Viele Tarifverträge schreiben nach wie vor Stundenlöhne fest, die deutlich unter dem Niveau der bislang vereinbarten Mindestlöhne liegen

Wiesbaden. Noch immer werden in Deutschland absolute Billiglöhne gezahlt: Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden fand heraus, dass in vielen Tarifverträgen sogar der fesgelegte Satz für einen künftigen Mindestlohn unterschritten wird. Vor allem gering qualifizierte Beschäftigte in Gartenbau und Landwirtschaft sowie in Handwerks- und Dienstleistungsbranchen kämen auf niedrige Tarifverdienste. Im Konditorenhandwerk in Bayern etwa beginnt der Tarifverdienst bei 5,26 Euro je Stunde, wie das am Donnerstag mitteilte. Ebenfalls schlecht dabei: Fleischer in Sachsen. Sie verdienen lediglich 6,00 Euro die Stunde. Auch Gärtner in Brandenburg (6,46) und Mitarbeiter im Hotel- und Gaststättengewerbe (6,29) erhalten bisweilen weniger als 6,50 Euro je Stunde.

+++ Mindestlohn für Zeitarbeit eingeführt +++
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Besonders betroffen: Gering qualifizierte Beschäftigte. Aber auch Fachkräfte verdienten in einigen Branchen vergleichsweise wenig: Der tarifliche Anfangsverdienst für Bäcker- und Konditorengesellen liegt in Mecklenburg-Vorpommern bei 6,97 Euro und für Beschäftigte mit bestandener Gesellenprüfung im Friseurhandwerk Schleswig-Holstein bei 7,00 Euro. Derzeit gelten in Deutschland in zehn Brachen – darunter vier Baubranchen – allgemeinverbindliche Mindestlöhne. Diese reichen von 6,53 bis 11,53 Euro je Stunde. Nach den Daten des Bundesamtes liegt der Mindestlohn im früheren Bundesgebiet bei Wäschereidienstleistungen und größtenteils im Wach- und Sicherheitsgewerbe bei weniger als 8,00 Euro je Stunde. In den neuen Ländern werden 8,00 Euro des weiteren bei der Gebäudereinigung und in der Pflegebranche unterschritten.

Vor diesem Hintergrund bekräftigte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, den die Sozialdemokraten wie die Gewerkschaften bei 8,50 Euro ansetzen. Die Zahl der darunter liegenden Tarifvergütungen ist zuletzt gesunken.

Die von den Gewerkschaften in diesen Branchen vereinbarten Tarifverdienste bleiben deutlich hinter deren Forderungen nach einem allgemeinen Mindestlohn von 8,50 Euro zurück. Gewerkschafter sehen sich dort nach Einschätzung des WSI-Tarifarchivs der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung einem Zwiespalt ausgesetzt. „Gewerkschafter stehen in solchen Branchen bei Tarifverhandlungen immer wieder vor der Alternative, niedrigen Tarifen zuzustimmen oder ganz auf eine tarifliche Regulierung der Arbeitsbedingungen zu verzichten“, erklärte jüngst der Leiter des Tarifarchivs, Reinhard Bispinck.

Als Erfolg verbuchen die Gewerkschaften, dass die Zahl der tariflichen Vergütungsgruppen mit Stundenlöhnen unter 8,50 Euro gesunken ist. Im September 2011 sahen laut WSI-Tarifarchiv 13 Prozent der mehr als 4700 untersuchten Vergütungsgruppen aus 41 Branchen Stundenlöhne von weniger als 8,50 Euro vor. Im März 2010 habe dieser Anteil noch 16 Prozent betragen. Die Analyse des Statistikamtes zeige, dass Tariflöhne „nicht unbedingt zu einem auskömmlichen Einkommen“ führten, erklärte Nahles. „Das ist aber die Mogelpackung, die die CDU als ’Lohnuntergrenze’ verkaufen will.“ Die SPD-Generalsekretärin plädierte erneut für einen gesetzlichen Mindestlohn.

Die schwarz-gelbe Koalition setzt stattdessen auf eine Ausweitung von tariflich vereinbarten Branchen-Mindestlöhnen. Mit Jahresanfang 2012 gibt es in Deutschland elf Branchen mit etwa vier Millionen Beschäftigten, für die Mindestlöhne auch in tarifungebundenen Unternehmen vorgeschrieben sind. Neu hinzu gekommen ist die Zeitarbeit mit etwa 900.000 Beschäftigten, die mindestens 7,89 Euro im Westen und 7,01 Euro im Osten bekommen.

(dpa/Reuters)