Roter Teppich für Russland – und ein Aufblitzen des Kalten Krieges: Vor der Zeremonie zum WTO-Beitritt Moskaus meldet Washington Vorbehalte an.
Genf/Moskau. Russland ist nach 18 Jahre dauernden Verhandlungen im Konsens als 154. Mitglied in die Welthandelsorganisation (WTO) aufgenommen worden. „Dies ist ein historischer Moment für Russland und für das gesamte WTO-System“, sagte der Generaldirektor der Organisation, Pascal Lamy, am Freitag bei der Zeremonie im Rahmen der 8. WTO-Ministerkonferenz in Genf. Zehn Jahre nach dem Beitritt Chinas ist Russland die letzte der großen Volkswirtschaften, die Mitglied der Handelsorganisation wird. Das Parlament in Moskau muss den Beitritt noch ratifizieren. Deutschlands Wirtschaft feiert.
Für den Energie- und Rohstoffriesen Russland nahm in Genf Vizeregierungschef Igor Schuwalow die Gratulationen von Regierungen aus aller Welt entgegen. Auch US-Präsident Barack Obama ließ Glückwünsche zur Aufnahme des einzigen G20-Staates ausrichten, der bislang noch nicht WTO-Mitglied war. „Dies ist ein bedeutender Meilenstein in unseren Beziehungen mit Russland“, sagte der US-Handelsbeauftragte Ron Kirk. „Wir glauben, die Aufnahme ist gut für die WTO, für Russland und für die USA.“
Jedoch wurde die Zeremonie durch den Ausbruch einer schwelenden Fehde überschattet: Kurz vor der Aufnahmezeremonie gaben die USA offiziell Vorbehalte zu Protokoll. Sie werden bis auf weiteres als einziges WTO-Land Russland nicht die durch die Mitgliedschaft möglichen Handelsvergünstigungen gewähren.
Grund ist ein noch geltendes US-Gesetz aus Zeiten des Kalten Krieges. Danach können US-Regierungen „politisch empfindlichen Staaten“, zu denen seinerzeit auch Russland gezählt wurde, nicht ohne Zustimmung des Kongresses Handelsvorteile gewähren. Als Reaktion erklärte Moskau, die WTO-Regeln seinerseits vorerst nicht auf die USA anzuwenden. Die US-Administration werde sich wahrscheinlich noch vor der Ratifizierung des russischen WTO-Beitritts durch das Parlament, die im Juni 2012 erwartet wird, um Zustimmung des Kongresses bemühen, hieß es in diplomatischen Kreisen.
+++ Hintergrund: Die Welthandelsorganisation WTO +++
+++ Nach 18 Jahren: Russland wird WTO-Mitglied +++
Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) erklärte, die Aufnahme Moskaus sei „gut für Deutschland, gut für Russland und gut für die WTO“. Deutschland als einer der wichtigsten russischen Handels- und Wirtschaftspartner werde davon in besonderem Maße profitieren, hieß es in einer Mitteilung Röslers aus Berlin.
Die Mitgliedschaft Russlands und die damit verbundene Anerkennung des internationalen WTO-Regelwerks sowie die Pflicht zur Öffnung der russischen Märkte wird nach Einschätzung Röslers zu stabileren Rahmenbedingungen für Geschäfte mit Russland beitragen. „Das wird die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen beflügeln und für zusätzliche Impulse sorgen.“ So sinkt der durchschnittliche Zollsatz Russlands für Importe von derzeit 10 auf 7,8 Prozent.
Dadurch könnten allein deutsche Firmen nach Schätzungen des Bundeswirtschaftsministeriums bei Geschäften mit Russland rund eine Milliarde Euro pro Jahr mehr verdienen. Der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft lobte die WTO-Aufnahme Russlands auch wegen des damit verbundenen „Modernisierungsdrucks“. Das Land werde sich neuen Standards und Regeln unterwerfen und transparenter mit Ausschreibungen für Geschäfte und mit Investoren umgehen müssen.
Einige Experten warnen allerdings davor, dass Russlands starker Mann Wladimir Putin ungeachtet des WTO-Beitritts wichtige Reformen in Wirtschaft und Handel verhindern könnte. „Die nötige Modernisierung Russlands steht im krassen Widerspruch zu Putins Machtsystem“, meint der Moskauer Ökonom Wladislaw Inosemzew. Das System lebe von Korruption, Bürokratie, Rechtsunsicherheit und Vetternwirtschaft.
Auch Montenegro, Samoa und der südpazifische Inselstaat Vanuatu gehören zu den neuen Mitgliedern der WTO, in der künftig zusammen mit Russland 157 Staaten vertreten sein werden.