Kurs fällt um mehr als 70 Prozent. Neckermann-Mutter braucht dringend 116 Millionen Euro. Bilanzvorlage abgesagt
Hamburg. Der britische Reisekonzern Thomas Cook, in Deutschland mit Marken wie Neckermann und Öger Tours aktiv, hat die Anleger aufgeschreckt. Der zweitgrößte europäische Reiseanbieter teilte mit, erneut mit vier großen Banken über Kreditlinien verhandeln zu wollen. Die für morgen geplante Präsentation der Jahresergebnisse wurde deshalb verschoben. Kurz nach dieser Ankündigung brach der Thomas-Cook-Aktienkurs zeitweise um mehr als 70 Prozent ein. Finanzdirektor Paul Hollingworth sagte, der Konzern benötige rund 100 Millionen britische Pfund (116 Millionen Euro), um auszuschließen, dass die Banken plötzlich die bestehenden Kredite kündigen können. Erst im Oktober hatte Thomas Cook 100 Millionen Pfund kurzfristige Darlehen erhalten
Interimschef Sam Weihagen erklärte den ungewöhnlichen Schritt damit, dass die Buchungszahlen im Oktober "sehr viel schlechter waren als geplant". Der Konzern benötige einen finanziellen "Puffer" für den traditionell schwachen Dezember. Grundsätzlich brauchen Reisekonzerne bis weit in den Frühling hinein mehr Geld, als sie verdienen, weil sie feste Bettenkontingente und Flugzeugsitze für die Hochsaison im Sommer anzahlen müssen.
Banken fordern von Unternehmen wie Thomas Cook bei Großkrediten meistens, dass sie bestimmte Bedingungen - etwa ein bestimmtes operatives Gewinnniveau - einhalten. Gelingt ihnen das nicht, bekommen die Banken das Recht, den Kredit sofort zu kündigen. "Da ist es nur sinnvoll und vernünftig, in Diskussionen mit den Kreditgebern einzutreten und sicherzustellen, dass wir die nötige Liquidität erhalten", sagte der Finanzchef. Zudem will Hollingworth offenbar Zugeständnisse bei den bestehenden Krediten erreichen, um diese auch in der umsatzschwachen Wintersaison bedienen zu können.
Sorgen bereitet den Briten die schwache Konjunktur im Heimatmarkt sowie das russische und französische Reisegeschäft. Die Unruhen in Nordafrika machen dort das Geschäft laut Weihagen schwierig. In Frankreich wurde das Angebot für den Winter zusammengestrichen, weil sich Tunesien nach Ansicht vieler Franzosen noch nicht von den Turbulenzen erholt hat. Auch die Flut in Thailand belaste das Geschäft.
In Ägypten und Thailand macht auch der europäische Marktführer TUI normalerweise gute Geschäfte. Wohl auch deshalb gaben die Aktien des TUI-Konzerns im Handelsverlauf um mehr als zehn und die in London notierte Reisetochter TUI plc. zeitweise mehr als 14 Prozent nach.
Thomas Cook kämpft seit Monaten mit einer Krise. Das Unternehmen hat im laufenden Jahr bereits drei Gewinnwarnungen herausgegeben. Im August verließ der langjährige Chef Manny Fontenla-Novoa das Unternehmen, seitdem wird ein neuer Vorstandsvorsitzender gesucht. Derweil versucht Weihagen, einen "Turnaround-Plan" umzusetzen. Medienberichten zufolge plant der Veranstalter, in Großbritannien nach der Übernahme eines ge-nossenschaftlichen Reiseveranstalters 200 Reisebüros zu schließen und sechs Flugzeuge aus dem Betrieb zu nehmen. Damit würde die britische Flotte auf 35 Maschinen sinken. Thomas Cook wollte dies nicht kommentieren.
Weihagen bekräftigte aber noch einmal, dass sich das Unternehmen operativ so entwickelt hat wie angekündigt. Im August wurde zuletzt mit einem operativen Gewinn von 320 Millionen Pfund (370 Millionen Euro) gerechnet. Derzeit ist der Konzern an der Börse nur noch rund 100 Millionen Pfund wert, die Schulden belaufen sich bei einem Jahresumsatz von rund neun Milliarden Pfund auf 900 Millionen Pfund. Damit ist Cook ein potenzieller Übernahmekandidat. "Wir sind börsennotiert, es kann also alles Mögliche passieren", sagte Weihagen. Aktuell rechnet der Cook-Chef allerdings nicht mit einer solchen Offerte.
In Deutschland läuft dagegen das Geschäft noch vergleichsweise gut. Zwar teilt der britische Konzern nicht detailliert mit, wie sich die einzelnen Regionen entwickelt haben. Aber in Unternehmenskreisen heißt es, die Reiseveranstalter wie zum Beispiel Neckermann und die Ferienfluggesellschaft Condor hätten im Sommergeschäft sowohl Umsatz wie Gewinn im Vergleich zum Vorjahr gesteigert. Thomas Cook hat zudem im Sommer 2010 den Hamburger Türkei-Spezialisten Öger Tours übernommen. Bei den deutschen Anbietern hatten vor allem Spanien, aber auch die Türkei als Reiseziele von den politischen Turbulenzen in Nordafrika stark profitiert. Auch das Wintergeschäft läuft derzeit in Deutschland nicht schlecht. Bei den Gästezahlen liegt Thomas Cook zwar derzeit leicht im Minus, hat aber durch Preissteigerungen den Umsatz gehalten.