Ex-Senator Nölling und weitere Währungskritiker ziehen vor Bundesverfassungsgericht. Doch die Richter wissen nicht einmal, ob sie zuständig sind
Karlsruhe/Hamburg. Vor Gericht sind sie erbitterte Kontrahenten, doch die korrekte Form blieb gewahrt: Mit einem artigen Händedruck und ein paar freundlichen Worten vor Verhandlungsbeginn begrüßten sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und vier der Euro-Skeptiker, die gegen die Griechenland-Hilfen klagen, gestern im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.
In der Sache jedoch dürfte es zwischen dem Minister und den Klägern nur wenige gemeinsame Positionen geben. Denn die Beschwerdeführer - darunter Wilhelm Nölling, Ex-Finanzsenator und früherer Präsident der Landeszentralbank in Hamburg - argumentieren, die Rettungspakete für hoch verschuldete EU-Staaten seien schädlich für Deutschland und letztlich auch für den Euro. Neben Nölling vertreten der CSU-Politiker Peter Gauweiler, der ehemalige Thyssen-Chef Dieter Spethmann, der Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider sowie die beiden Wirtschaftswissenschaftler Joachim Starbatty und Wilhelm Hankel diese Auffassung in ihrer Klage.
Konkret monieren sie, im Hinblick auf das erste Griechenland-Hilfspaket im vergangenen Jahr sei die Haushaltshoheit des Bundestags untergraben worden. Die Bundesregierung habe sich bei ihren Beschlüssen auf eine Notstandssituation berufen und das Parlament dann praktisch zu einer Zustimmung gezwungen.
Mit den Finanzhilfen würden jedoch die tragenden Säulen der Währungsunion zum Einsturz gebracht, sagte Dietrich Murswiek, Gauweilers Rechtsvertreter. Dies betreffe unter anderem die Klausel, wonach die EU-Staaten nicht wechselseitig für Schulden aufkommen dürfen. "Den Euro zu retten, indem man die Fundamentalnormen der Währungsverfassung zerstört, das ist so, als wolle man einen Wasserschaden beheben, indem man das Haus in die Luft sprengt", so Murswiek. Ohnehin diene der Rettungsschirm nur dazu, "bestimmten Großbanken ihre Risiken abzunehmen".
Schäuble verteidigte das Vorgehen der Regierung in der mündlichen Verhandlung. Viele Experten hätten befürchtetet, dass ein Bankrott Griechenlands größere Auswirkungen hätte als die Bankenkrise der Jahre 2008 und 2009. Die Bundesregierung habe sich die Frage stellen müssen, "ob es verantwortbar ist, die Belastbarkeit der Märkte in dieser Situation zu testen". Daher sei die Eile unumgänglich gewesen. Schäuble stellte sich auch grundsätzlich hinter die Hilfen: "Eine gemeinsame Währung kommt nicht ohne Solidarität der Mitglieder aus." Zudem sei die Stützung des Euro ein "Beitrag zu globaler Stabilität". Allein im Rahmen des ersten Hilfspakets für Griechenland übernimmt Deutschland Bürgschaften in Höhe von 22,4 Milliarden Euro.
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle warnte gestern vor "Fehlvorstellungen" hinsichtlich des Karlsruher Verfahrens. Über die Zukunft Europas und die richtige ökonomische Strategie zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise werde dort nicht verhandelt. Dies sei Aufgabe der Politik und nicht der Rechtsprechung. Überdies warfen einzelne Richter die Frage auf, ob die betreffenden Entscheidungen der Regierung überhaupt von einzelnen Bürgern mit einer Verfassungsbeschwerde angegriffen werden können. Ebenso diskutierte man darüber, ob die Klage nicht dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt werden müsste.
Mit einem Urteil wird innerhalb von drei Monaten gerechnet. Holger Schmieding, Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses Berenberg, hält es für "extrem unwahrscheinlich", dass die Karlsruher es riskieren werden, eine dramatische Krise in Europa auszulösen, indem sie die deutschen Hilfen für verfassungswidrig erklären. Nach seiner Auffassung könnte das Gericht aber ein Vetorecht des Bundestages gegen die Auszahlung von Krediten aus dem künftigen Euro-Hilfsfonds ESM verlangen. Dies fordern auch einige Abgeordnete der Union und der FDP: Das Parlament soll künftig jeder einzelnen Kredittranche zustimmen.
Während die sechs Kläger nach der Devise "Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende" einen Stopp der Griechenland-Hilfen wollen, hält der Hamburger Wirtschaftswissenschaftler Karl-Werner Hansmann dies aus ökonomischer Sicht für den falschen Weg: "Für uns sind die Kosten niedriger, wenn wir Griechenland weiter unterstützen und damit die erforderliche Zeit geben, die internen Probleme zu lösen." Doch auch juristisch stehe die Klageschrift auf schwachen Füßen: Die monierten Beschlüsse seien wohl innerhalb des politischen Rahmens zulässig gewesen, meint Hansmann: "Ich habe das Gefühl, dass die Klage abgewiesen wird."