Unternehmen erhoffen sich höhere Umsätze durch Neuromarketing. Künstliche Düfte und Musik im Herzrhythmus sollen Kunden zum Kauf verführen.
Hamburg. Die Jeans einer renommierten US-Modemarke erkennen viele Jugendliche schon am Geruch. Sie verströmen einen süßlichen Duft. Betreiber von Supermärkten verbreiten die heimeligen Ausdünstungen ihrer Bäckerei im ganzen Laden: Denn sie wissen, dass der Geruch nach frischem Brot die Kunden in Kauflaune versetzt. Genauso wie künstlicher Orangenduft aus Duftspendern am Obststand. Und manche Fast-Food-Kette schummelt - der hungrig machende Geruch nach Holzkohlegrill kommt nicht aus der Küche, wo nur eine Friteuse steht, sondern aus einem Duftspender.
Die Unternehmen machen sich bei dieser Form von Werbung die Erkenntnisse des Neuromarketings zunutze. Diese Wissenschaft spürt den intuitiven Entscheidungen der Konsumenten nach und stützt sich auf Forschungsergebnisse von Psychologen, Ökonomen und Hirnspezialisten. "Wir wissen zwar schon länger, dass Düfte beim Verkauf wirken, aber neuerdings können wir mit computertomografischen Untersuchungen besser sehen, wie sich dieses Marketinginstrument im Gehirn des Verbrauchers auswirkt", sagt Andrea Gröppel-Klein, die das Institut für Konsum- und Verhaltensforschung an der Universität des Saarlandes leitet.
+++Werbung am Rande der Legalität+++
Zwar gibt es wohl keinen Waschmittelhersteller, der sich nicht schon seit Jahrzehnten Gedanken über den Duft seiner Produkte macht. Doch in einer Zeit, in der Verbraucher die Werbung angesichts einer ohnehin überbordenden Informationsfülle häufig als störend empfinden, TV-Spots ausschalten oder Werbefenster im Internet wegklicken, legen Marketingexperten neue Hoffnung auf das Neuromarketing.
Zumal sie in Experimenten herausgefunden haben, dass Verbraucher stärker auf unterschwellige als auf direkte Werbung reagieren. "Und es ist ja unbestritten, dass Düfte unglaublich viele Assoziationen auslösen können", sagt Susanne Maisch von der ears and eyes GmbH, einem Hamburger Unternehmen für Trend- und Marktforschung. Instinktiv tauchten etwa beim Duft frisch gewaschener Wäsche Gedanken an die Kindheit, an Heimat auf. "Für viele Verbraucher entscheidet der Duft eines Waschmittels über Kauf oder Nichtkauf. Ein guter Duft unterstreicht die Eigenschaften des Produkts, indem er Frische und Reinheit vermittelt", sagt auch Clemens Tenge von Symrise, einem der führenden Dufthersteller.
Immer mehr Unternehmen versuchen, die Käufer auf diese Weise unterschwellig zu beeinflussen und den Kaufknopf im Gehirn des Verbrauchers zu drücken. So zahlt der Zigarettenhersteller Philip Morris Gaststätten und Bars Geld, die für ihre Möbel die aus dem Marlboro-Logo bekannten Farben oder Formen verwenden. Selbst die Musik in vielen Geschäften wird inzwischen mithilfe von Verkaufspsychologen ausgewählt. Lieder mit 72 Bassschlägen pro Minute sollen für eine längere Verweildauer sorgen - der Rhythmus entspricht dem Puls eines entspannten Menschen.
Angesichts immer neuer Fälle unterschwelliger Beeinflussung gehen allerdings die Verbraucherschützer auf die Barrikaden. Sie warnen vor der Manipulation der Massen und sprechen vom willenlosen Konsumenten. "Wenn alle Sinne angesprochen werden, kaufen die Menschen bis zu dreimal so viel wie üblich", sagt Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. Sich rational zu entscheiden und das zu kaufen, was man wirklich braucht, falle bei der Beeinflussung durch das Neuromarketing zunehmend schwerer.
