Der Krakauer Wojciech Pietrzak profitiert von der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab Mai. Er arbeitet bei der Hamburger Akra als Softwareentwickler.
Hamburg. Wojciech Pietrzak, blaues T-Shirt, graue Hose, Kurzhaarschnitt, fällt nicht nur Positives zu seiner Heimat Polen ein. "Die politische Lage ist nach wie vor instabil. Und dann wird auch noch alles teurer", sagt der 27-Jährige. "Die Mieten bei uns in Krakau sind praktisch so hoch wie in Deutschland. Und wenn ich mir einen Computer kaufen möchte, zahl ich in Polen mehr als hier." Pietrzak hat sich lange genug geärgert über die Schattenseiten des aufstrebenden Landes. Jetzt arbeitet er seit ein paar Wochen in Hamburg. Im schicken Zürichhaus mit seinen gläsernen Büros schreibt er für die IT-Firma Akra GmbH Programme. Optimiert die Webseiten der zahlreichen Internetfirmen, die in der Hansestadt derzeit aus dem Boden schießen wie die Frühlingsblumen im Stadtpark.
Die Akra GmbH musste für Pietrzak in den ersten Wochen zwar noch eine Arbeitserlaubnis beantragen. In wenigen Tagen profitieren die IT-Firma und der polnische Software-Spezialist aber von der Arbeitnehmer-Freizügigkeit, die in Deutschland dann unbeschränkt gilt. "Ab dem 1. Mai 2011 benötigt Herr Pietrzak keine Arbeitsgenehmigung mehr für Deutschland", schreibt die Agentur für Arbeit in seinem Beschäftigungsformular. Wie für Pietrzak aus Polen gilt dann auch für Menschen aus Tschechien, Ungarn, Slowenien, Slowakei, Litauen, Lettland und Estland die neue Freiheit, sich überall in der EU unbürokratisch bewerben und arbeiten zu dürfen.
Für Pietrzak ist sein neuer Job ein Glücksfall. Er verdient 3500 Euro im Monat und hat in Borgfelde mit seiner Frau, einer Organistin, eine schöne Dreizimmerwohnung gefunden. Zwar vermisse er seine Freunde, sagt Pietrzak. "Aber die sind auch nicht mehr in Polen." Abgeworben, ins Ausland. "Einer ist in Kalifornien, manche in England oder Irland", sagt der junge Mann und schüttelt lächelnd den Kopf über die polnischen Globetrotter.
Auch in Deutschland werden Leute wie Pietrzak mit offenen Armen empfangen. Für seinen Arbeitgeber in Hamburg, Akra-Chef Thomas Ochmann, ist der IT-Spezialist wie ein Sechser im Lotto. "Der Markt ist leer gefegt, Anzeigen brauche ich gar nicht mehr zu schalten", klagt Ochmann, "Programmierer bekommen Sie nur noch über Beziehungen, über Facebook oder Xing".
"Ich habe bereits eine Präsentation unseres Unternehmens auf Polnisch ins Netz gestellt", freut sich Ochmann über die Chancen für seine Branche, Fachkräfte aus Osteuropa anzuwerben. Für den Gründer der Akra ist dies auch sprachlich kein Problem, kommt er doch selbst ursprünglich aus Polen. "Ich war der erste Pole bei Akra", scherzt Ochmann und nimmt damit auch denjenigen Skeptikern den Wind aus den Segeln, die die neue Freiheit der osteuropäischen Arbeitnehmer als Bedrohung für einheimische Bewerber sehen.
"Jeder Pole, der hier eingestellt wird, zieht andere Jobs nach sich", ist auch Knut Böhrnsen von der Agentur für Arbeit in Hamburg überzeugt. "Die neuen Arbeitskräfte schaffen Jobs für Leute, die die Büros reinigen, und natürlich werden sie hier Autos kaufen und ins Kino gehen." Für Hamburg und Schleswig-Holstein rechnen Arbeitsmarktexperten in den kommenden vier Jahren mit 12 000 Jobsuchenden allein aus Polen. Die Arbeitslosenquote liegt in unserem östlichen Nachbarland derzeit bei 11,5 Prozent, im Nordosten erreicht sie sogar 18,5 Prozent. Der Mindestlohn liegt bei 320 Euro.
Gerade die IT-Branche kann von der Öffnung des Arbeitsmarkts profitieren. "Uns fehlen 20 000 bis 30 000 IT-Kräfte. Wir begrüßen es deshalb, wenn die formalen Barrieren fallen", sagte Maurice Shahd, Sprecher des Branchenverbands Bitkom. Auch die Pflegebranche und viele Industriebetriebe, die Ingenieure suchen, sehen die Öffnung des Arbeitsmarktes positiv.
Im Falle von Pietrzak werden auch seine Kollegen bei der Akra GmbH von der Kompetenz des neuen Mitarbeiters profitieren: Pietrzak soll andere Akra-Mitarbeiter und Hochschulabsolventen in der Programmiersprache ausbilden.