Selbst Börsen-Kenner trauen sich derzeit keine Analysen zu. Die Deutsche Bank hat ihre DAX-Prognose bis Jahresende um 1000 Punkte nach unten korrigiert.
Frankfurt/Main. Der DAX ist auf dem Sinkflug, die Märkte sind verunsichert, wohin die Reise noch geht, wissen auch viele Experten nicht. Einige befürchten sogar eine Rezession wie 2008. Die seit Tagen andauernden Panikverkäufe an den Aktienmärkten machen den Börsenpropheten das Leben schwer. Nur wenige Wochen alte Prognosen, die den Dax zum Jahresende bei rund 7600 Punkten sahen, sind inzwischen Makulatur. So traut die Deutsche Bank dem deutschen Leitindex per Ende Dezember nur noch 6.800 Punkte zu. „Der Ausverkauf wird wegen schwacher makroökonomischer Daten und der Risiken durch die Schuldenkrise in den Industriestaaten weitergehen“, erklärte Deutsche-Bank-Analyst Lars Slomka. Allerdings müsste der Index damit immer noch satte 1300 Punkte bzw. fast ein Viertel zulegen - am Dienstag fiel er zeitweise um über sieben Prozent auf 5503 Punkte, den tiefsten Stand seit anderthalb Jahren.
Neben den Nachwehen der Herabstufung der US-Bonität durch die Ratingagentur Standard & Poor’s fürchten viele Investoren den Rückfall der Wirtschaft in die Rezession. Sie warnen, dass der Sparkurs vieler schuldengeplagter Staaten die Weltkonjunktur abwürgen könnte. Christian Gattiker, der die Research-Abteilung der Schweizer Bank Julius Bär leitet, geht davon aus, dass die Märkte bis tief in den Herbst 2011 hinein schwierig bleiben.
Sogar ein Einbruch des Dax wie 2008, als er unter 4000 Punkte fiel, sei denkbar, sagte Gattiker der Nachrichtenagentur Reuters. „Es gibt derzeit viele Alarmzeichen, die auf einen Absturz wie in der Finanzkrise hindeuten“, erklärte er. „Der innere Wert des Dax ist zwar sicherlich höher als es sein derzeitiger Stand – aber es kann zwei bis drei Jahre dauern, bis er sich materialisiert.“
Eine neue Prognose für den Dax-Endstand 2011 wagt Gattiker, der bisher wie die meisten Kollegen von rund 7500 bis 8000 Zählern ausging, derzeit nicht. „Wir befinden uns momentan im Blindflug. Für eine fundamentale Bewertung ist es zu früh.“ Ähnlich sieht es sein Kollege Giuseppe Amato vom Brokerhaus Lang & Schwarz. „Seriöserweise ist der Dax derzeit nur schwer zu prognostizieren“, sagt er zu Reuters.
Einig sind sich die Analysten, dass es an den Börsen auf absehbare Zeit turbulent zugehen wird. „Das unsichere Umfeld werden wir so schnell nicht loswerden“, sagte Bernhard Eschweiler von Silvia Quandt Research. Für eine Beruhigung der Märkte müssten aus seiner Sicht vor allem die Politiker handeln und den europäischen Rettungsschirm EFSF kräftig aufstocken. „Den EFSF werden wir nach meiner Einschätzung nochmal glatt verdoppeln“, sagte Eschweiler. Ob dies für eine Trendwende an den Märkten reicht, sei dennoch fraglich. „Um unser Ziel von 8300 Punkten für den Dax zum Jahresende zu erreichen, brauchen wir einen Durchbruch. Uns fehlt das Momentum, das werden wir in diesem volatilen Zeiten nicht bekommen.“
Optimistischer ist Analyst Heino Ruland von Ruland Research. „Ich sehe keinen Anpassungsbedarf und bleibe bei meiner Dax-Prognose von 8000 Punkten zum Jahresende“, sagte er. „Die Rezessionsängste sind überzogen. Die US-Konjunkturdaten werden im August voraussichtlich besser ausfallen als erwartet und dies sollte der Startschuss für eine Kursrally bieten.“
Dax setzt Talfahrt fort – Zeitweise minus 7 Prozent
Die Talfahrt des Dax setzt sich auch den zehnten Tag in Folge fort: In einem Erholungsversuch schaffte der deutsche Leitindex zwar im frühen Handel kurz den Sprung über die Marke von 6000 Punkten, brach danach allerdings in der Spitze um weitere 7,11 Prozent auf den tiefsten Stand seit Februar 2010 ein. Bis zum Mittag verblieb ein immer noch deutlicher Abschlag von 3,76 Prozent auf 5701 Punkte. Der MDax sank um 2,25 Prozent auf 8347 Zähler, für den TecDax ging es um 2,38 Prozent nach unten auf 663 Punkte.
Die Nervosität der Anleger ist der langen Verlustserie entsprechend sehr hoch. Der VDax, der die Schwankungsbreite des Leitindex abbildet, schoss auf den höchsten Stand seit 2009 zum Ausklang der Weltwirtschaftskrise nach der Lehman-Pleite. Derweil geht die Rekordjagd des Goldpreises weiter, was eine ungebrochen hohe Risikoscheu der Anleger signalisiert.
Ingo Schmidt, Kapitalmarktexperte der Hamburger Sparkasse, sagte: „Man sucht derzeit den rettenden Anker und findet ihn nicht.“ Chefvolkswirt Folker Hellmeyer von der Bremer Landesbank wertet die aktuellen Kurskapriolen als Übertreibung. „Es ist kein rationaler, sondern ein emotionaler Markt. Hier wird eine Situation diskontiert, die so gar nicht eingetreten ist.“ Die Deutsche Bank schraubte indes ihr Dax-Ziel auf 6800 Punkte zurück und machte dafür enttäuschende Quartalszahlen, wohl sinkende Markterwartungen und die Konjunkturabhängigkeit des Dax verantwortlich.
Einzelwerte traten in den Hintergrund: RWE-Papiere rutschten nach ihrem Halbjahresbericht auf den tiefsten Stand seit Ende 2003 und verloren 5,51 Prozent. Der zweitgrößte deutsche Energieversorger hat im ersten Halbjahr wegen des Atomausstiegs wie erwartet weniger verdient. Aktien der Lufthansa profitierten mit einem unterdurchschnittlichen Verlust von 1,81 Prozent von dem abgewendeten Streik der Fluglotsen. (dpa/rtr)