Eine weitere Gefahr droht beim Duftmarketing auch für die Gesundheit. Mediziner erleben, dass Menschen zunehmend empfindlich auf Umwelteinflüsse reagieren und die Zahl der Allergiker stark steigt. Dabei leiden auch immer mehr Patienten unter Duftallergien. Ärzte und der Asthmabund fordern deshalb, auf künstliche Beduftung entweder ganz zu verzichten oder zumindest darauf hinzuweisen. Eine entsprechende Information verlangen auch die Verbraucherschützer: "Wenn Hersteller oder der Handel über den Einsatz von Duftstoffen Auskunft geben, können sich Allergiker auf diesen Einfluss einstellen", sagt Verbraucherschützer Valet. Die Warnung hätte eine vergleichbare Wirkung wie bei Nahrungsmitteln, bei denen die Angabe der womöglich schädlichen Inhaltsstoffe ja ebenfalls inzwischen zur Pflicht der Hersteller gehört.
Angesichts der enormen Chancen, die sich Unternehmen vom Neuromarketing erhoffen, dürfte dieser Interessenkonflikt zwischen Konsument und Wirtschaft aber noch für einigen Sprengstoff im Verbraucherschutz sorgen. Schließlich können Düfte nicht nur unmittelbar zum Kauf verführen, sondern eine Marke emotional aufladen und ihr Profil vervollständigen.
In einem Experiment kam die britische Neuromarketing-Professorin Gemma Calvert zu dem Schluss, dass der Geruch dieselben Gehirnregionen aktivieren kann wie der Anblick einer Ware oder eines Produktlogos. Zum einen führt der Geruch eines Doughnuts dazu, dass im Kopf das Bild eines Doughnuts entsteht. Der Duft könnte aber gleichzeitig auch an ein Logo erinnern, wenn ein Doughnut-Hersteller regelmäßig mit dem Duft wirbt. Weil der Appell an den Geruchssinn eine unterschwellige Wahrnehmung auslöst, wirkt dieses Marketing sogar besser als die Abbildung des Logos.
Die Forscher sind auch in der Frage, welche Düfte in welcher Situation zum Kauf führen können, weit fortgeschritten. So ist Vanilleduft für Millionen von Menschen ansprechend. In den USA zeigte ein Experiment in einem Bekleidungsgeschäft, dass sich der Verkauf von Damenmode verdoppelte, wenn eher weibliche Düfte wie Vanille versprüht wurden. Die Automarke Lexus setzt in ihren Autohäusern ebenfalls auf Vanille, mischt dieses Aroma allerdings noch mit dem Duft nach Grapefruit, grünem Tee und Schokokeksen.
Unternehmen setzen aber sogar an Orten auf die Beduftung, an denen die Verbraucher nicht damit rechnen. Im Cinemaxx in Hamburg ließ der US-Hersteller Wrigley während eines 45 Sekunden langen Films für ein Kaugummi den Duft von frischer Minze durch die Lüftungsanlage verteilen. Und Beiersdorf benebelte den Saal mit dem Duft der Nivea-Sonnenmilch, während die Zuschauer einen Werbespot verfolgten. Zudem hängte Beiersdorf an die Sonnenmilch-Flaschen in den Regalen kleine Anhänger, die ebenfalls den Nivea-Duft verströmten. "Wir haben bislang sehr gute Erfahrungen mit der Nutzung unserer prägnanten, bekannten Düfte in der Marketing-Kommunikation gemacht - und bauen unsere Aktivitäten weiter aus", sagte Uwe Finnern, Geschäftsbereichsleiter für Deutschland und die Schweiz von Beiersdorf.
Ein Problem für die Unternehmen sind allerdings die unterschiedlichen Botschaften, die Düfte in den verschiedenen Teilen der Welt aussenden können. In Deutschland etwa verbinden die Menschen mit dem Aroma von Zitrone Sauberkeit und Frische. "Der Duft lässt sich einsetzen bei Sportgeschäften, aber auch in Buchhandlungen, die den verstaubten Geruch von Bibliotheken loswerden wollen", sagt die Konsumforscherin Gröppel-Klein. In Spanien oder Griechenland steht eher Chlor für diese Attribute. Der Elektronikkonzern Samsung plant nun sogar, seine Laptops mit einem individuellen Duft auszustatten. Noch ist offen, ob die Geräte in der Heimat des Konzerns, in Südkorea, anders riechen als in Deutschland.