das systemische Risiko nicht richtig eingeschätzt."

Selbst S&P-Präsident Deven Sharma räumte vor wenigen Tagen ein, manche Annahmen zu Wertpapieren mit Verbindung zum US-Hypothekenmarkt hätten sich als falsch erwiesen, was man bedauere. Als Konsequenz will S&P die Transparenz erhöhen und mehr Informationen zu den Noten veröffentlichen.

Der EU genügt das nicht. Sie will die bislang weitgehend unregulierten Agenturen an die kürzere Leine nehmen und unter anderem ein Aufsichtsgremium schaffen. Außerdem sollen Moody's und Co. wenigstens nicht auch noch Finanzprodukte bewerten dürfen, an deren Konstruktion sie vorher als Berater beteiligt waren.

Steinberg begrüßt diese Initiativen: "Es ist notwendig, ein Korrektiv zu der ungeheuren, staatsübergreifenden Macht der Ratinghäuser zu schaffen." Wünschenswert wären für den Börsenpräsidenten aber grundlegende Änderungen am System, zum Beispiel im Hinblick auf die Vergütung. Denn die Agenturen werden von den Emittenten der Wertpapiere bezahlt und nicht von den Investoren, die solche Papiere kaufen. Dies berge die Gefahr, dass die Noten tendenziell zu positiv ausfallen, argumentieren Kritiker. Das war nicht immer so - bis in die 70er-Jahre trugen die Anleger die Kosten.

"Ich könnte mir gut ein Modell vorstellen, bei dem beide Seiten bezahlen", sagte Steinberg. Auch Gerke meint, dass es der Glaubwürdigkeit der Ratingagenturen gut täte, wenn sich am Modus der Bezahlung etwas veränderte.

Beide Experten halten es jedoch für eher unwahrscheinlich, dass es in den nächsten Jahren zu derartigen Umwälzungen kommt oder die "großen Drei" gar ernsthafte Konkurrenz erhalten.

Für eine Bewältigung der Folgen der Finanzkrise kämen solche Änderungen damit ohnehin zu spät.