Die Börse ist in Aufruhr, Ausverkauf, Jahrestief sind die Begriffe, die stündlich häufiger fallen. Allein Gold scheint allen der sichere Hafen zu sein.
Frankfurt. Der DAX sinkt in Rekordgeschwindigkeit, Stürze von fünf Prozent sind an der Tagesordnung. Der Ölpreis ist ebenfalls im Keller. Viele Anleger flüchten sich aus ihren Aktienbeständen in den sicheren Hafen Gold. Das Edelmetall ist das einzige, das in diesen Tagen mit neuen Rekordhochs aufwarten kann. Auch das mittlerweile täglich. An den internationalen Finanzmärkten wird die Angst vor einer deutlichen Abkühlung der Weltwirtschaft immer größer. „Die Furcht vor einer neuen Rezession in den USA hat Dimensionen erreicht, die noch vor ein paar Wochen undenkbar schienen“, schrieb Rabeya Khan, Analystin bei Close Brothers Seydler.
Für den Dax entwickelt sich der August inzwischen zu einem der schwärzesten Monate seiner Geschichte: Der Leitindex rutschte am Freitag weiter ab um bis zu 4,6 Prozent auf 5345,36 Punkte. Das ist der tiefste Stand seit November 2009. Im August hat der Dax bereits gut 25 Prozent verloren. Der EuroStoxx50 gab am Freitag um 3,4 Prozent nach, die Märkte in Asien verbuchten ebenfalls deutliche Verluste. Auch für Eröffnung der US-Börsen am Nachmittag bahnten sich schwächere Kurse an.
Enttäuschend ausgefallene US-Daten hatten am Donnerstag die Sorgen um den Zustand der US-Konjunktur neu entfacht. Der Konjunkturindikator Philly-Fed-Index war im August auf den tiefsten Stand seit März 2009 gefallen. „Der Schock vom Donnerstag steckt noch tief im Markt drin“, sagte ein Händler am Freitag. Und ein Ende des Ausverkaufs ist nach Ansicht vieler Börsianer noch nicht in Sicht: „Die extreme Nervosität hält an“, sagte Stefan Chmielewski vom Brokerhaus Lang & Schwarz.
Am Rohstoffmarkt ließen die Anleger vor allem Öl links liegen, das in der Realwirtschaft bei einer schächeren Konjunktur weniger gefragt sein dürfte. Die US-Rohölsorte WTI verbilligte sich um bis zu 3,9 Prozent auf 79,17 Dollar je Barrel (159 Liter). „Der Druck auf den Preis hält an, auch ein Abrutschen auf bis zu 75 Dollar ist denkbar“, sagte Tony Nunan von Mitsubishi Corporation. Im Gegenzug kletterte Gold auf ein neues Rekordhoch von 1877 Dollar je Feinunze.
Am Devisenmarkt steuerten viele Anleger angesichts der immensen Nervosität den Schweizer Franken an, der sich damit weiter verteuerte. Für einen Euro erhielten Anleger am Donnerstag nur noch 1,1327 Franken, nachdem es im späten Vortagesgeschäft noch 1,1375 Franken gewesen waren. „Es ist nicht abzusehen, dass sich an der gedämpften Stimmung am Markt etwas ändert, sodass der Aufwertungsdruck auf den Franken bleiben dürfte“, hieß es in einem Kommentar der Commerzbank.
Neben den Sorgen um die Zustand der amerikanischen Wirtschaft hat auch die europäische Schuldenkrise die Anleger derzeit fest im Griff. Sie warteten weiter auf tiefgreifende Maßnahmen, um den Ländern einen Weg aus der Misere zu ebnen, sagte ein Händler.
Verluste verbuchten erneut vor allem die Finanzwerte. Der Branchenindex fiel um 2,7 Prozent. „Die europäischen Regierungen garantieren für die europäischen Banken. Wenn aber die Regierungen selber nicht stabil sind, dann sind es die Banken auch nicht“, warnte Lothar Mentel, Chief Investment Officer bei Octopus Investments. In Mailand verbilligten sich UniCredit um 4,5 Prozent, in Paris fielen BNP Paribas um 4,2 Prozent. Im Dax fielen die Papiere von Deutscher Bank und Commerzbank um 5,1 Prozent beziehungsweise 1,8 Prozent.
Zu den größten Verlierern zählten im Leitindex allerdings die konjunktursensiblen Autowerte: Daimler, Volkswagen und BMW verbuchten Kurseinbrüche zwischen 4,3 und 5,2 Prozent. Eine kräftige Absatzsteigerung von Volkswagen im Juli stieß am Markt nicht auf Interesse.
Das Gesicht der Krise: „Mister Dax“.
Robert Halver ist derzeit ein viel gefragter Mann: Seitdem die Aktienkurse verrücktspielen, erklärt der Analyst der Öffentlichkeit, was los ist an den Börsen. Der Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank gilt mittlerweile als das „Gesicht der Krise“. „Für einen Rheinländer ist das nicht gerade ein Kompliment“, sagt Halver. „Doch Medienpräsenz gehört zu meinem Job.“
Regelmäßige Auftritte bei Fernsehsendern und Radiostationen gab es schon vor dem Sommercrash. Doch erst seit es an den Börsen wieder rasant bergab geht und die Welt eine erneute Rezession fürchtet, ist Halver auch einem breiteren Publikum bekannt. Nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers war es der Aktienhändler Dirk Müller, der häufig in Fernsehberichten erschien, was ihm den Spitznamen „Mister Dax“ einbrachte. Heute ist es Halver.
Kurz und prägnant erklärt der 47-jährige, wieso es zu den Kursstürzen an den Aktienmärkten kommt. „Wir haben eine politische Krise, die zu Unsicherheiten führt, und das ist Gift für die Börse.“ Die Politik müsse rasch Lösungen finden für die Euro-Schuldenkrise, fordert der Experte. Ebenso anschaulich sein Kommentar zum zuletzt dürftigen Wachstum der deutschen Wirtschaft: „Die schwachen BIP-Zahlen zeigen, dass auch Deutschland nicht die wirtschaftliche Insel der Glückseligkeit ist.“
Den Titel „Mister Dax“, den einige Medien ihm bereits verliehen haben, will der Börsenprofi mit dem gegelten Haar für sich allerdings nicht in Anspruch nehmen. „Diese Position ist belegt“, sagt Halver. „Mister Dax“ selbst hat sich zuletzt etwas rargemacht. Dirk Müller betreibt ein Finanzinformationsportal, schreibt Bücher und hält Vorträge, doch er ist nicht mehr so omnipräsent in den Medien wie nach der Lehman-Pleite.
Halver zieht es momentan täglich in die Frankfurter Börse – auch um die Stimmung dort unmittelbar zu erleben. „Für eine Analyse ist auch der emotionale Faktor wichtig“, sagt der Betriebswirt, der seit
2008 den Bereich Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank leitet. Gebannt starrt Halver auf den Bildschirm, schlägt fassungslos die Hand vor den Mund und liefert damit einmal mehr Bilder, die besser als Worte das aktuelle Chaos an den Aktienmärkten dokumentieren. (dpa/rtr)