Der Konzern steigt aus der Atomkraft aus. Ende für Kernkraft-Joint-Venture mit Russen, die wollen jetzt auf Medizintechnik umschwenken.
München. Das Atomgeschäft ist für Siemens Geschichte. "Das Kapitel ist für uns abgeschlossen", sagte Konzernchef Peter Löscher dem "Spiegel". Abgezeichnet hatte sich der Schlussstrich bereits seit der Atomkatastrophe von Fukushima und der folgenden Kehrtwende in der deutschen Atompolitik. Doch nach dem kostspieligen Bruch mit dem französischen Kernkraftpartner Areva konnte Siemens es sich nicht auch noch mit Rosatom verscherzen. Jetzt lassen die Russen die Münchner in eine atomfreie Zukunft ziehen. Nach Angaben eines Konzernsprechers kostet der Abschied Siemens keinen Cent.
Die Entscheidung sei die Antwort seines Unternehmens "auf die klare Positionierung von Gesellschaft und Politik in Deutschland zum Ausstieg aus der Kernenergie", sagte Löscher. Das geplante Atom-Joint-Venture mit dem russischen Rosatom-Konzern werde nicht verwirklicht. Stattdessen wolle man mit dem Partner "auf anderen Feldern" zusammenarbeiten. Dabei hatte Löscher ursprünglich das Ziel, gemeinsam mit Rosatom Marktführer im weltweiten Atomenergiegeschäft zu werden. Anstatt sich am Bau kompletter Atomkraftwerke zu beteiligen, könnte Siemens nun Komponenten wie Dampfturbinen liefern, die auch bei konventionellen Kraftwerken zum Einsatz kommen. Siemens habe lange Gespräche mit den Rosatom-Managern geführt. "Sie verstehen, dass ein Unternehmen mit deutschen Wurzeln der Entscheidung der Bundesregierung (zur Energiewende) Rechnung tragen muss", sagte Löscher.
Rosatom will die Zusammenarbeit mit den Münchnern auf die Medizintechnik beschränken. Die beiden Unternehmen führten Gespräche über ein Joint-Venture, sagte Rosatom-Sprecher Sergej Nowikow am Montag. So könne der Konzern etwa die Produktion von Isotopen einbringen. Rosatom hatte im vergangenen Jahr mit der Herstellung von Molybdän-99 begonnen, das auch in der Onkologie verwendet wird. Siemens hatte vor zwei Jahren eine Absichtserklärung für ein gemeinsames Unternehmen mit Rosatom unterschrieben. Die Zusammenarbeit scheiterte aber zunächst am Streit zwischen Siemens und seinem französischen Ex-Partner Areva. Für die Münchner ist Russland ein wichtiger Milliardenmarkt.
Nachdem die Strafzahlung für den Ausstieg bei Areva Siemens mit 682 Millionen Euro inklusive Steuern teuer zu stehen kam, war den Münchnern schon aus finanziellen Gründen an einem einvernehmlichen Rückzug gelegen. Zudem gehört Russland zu den aufstrebenden Ländern, in denen sich Siemens in den nächsten Jahren auf anderen Gebieten bedeutendes Wachstum erhofft. In den vergangenen Wochen waren ein Milliardenauftrag der russischen Eisenbahnen festgezurrt und die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zum Bau von Gasturbinen mit dem russischen Unternehmen Power Machines OJSC angekündigt worden.
Die beabsichtigte Energiewende in Deutschland stufte Löscher im "Spiegel"-Interview als "Jahrhundertprojekt" ein: Das Ziel, den Ökostromanteil bis 2020 auf 35 Prozent zu erhöhen, hält er für erreichbar. Siemens erwartet sich durch Aufträge für Gaskraftwerke, Windparks sowie für die verlustarme Übertragung von Strom über weite Entfernungen sogar einen Schub.
Auch in der Euro-Diskussion unterstützt Löscher den Kurs von Angela Merkel. "Wir stehen voll hinter der weiteren europäischen Integration und den Europazielen der Bundeskanzlerin", sagte der Siemens-Chef dem "Spiegel". Er rechne nicht mit einem Zerfall der Euro-Zone. "Dieser Fall wird nicht eintreten", sagte Löscher. "Davon bin ich überzeugt."